Köpfe der Branche: Fachkräftemangel und Embargo durch den Ukraine-Krieg - Helmut Fliegl äußert sich zur Situation
VisionTransport: Herr Fliegl, wie kam Fliegl Fahrzeugbau durch die Pandemie, leidet das Unternehmen an irgendeiner Stelle quasi an „Long Covid“? Welche Folgen spürten und spüren Sie durch den Ukraine-Krieg?
Helmut Fliegl: Die Pandemie haben wir relativ gut überstanden, Langzeitfolgen spüren wir so gut wie keine. Umso härter trifft uns der Ukraine-Krieg, weil natürlich in Richtung Russland gar nichts mehr geht. Wir exportierten über Jahre bis zu 25 Prozent unserer Produktion nach Russland – das Embargo spüren wir daher mehr als deutlich. Das waren Pritschenauflieger, Containerchassis und Kipper, die wir bis St.Petersburg und Kaliningrad lieferten.
Stichwort Fachkräftemangel: Wie schwer ist es derzeit, geeignete und gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden oder im Betrieb zu halten?
Da sprechen Sie ein Riesenproblem an. Das Problem schlechthin, zumindest bei uns in Thüringen. Besonders Abwerbeversuche machen uns da schwer zu schaffen. Bei uns in der Gegend werden schon Kopfprämien bis zu 5.000 Euro bezahlt. Derzeit könnten wir gut und gerne 200 Leute einstellen, finden aber nur schwer entsprechendes Personal.
Wie sieht die Materiallage aus? Gibt es und gab es Engpässe bei bestimmten Grundwerkstoffen? Wie haben sich die Preise entwickelt?
Bei vielen Grundwerkstoffen gab und gibt es immer noch Engpässe: aktuell bei Siebdruckplatten. Der Grundstoff für hochwertige Platten ist Birken-Rundholz. Und das kam aus den Wäldern Kareliens, zwischen Finnland und Russland.
Das Holz war zwar teuer, ist aber das beste für diesen Zweck. Beim Stahl hat sich die Lage wieder entspannt, beim Alu schaut’s anders aus: Hochwertige Legierungen etwa für Mulden sind nach wie vor knapp und teuer, günstige Legierungen, etwa für Einstecklatten sind dagegen kein Problem.
Auch Zulieferware wie Lampen und Elektrik-/Elektronik-Komponenten haben sich extrem verteuert. Meiner Meinung nach aber nicht wegen Knappheiten, sondern weil gewisse Großkonzerne die Preise hochhalten wollen. Das klingt jetzt wenig diplomatisch, aber so sehe ich das.
Ihre ausschwenkbare „Move Secure“ Arbeitsplattform und das „Drive On“ Absenksystem haben ja in der Branche für große Aufmerksamkeit gesorgt. Wie kommen diese beiden Innovationen bei der Kundschaft an?
Sehr gut. Die Kunden, die etwa DriveOn nutzen, sind überzeugt. Die Kippstabilität ist enorm, die Traktion wegen der Lastverteilung auf die Antriebsachse ebenso. Wer’s verstanden hat, schwört drauf. Auf die ausschwenkbare Move Secure-Arbeitsplatte haben wir seit wenigen Wochen ein EU-Patent. Jetzt müssen die Fahrer nicht mehr zwischen Fahrerhaus und Stirnwand gefährlich herumkraxeln, sondern schwenken die Plattform neben das Fahrzeug, ziehen die Leiter raus und können vom sicheren Boden aus die Ladung inspizieren. Auch der Zugang in die Mulde selbst ist damit viel sicherer, auch bei Schiebe- oder Rollverdecken.
Alle Welt redet von Digitalisierung. Zugegeben – der Begriff ist arg strapaziert. Wo und wie kann ein Aufliegerhersteller am Produkt selbst noch etwas digitalisieren, wo in der Fertigung?
Das Digitalste an einem Trailer ist meiner Meinung nach die sichere, digital gesteuerte Ersatzteilversorgung. Die GPS-Ortung ist schon lange realisiert – alles kalter Kaffee – Entschuldigung. Und die Fertigung ist ja ohnehin schon lange durchdigitalisiert: CNC-Maschinen, Achsanbindung, Spureinstellung – das machen wir doch schon jahrelang. Bei der Achseinstellung garantieren wir eine Genauigkeit von +/- einem Millimeter. Das spart enorm Sprit und Reifen. Das sage jetzt nicht ich, sondern unsere Kunden.
Zum Schluss noch das Thema Lang-Lkw. Mit Ihrer rein mechanischen CLG-Dolly-Lösung haben Sie ja ein Low-Deck-taugliches System für Lang-Züge nach Kat 3 im Portfolio. Was wünschen Sie sich von der Politik, wenn es um die Akzeptanz und die weitere Verbreitungsmöglichkeit der Lang-Lkw-Idee geht?
Wollen Sie eine ehrliche Antwort oder eine diplomatische…?
Gerne die ehrliche Variante.
Ich würde mir wirklich wünschen, dass unsere Trottel von Verkehrsministern – und da nehme ich frühere und aktuelle Amtsträger der CSU nicht aus – sich endlich einmal eine eigene Meinung zu wichtigen Fragen zueigen machen und die Lobbyisten-Hörigkeit aufhört. Wenn die Politik so meinungsschwach ist und sich von den großen Herstellern ihre Meinung aufzwingen lässt und alles glaubt, was die ihnen aufs Butterbrot schmiert, dann sind das genau die Politiker, von denen alle reden und die sie Waschlappen entsprechend benennen.
Da hat keiner eine eigene Meinung und will sie auch nicht haben. Beispiel 25-Meter-Zug: Bei unseren Kunden laufen Züge mit unserem – rein mechanischen – Dolly mit 1,3 Millionen und 1,7 Millionen Kilometern. Wer da dann behauptet, das sei nicht nachhaltig und würde sich nicht rechnen – sorry, aber da verstehe ich die Welt nicht mehr.
Warum entwickelt sich der Lang-Lkw so zäh?
Überlegen wir mal, wer davon profitiert und wer nicht: Lang-Lkw heißt ja auch weniger verkaufte Lkw, weniger Maut. Bei manchen – nicht bei uns – aber auch teure, schwere und wartungsintensive Technik in Sachen Dolly. Heute habe ich gehört, dass manche Hersteller sowieso keine Zukunft im Lang-Lkw sehen. Wahrscheinlich weil sie’s nicht hinkriegen. Die reiten das Pferd gerade buchstäblich selbst tot. Ich meine: Dieses Pferd ist quicklebendig, man muss es nur richtig satteln und den passenden Parcours bieten…
Dieser Artikel wurde ursprünglich im Magazin VISION TRANSPORT Ausgabe 2023 veröffentlicht.
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