Noch ist der O-Bus nicht verloren

Selbst bei steigendem Elektrobusanteil dürften O-Busse auch künftig eher ein Nischenprodukt bleiben. Städte allerdings, die bereits ein gut ausgebautes Oberleitungsnetz besitzen, könnten ihre Trolleybussysteme weiter erfolgreich betreiben – dank In-Motion-Charging (IMC) sogar flexibler als bislang. Wir sind an die polnische Ostseeküste gereist und haben uns Entwicklung sowie Betrieb des O-Bus-Verkehrs in Gdingen angeschaut.

Neuestes Flaggschiff im Solaris-Trolley-Sortiment: der Doppel­gelenkbus Trollino 24. Bild: Bünnagel
Neuestes Flaggschiff im Solaris-Trolley-Sortiment: der Doppel­gelenkbus Trollino 24. Bild: Bünnagel
Claus Bünnagel

von Claus Bünnagel

In Deutschland gibt es heute nur noch Oberleitungsbusse in drei Städten: Esslingen, Solingen und Eberswalde. In Polen ist das Bild fast identisch: Auch hier sind es lediglich drei städtische Betreiber, die auf Trolleybusse setzen. Den größten Anteil im Lande hat PKT Gdynia (Gdingen) mit 45 % oder rund 
5,3 Mio. Fahrzeugkilometer, knapp vor MPK Lublin mit 43 % oder ca. 5,1 Mio. und TLT Tychy mit 12 % oder gut 1,4 Mio. (Zahlen von 2017). Zusammen kommen sie auf etwa 11,8 Mio. Fahrzeugkilometer im Jahr.

O-Busse seit 1943

Zwar plante Gdingen schon 1929 ein O-Bus-Netz. Unfreiwillige Geburtshilfe für seine Etablierung erhielt die polnische Ostseestadt aber erst im Zweiten Weltkrieg, als die deutschen Besatzer es aus Treibstoffmangel aufbauten. Am 
18. September 1943 fuhr der erste Oberleitungsbus vom Rathaus zum Hauptbahnhof. Zunächst bedienten zehn Henschel-Trolleybusse das Netz, die mit elektrischen Systemen von AEG ausgestattet waren. Die Karosserien wurden von der Danziger Waggonfabrik hergestellt. Während eines sowjetischen Angriffs 1945 setzte man die O-Busse als Barrikaden ein.

In der Nachkriegszeit gab es wie in vielen anderen europäischen Staaten noch einmal eine O-Bus-Blüte. Während sie im Rest Polens schon in den frühen 1960er-Jahren zu Ende ging, baute Gdingen sein System noch aus, so dass 1970 mit zehn Linien, 99 Fahrzeugen und 35 Mio. beförderten Personen ein Allzeithoch erreicht wurde. Aber bereits bis 1974 schrumpfte die Linienanzahl auf vier. Erst Ende 1988 verfügte der städtische Betreiber Miejski Zakład Komunikacji w Gdyni (MZK) wieder über 94 Oberleitungsbusse.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs begann auch der Niedergang von MZK, der 1994 aufgelöst wurde. Zum 1. Januar 1998 entstand die heutige PKT Gdynia (Przedsiebiorstwo 
Komunikacji Trolejbusowej Sp. z o.o. w Gdyni), die formell zur städtischen Verkehrsgesellschaft ZKM (Zarzad Komunikacji Miejskiej w Gdyni) gehört. Insgesamt leistet sich Gdingen gleich drei öffentliche Nahverkehrsunternehmen.

Ab 2000 begann die Modernisierung der Flotte nach der finalen Entscheidung pro O-Bus. Seit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 konnte diese Entwicklung dank Fördergelder forciert werden. Ein weiterer Meilenstein für die PKT war zudem der Bau eines neuen O-Bus-Depots im Stadtteil Leszczynki, das am 28. April 2007 eröffnet wurde. Außerdem wurden in dieser Zeit 10,5 km neue Oberleitungen in der Stadt installiert. Beide Maßnahmen kosteten zusammen 13,5 Mio. Euro und wurden zu 50 % vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ERDF) finanziert.

Batterien an Bord

Der Fuhrpark besteht heute im Wesentlichen aus Solaris Trollino mit 
12 und 18 m. Die Ausnahme bilden einige ältere Mercedes-Benz-Dieselbusse, die von der PKT in Eigenregie zu O-Bussen umgebaut wurden. Darunter befinden sich 28 Solos des Typs O 405 N/NE, modifiziert zwischen 2004 und 2010. Der Mercedes-Stern wurde aus markenrechtlichen Gründen entfernt. 2012 gingen in Gdingen außerdem zwei Citaro-Oberleitungsbusse in Betrieb. Die Wagen mit den Nummern 3053 und 3054 entstanden aus gebraucht erworbenen Dieselbussen des Baujahrs 2002 und stammen von der BVG.

2000 lieferte Solaris den allerersten vom Unternehmen produzierten O-Bus nach Gdingen, der bis heute im Dienst ist. 2005 bis 2007 folgten weitere zehn Solaris-Busse, jetzt erstmals mit Nickel-Cadmium-Akkus an Bord. Alle ab da von der 246.000-Einwohner-Stadt beim polnischen Busbauer beschafften Fahrzeuge, nämlich 78 Einheiten, sind mit Batterien für oberleitungsfreie Teilabschnitte ausgerüstet. Kein einziger Bus im PKT-Fuhrpark soll nämlich einen Dieselhilfsmotor besitzen. 20 davon waren ursprünglich mit Nickel-Cadmium-Akkus 
(6-16 kWh Kapazität, 3-5 km Reichweite) ausgestattet, 22 mit Lithium-Eisenphosphat-Batterien (40 kWh, 20 km). 21 von ihnen werden seit 2018 mit LTO-Zellchemie umgerüstet. Diese besitzt auch die jüngste Charge von 30 Solaris-O-Bussen für Gdingen, darunter erstmals 
16 Gelenkzüge. Sie führen eine Akkukapazität von 87 kWh mit, die 
14 Solos von 58 kWh. Das erlaubt eine Reichweite von jeweils ca. 35 km.

13 O-Bus-Linien

Insgesamt sind aktuell 103 O-Busse auf 13 ganzjährigen sowie zwei saisonalen Linien unterwegs und bedienen somit bei etwa 26 Mio. Passagieren im Jahr knapp 30 % der Personenkilometerleistungen in der Stadt sowie mehr als 26 % der Fahrzeugkilometer. Seit Mai 2019 werden auch Nacht-O-Busse eingesetzt. Ein Fahrzeug legt im Monat zwischen 4.000 bis 7.000 km zurück, im Jahr also 48.000 bis 84.000 km, im Schnitt rund 51.500 km. Die PKT beschäftigt aktuell 406 Mitarbeiter, darunter 263 Fahrer bei einem relativ hohen Frauenanteil von rund 25 %.

Das Oberleitungsnetz zwischen dem nordwestlichen Stadtteil Cisowa, dem mondänen Ostseebadeort Sopot und den nördlichen Vororten von Danzig beträgt ca. 87 km. Auf 
2 % der Streckenabschnitte sind die PKT-Busse mittlerweile oberleitungsfrei unterwegs, berichtet Dr. Marcin Wołek von der Universität Danzig. So beispielsweise seit Mai 2015 auf 1,8 km Länge der Linie 21 und seit Dezember 2016 auf 
4,2 km der Linie 29 ins edle Stadtviertel Fikakowo in südwestlicher Richtung vom Zentrum, wo man sich zwar ÖPNV, aber keine Oberleitungen gewünscht hatte, so PKT-Projektmanagerin Marta Woronowicz.

Zukunftspläne

Im Oktober 2018 folgten weitere zweieinhalb oberleitungsfreie Kilometer auf der Linie 31 zur Multifunktionshalle Ergo Arena. Von hier aus fährt die Straßenbahn in die Innenstadt von Danzig, sodass eine lokal emissionsfreie Verbindung von Gdingen bis in die alte Ostseemetropole gegeben ist. Und auch die Linie 34 nach Demptowo besitzt seit Mai 2019 einen 3 km langen oberleitungsfreien Abschnitt.

Und die Entwicklung soll weitergehen. Für 2020 ist geplant, sechs Dieselbusse auf der ZKM-Linie 170 durch sogenannte Super-Trolleys zu ersetzen. Die neue Generation von Solaris Trollino 12 Electric soll in der Lage sein, 50 % dieser Linie von der Innenstadt zum eingemeindeten Dorf Pogórze am südlichen Rand des flachen Moränenplateaus Kepa 
Oksywska oberleitungsfrei zu bewältigen. Dazu haben diese 12-m-Trolleys nicht nur die 87-kWh-Batterie der aktuellen Gelenkbusse an Bord, sondern können diese auch per doppelt isoliertem IMC-Ladesystem während der Fahrt an der Oberleitung mit 150 kW Leistung versorgen. Für den Antrieb sorgt ein 160-kW-Elektromotor. Rund 28 Mio. Euro beträgt die Investitionssumme der ab 2018 beschafften 30 Trolleys und für 2020 georderten sechs Super-Trolleys.

Doch die PKT setzt nicht alleine auf O-Busse. Ab 2021 bis 2023 soll auch eine vollelektrische Flotte mit zunächst 25 Einheiten aufgebaut werden. Außerdem plant die Lotus-Gruppe, die in Polen rund 500 Tankstellen betreibt und seit 2017 Mitglied im europäischen H2-Cluster ist, im Jahr 2021 eine Wasserstofftankstelle in Danzig in Betrieb zu nehmen. Damit sollen die Busbetreiber der Region ab frühestens 2022 in der Lage sein, auch Brennstoffzellenbusse einsetzen zu können – eine erste Absichtserklärung ist unterzeichnet.

Die PKT beabsichtigt, in den nächsten Jahren eine 5.000 m2 große Photovoltaikanlage auf dem Dach des Betriebshofs in Leszczynki zu errichten. Damit soll der Anteil erneuerbarer Energien, der im polnischen Strommix nur rund 15 % beträgt, erhöht werden. Das Verkehrsunternehmen erhofft sich dadurch eine Steigerung von 5 %. Die Leistung der Anlage ist mit 400 kW projektiert.

Vielleicht könnte für die PKT künftig auch der Einsatz des neuen Trollino 24 interessant werden. Der Doppelgelenkbus für bis zu 200 Fahrgäste war just zur Zeit unseres Besuchs in Gdingen zur Homologation dort, weil es Solaris am Werksstandort Bolechowo bei Posen an Oberleitungsstrecken fehlt. Eine kurze Strecke konnten wir in dem 24,7 m langen Vierachser mit zulässigem Gesamtgewicht von 38 t und IMC-System an Bord mitfahren.

Ein wichtiger Aspekt betrifft – auch hinsichtlich des zusätzlichen Energiebedarfs des In-Motion-Chargings – auch die Stromversorgung. Zur Energiebereitstellung stehen derzeit im PKT-Netz zehn Umspannwerke zur Verfügung. Die Gleichrichterunterwerke beziehen die elektrische Energie aus dem 525-kV-Hochspannungsnetz. Transformatoren mit einer Leistung von 2.400 kVA setzen diese Spannung auf etwa 660 V herab, mit denen die O-Busse der PKT betrieben werden. Diese besitzen Drei-Phasen-Motoren für Anfahrt, Fahrt und Bremsen. 
400 bis 700 A werden beim Beschleunigen benötigt. Ein Problem kann immer dann bestehen, wenn mehr als drei Fahrzeuge gleichzeitig anfahren. Denn in diesem Fall wird zu hoher Strombedarf aus dem Netz angefordert.

Die Steuerungszentrale im Umspannwerk in Redłowo muss daher nicht nur die Energieversorgung im Blick haben, sondern auch darauf achten, dass immer nur eine bestimmte Anzahl von O-Bussen auf einem Leitungsabschnitt unterwegs ist, damit es nicht zu einer Überlastung des Netzes kommt. Um dieses Problem abzumildern, gibt es mittlerweile in zwei Unterwerken – neben Redłowo auch Wielkopolska – Container mit Supercaps. Hier kann die Rekuperationsenergie der Fahrzeuge zwischengespeichert werden – kleine Mengen, die sich aber aufs Jahr gesehen lohnen. Die Verantwortlichen bei PKT sprechen von rund 20 % Rekuperationsrate. Die von der EU cofinanzierten Transformatoren und Supercaps in den Unterwerken sind aktuell rund fünf Jahre alt und auf eine Lebenszeit von ca. 20 Jahren ausgelegt.

Hohe Akzeptanz

Doch es kommt nicht nur auf die Technik, sondern auch die Akzeptanz und Nutzung der O-Busse in der Bevölkerung an. 2002, als die PKT das erste Mal ihre Fahrgäste befragte, war der Ruf der Oberleitungsfahrzeuge noch schlecht. Nur rund 7 % der Menschen wünschten sich neue Trolleybuslinien. Ungefähr 
28 % dagegen gaben an, das O-Busse durch Dieselpendants ersetzt werden sollten.

Dieses Bild hat sich schon bis 2015, der bislang letzten Erhebung, komplett gewandelt. Rund 17 % der Befragten hätte gerne neue Oberleitungslinien, nur noch 5 % würden sie durch Dieselbusse ersetzt haben wollen. Die Mehrheit von ca. 56 % hält das aktuelle Verhältnis für ausgewogen – 2002 waren es nur etwa 43 %. Insgesamt bewerteten die Einwohner von Gdingen 2018 die Qualität des ÖPNV mit stattlichen 4,23 auf einer Skala von 2 bis 5. Rund 37 % aller Wege wurden 2017 mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt, ca. 49 % mit dem eigenen Auto, das in rund 75 % der Haushalte von Gdingen vorhanden ist. Da aber 
77 % aller Einwohner nur maximal fünf Minuten von der nächsten Bushaltestelle entfernt wohnen, wird der Pkw auch relativ häufig stehen gelassen und stattdessen der ÖPNV genutzt.

Die stringente Entwicklung gerade ihres Busverkehrs wird nicht nur von den Bewohnern der Stadt Gdingen gewürdigt. 2014 zeichnete die Europäische Kommission die PKT mit dem Preis für das beste EU-Projekt in der Kategorie „CityStar – nachhaltige Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr“ aus. ■

Solaris: Neue Batteriegeneration

Im Rahmen der O-Bus-Veranstaltung in Gdingen stellte Solaris auch seine neue NMC-Batteriegeneration High Energy+ für seine vollelektrischen Modelle vor. Im Vergleich zur aktuellen Ausführung mit 50 kWh pro Modul und einer nutzbaren Energie von 
40 kWh konnte die Kapazität bei gleichem Bauraum um enorme 58 % auf 79 kWh gesteigert werden. Die nutzbare Energie liegt bei 63 kWh. Die Energiedichte der Zellen erhöht sich von 106 auf 
132 Wh/kg. Auch die Ladeleistung liegt mit 132 zu 85 W/kg deutlich über der der Vorgängergeneration, ebenso wie die Entladeleistung (198 zu 170 W/kg). Bei maximal sieben möglichen Modulen für einen Urbino 18 electric liegt die Höchstkapazität also künftig statt bei 350 nun bei 553 kWh, davon nutzbar 441 kWh. Geht man von einem realistischen Maximalverbrauch von 2,5 bis 2,7 kWh/km an kalten Wintertagen aus, dürfte die Mindestreichweite 163 bis 176 km betragen. Im Jahresschnitt konsumieren Elektrogelenkbusse etwa 1,75 kWh, was beim Urbino 18 electric einer Reichweite von 252 km gleichkäme. Einziger Wermutstropfen der neuen Batteriegeneration: Sie ist mit 599 kg pro Modul schwerer als der Vorgänger (470 kg). Sieben Module bringen also nun knapp 4,2 t auf die Waage – ein Mehrgewicht von rund 900 kg. Vorgestellt wird das Batterie-Update von Solaris auf der Busworld Europe im Oktober.

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