War’s das mit Erdgas?

Zu geringer Beitrag für Flottenziele und Klimaschutz: VW-Chef Diess greift beim Thema CNG durch und setzt voll auf batterieelektrischen Antrieb. Auch die Fuel-Cell-Entwicklung ist fraglich.

Foto: Volkswagen AG
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Redaktion (allg.)

So richtig zusammenpassen will das nicht: Gerade eben hatte VW-Nutzfahrzeuge- Chef Thomas Sedran bei der Premiere des VW Caddy neben den Diesel-Varianten und Mild- wie Plugin- Hybrid auch die Fortführung einer CNG-Variante angekündigt, da grätscht sein Konzernchef Herbert Diess grob dazwischen: Alles Quatsch mit den anderen Alternativen, VW setzt voll und ganz auf batterieelektrischen Antrieb, basta!
Vor Führungskräften soll Diess konkret gesagt haben: „Die Gasantriebe werden wir auslaufen lassen.“ Seine Begründung: Sie leisteten keinen hinreichenden Beitrag zum Klimaschutz, Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis. Den Flotteneffekt hatte VW-Entwicklungsvorstand Frank Welsch auf lediglich 0,3 Gramm CO2/ km hochgerechnet. Die erst 2019 avisierte Erdgas-Offensive wäre schon wieder Geschichte. Diess hatte Mitte Mai 2019 auf der Jahreshauptversammlung angekündigt: „Beim Gasantrieb sind wir Weltmarktführer und besser aufgestellt als der Wettbewerb. Auch diese Technologie werden wir weiter ausbauen und verbessern.“
Hinter vorgehaltener Hand hält man diesen fast absolutistischen Vorstoß wenn nicht im Inhalt, so doch vor allem im Zeitpunkt für verfehlt. Jüngst hatte man ja auch den neuen Passat sowie den neuen Golf noch mit dem knackfrischen und neu entwickelten 1,5-Liter- TGI-Motor vorgestellt, Audi war mit den A4- und A5-g-tron-Modellen mit spurtstarkem 2,0-Liter-CNG-Antrieb zurück im Rennen und die „Volksmarken“ Skoda und vor allem die spanische Tochter Seat setzen aktuell stark auf CNG-Antrieb als greifbare, erschwingliche und fernstreckentaugliche Alternative zu reinen Stromern oder teuren wie durstigen Plugin- Hybriden. Und wie soll man jetzt im Verkauf argumentieren, wenn der oberste Boss die CNG-Autos zum Auslaufmodell erklärt? Die interne Klage in Anlehnung an das Zitat des Philosophen Boethius: Wenn Du geschwiegen hättest, hätten wir noch jahrelang CNG-Modelle verkaufen können ...
Das ist jetzt überaus fraglich, zumal neben dem VW-Konzern eigentlich nur Fiat den CNG-Antrieb (halbherzig) forciert, dem heimischen Traditions-Erdgas- Markt Italien zuliebe. In der Zwischenzeit wird CNG in seiner tiefgekühlten Flüssigform als LNG aber auch bei den schweren Nutzfahrzeugen als reelle und verfügbare Alternative zum Diesel gehandelt, die für Fernstrecken geeignet ist. Derzeit wird das LNG-Tanknetz sukzessive ausgebaut, es sollen spezielle „Blaue Korridore“ quer durch Europa entstehen. Auch die VWTochter Scania setzte in den vergangenen Jahren verstärkt auf CNG und LNG, speziell auf Biomethan-Basis, MAN war hier zurückhaltender.

Bei Trucks nimmt Erdgas Fahrt auf

Als Pionier gilt hier der Hersteller Iveco, der das Thema seit vielen Jahren bei Vans und Trucks treibt und auch im Busbereich erfolgreich ist. Marktseitig hat bei den Pkw der CNG-Antrieb zuletzt nachgelassen: 2019 wurden nicht einmal 8.000 Fahrzeuge über alle Marken in Deutschland zugelassen, in Europa gerade mal 70.000. Und 110.000 Exemplare, die VW weltweit absetzt, sind aus Sicht der Konzernspitze auch kein sonderlich zündendes Argument. Auch das Tankstellennetz war rückläufig, von einst 900 Zapfstellen sind 2019 nur mehr 837 geblieben.
Im Tennis würde man wohl von einem „Unforced Error“ sprechen, doch Diess in seiner wilden Entschlossenheit hat mittelund langfristig sicher recht: An Effizienz über die gesamte Energiekette betrachtet – da kann kein Antrieb dem batterieelektrischen Konzept das Wasser reichen. Deshalb hält Diess auch von der Brennstoffzelle nicht allzu viel, die der Effizienzfan wegen des mäßigen Wirkungsgrades bestenfalls in schweren Nutzfahrzeugen oder Zügen für plausibel hält. Mittel- und langfristig wohlgemerkt.
So bemühen sich nicht zuletzt VWN-Leute zu relativieren: Das sei eine perspektivische Aussage und bedeute lediglich, dass über eine Zeitschiene von acht Jahren die Antriebspalette aktuell bleibt, der TGI-Motor aber keine Weiterentwicklung erfährt. Dies gilt allerdings für alle Verbrenner und soll beim TGI eine zweistellige Millionensumme sparen.

Fuel-Cell-Crafter: Wird wohl nichts

Was gar nicht erst ins Laufen kommt, wäre übrigens auch die Brennstoffzelle, die Diess bei seinem Auftritt gleich mitkassierte. Die Fuel Cell und andere alternative Kraftstoffe werde man lediglich auf Grundlevel verfolgen, so Diess laut „Handelsblatt“. „Wir brauchen die volle Konzentration auf den Durchbruch der Elektromobilität“, zitiert das Blatt den Topmanager. Der Konzern könne sich nicht erlauben, sich bei der Entwicklung zu verzetteln und müsse die Gelder gezielt einsetzen. Übersetzt in die VW-Nutzfahrzeugwelt bedeutet das, dass man als Kunde auch mit einer weiteren Karriere des zur IAA spektakulär aus dem Hut gezauberten VW Crafter HyMotion mit Fuel-Cell- Antrieb nicht allzu sehr rechnen sollte. Obwohl das Package verlockend ist – gerade im Vergleich zum reichweitenschwachen e-Crafter. Konzipiert wurde der Crafter HyMotion denn eben auch für längere Strecken unter Hochlast. Die in dem Konzept integrierten Tanks fassen 7,5 Kilo Wasserstoff. Damit käme der 4,25-Tonnen-Transporter auf eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Da muss ein e-Crafter viermal nachladen ... „Nachgetankt“ wäre ein FC-Van dagegen so schnell wie seine konventionellen Brüder.
Noch ein Trumpf: Trotz der vierfachen Reichweite weist das Konzept eine höhere Zuladung auf als der e-Crafter. Man habe die Technologie verfügbar und könne sie sofort umsetzen, sobald es einen Markt gebe, hieß es damals. Da steht jetzt ein noch größeres Fragezeichen dahinter, zumal die Kooperation mit Ford klar batterielektrischen Antrieb priorisiert. Ford hatte bei der Fuel Cell nie echte Ambitionen – und führt wiederum bei den Nachfolgemodellen der Kompakt- sowie den 3,5-Tonnen-Vans die Feder (siehe S. 18).
Ein noch viel größeres „Corona-Fragezeichen“ steht allerdings hinter allen weiteren Vorhaben, die neben den Dieselaggregaten für den neuen VW Caddy kommen sollen. Die Krise könnte auch in der Planung von VW Nutzfahrzeuge ihre Spuren hinterlassen. Möglicherweise wird dann noch mal geprüft, ob es für einen Caddy GTE mit Plug-in-Hybrid überhaupt einen Markt gibt oder ob es nicht die fest gebuchte milde Hybridisierung tut. Und ob man den TGI dann nicht gleich bleiben lässt – wenn der Chef ihn schon für obsolet erklärt hat. Im Moment gilt das alte Valentin-Motto: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.