Stromer für die Stadt

Vom Münchener Verteilzentrum aus will Amazon die Innenstadt bald weitgehend mit elektrisch angetriebenen Transportern versorgen. Den zehn ersten eVito sollen weitere Fahrzeuge folgen. Auch 40 StreetScooter setzt man ein. Wir waren vor Ort.

 Bild: LOGISTRA
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Johannes Reichel

Der Onlineversandhändler Amazon forciert mit der zunehmenden Eigenständigkeit seiner Logistik zugleich die Elektrifizierung seiner Lieferflotte. Nachdem jüngst bereits 40 E-Fahrzeuge vom Typ StreetScooter im Verteilzentrum München-Daglfing in Dienst gestellt wurden, hat der Logistiker jetzt auch zehn batterieelektrisch angetriebene Mercedes-Benz eVito übernommen. Diese sind bereits im urbanen Liefereinsatz unterwegs.

Die Kastenwagen werden in der Langversion mit gut sechs Kubikmeter Volumen genutzt und sind in dunkelgrauer Amazon-Farbgebung lackiert. Der Anfangstranche sollen weitere Fahrzeuge folgen. Die E-Transporter werden direkt im Verteilzentrum, Amazon-Sprech „Delivery Center“, geladen, was vornehmlich nachts geschehen soll. Dafür wurde eine eigene Ladeinfrastruktur mit AC-Wallboxen geschaffen. Die Reichweite soll auch bei winterlichen Bedingungen mindestens 100 Kilometer betragen. Der Hersteller gibt eine Reichweite im Messzyklus von 150 bis 184 Kilometer an, für die eine unterflur verbaute Lithium-Ionen-Batterie mit 41-kWh-Brutto-Kapazität (35 kWh nutzbar) sorgen soll.

Adam Elman, Senior Lead Sustainability bei Amazon in Europa, meinte anlässlich der Übergabe: „Wir freuen uns über die Fortsetzung unserer Zusammenarbeit, durch die wir jetzt auf E-Fahrzeuge in unserer Münchner Flotte verfügen.“ Der Versender hat vor Kurzem die sogenannte Climate Pledge mitgegründet und sich verpflichtet, die Zusagen des Pariser Klimaschutzabkommens bereits zehn Jahre vor dem anvisierten Erfüllungsdatum zu erreichen – nämlich 2040, wie Elman anführte. Partnerschaften wie mit Daimler seien dafür ein wichtiger Baustein.

Fast zeitgleich hatte man noch 40 Elektrotransporter des Typs StreetScooter WORK Box für das Verteilzentrum Daglfing geordert. Auch die entsprechende Ladeinfrastruktur hat der Onlineversender beim Aachener Elektronutzfahrzeughersteller bestellt. Die 60 Ladepunkte habe man in „kürzester Zeit“ im Center realisiert und die Fahrzeuge geliefert, hieß es. Dieses Bestandsgeschäft sowie Service und Wartung sollen ja auch nach dem kürzlich verkündeten Ende der Neuproduktion von StreetScooter-Fahrzeugen weiterlaufen, wie man mitteilte.

E-Vans im Vergleich

In jedem Fall haben die an diesem Standort übrigens bei Amazon selbst angestellten E-Van-Fahrer den direkten Vergleich zwischen der Elektro-Adaption eines ihnen wohlbekannten Fahrzeugs, dem Mercedes-Benz Vito, dessen Kompaktmaß für die City-Zustellung ideal ist,und andererseits dem „Tool“ eines speziell für den urbanen Lieferverkehr gestalteten Transporters der DPDHL-Tochter aus Aachen.

Für beide Modelle sollten die durchschnittlichen Fahrleistungen reichweitenmäßig kein Problem sein: Die liegen laut Amazon-Fuhrparkverantwortlichem Sebastian Milas am Standort Daglfing bei maximal 40 bis 50 Kilometer. Da genügt die Übernachtladung an den moderat ausstaffierten Elf-Kilowatt-Wallboxen im Obergeschoss des topmodernen Lagerareals, das neben dem Fuhrpark im zweiten Stock die „Kollegen“ von Amazon Fresh beherbergt. „Eigentlich ein kompletter Supermarkt, den wir hier betreiben, inklusive Bäckerei“, meint Depotleiter Claus Soltendieck. „Fresh“ läuft komplett entkoppelt und unabhängig vom sonstigen Liefergeschäft. Und das boomt weiter gewaltig.

Damit die Fahrzeuge möglichst schnell und in bis zu acht „Wellen“ täglich beschickt werden können, arbeitet man permanent an der Optimierung der Abläufe. Basis aller Lieferungen, die mit 15 bis 20 Lkw täglich aus ganz Europa, etwa dem Fulfillment-Center Graben bei Augsburg, anlanden und hier kommissioniert werden, bildet ein System aus Säcken, Bags und Rollregalwagen, den Carts, in denen sie verstaut werden. „Verheiratet“ sagen die Amazoner dazu, ähnlich der Hochzeit von Motor und Chassis im Automobilbau. Gebündelt werden sie nach Lieferzielen. Bis zu 16 Bags werden einem Fahrzeug zugeordnet, 6.300 Bags gehen täglich raus. Die Beladung übernehmen die Fahrer, die Vans starten meistens voll ausgeladen aus dem Depot, was maximal 20 bis 25 Minuten in Anspruch nimmt. Heute passiert es binnen 16 Minuten, dass die Welle „gestaged“ ist, wie Soltendieck im Amazon-Jargon erklärt.

Die letzte Welle geht am Abend mit den „Same Day Deliverys“raus. Idealerweise stellt ein Fahrer, den man bei Amazon respektvoll „Lieferpartner“ nennt, weil diese meist selbstständigen Unternehmen angehören, in einem ihm bekannten Liefergebiet zu – obwohl die Route von einem Algorithmus berechnet wird. „Diese Prozesse erfolgen übrigens weltweit nahezu identisch“, erläutert Soltendieck weiter. Und: Sie werden dennoch täglich hinterfragt. „Jeder Tag ist Tag 1“, zitiert der Depotleiter den griffigen Firmenslogan. Kleine Verbesserungsvorschläge werden auf Plausibilität gecheckt – und finden vielleicht von München aus Eingang in die weltweiten Prozesse, schildert der Logistiker.

Mittlerweile ist alles „gestaged“ – und es gibt in der Tat nur drei „left-behinds“, Pakete, die irgendwie durchs engmaschige Raster gerutscht sind – und dann mit der nächsten Welle rausgehen. Und diese Wellen stehen zunehmend unter Strom. Johannes Reichel