Kleiner mit Potenzial

Mit seiner Länge von 7,8 m bedient der Anadolu Isuzu Novociti Life ein von mitteleuropäischen Herstellern weitestgehend vernachlässigtes Stadtbussegment. Er könnte daher geschickt eine Nische nutzen. Wir sind den „Kleinen“ in Bonn gefahren.

Wendig ist er, der Novociti Life mit seinem kurzen Radstand und kleinen Überhängen. Bild: Bünnagel
Wendig ist er, der Novociti Life mit seinem kurzen Radstand und kleinen Überhängen. Bild: Bünnagel
Claus Bünnagel

von Claus Bünnagel

Der Trend geht im Stadtbusgeschäft zu großen Gefäßen, weil das Passagieraufkommen seit geraumer Zeit schrittweise ansteigt. Aber auf Schwachlastlinien oder engen Innenstadtkursen sind gleichzeitig auch kleine, wendige Fahrzeuge gefragt. Hier kann man auf diverse Minibusmodelle im Sprinter-Format zurückgreifen. Soll es aber eine Nummer größer sein, mit Platz für bis zu 60 Fahrgäste, dann schrumpft das Angebot gegen Null und setzt erst bei Fahrzeugen ab 9 bis 10 m Länge wieder ein.

Hier könnte der 7,8 m lange Anadolu Isuzu Novociti Life, ein in der Breite fast voll ausgewachsener Stadtbus im Taschenlängenformat, in eine kaum bediente Nische vorstoßen. Grund also für uns, den Türken mit japanischer Verwandtschaft, der 2017 auf der Busworld in Kortrijk Premiere feierte, einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Am Bosporus ist der Midi in LE-Ausführung bereits mit rund 300 Exemplaren unterwegs. Etwa 200 Einheiten gingen in den Export, vorrangig nach Osteuropa.

Agil und wendig

Von der Länge und ein paar Breitenzentimetern abgesehen, besitzt der Novociti Life alles, was sich auch in einem 12-m-Stadtbus findet: Einzelradaufhängung vorne, Aufdachklimaanlage, ESP, Automatikgetriebe, Brandmeldeanlage im Motorraum oder unzählige USB-Steckdosen im Fahrgastraum – um nur einige Ausstattungsmerkmale zu nennen. Ganz wichtig: Stabilisatoren an beiden Achsen, was natürlich gerade bei einem so agilen Fahrzeugtypen mit ultrakurzem Radstand von 
4,30 m Sinn macht.

Natürlich wollten wir die Fahrleistungen des Türken umgehend in schwierigem Terrain erleben – mit engen Ortsdurchfahrten und verwinkelten Gassen in Bonn und den umliegenden Dörfern wie auch knackigen Steigungen hinauf zur Rheinhöhe. Was uns sofort auffiel: Wie schon der große Bruder Citiport, den wir vor zwei Jahren getestet haben, wirkt das Fahrzeug sehr robust. Das muss es schließlich auch sein, ist es doch vorrangig für Länder mit teilweise schwierigen Straßenbedingungen konzipiert. Souverän liegt es auf der Straße, lässt sich gefühlvoll durch Engstellen und bei kleinen Kurvenwinkeln bewegen – vor allem dank des geringen Wendekreises von nur 14,5 m und den kurzen Überhängen. Die Federung erwies sich als sehr hart, allerdings war das Fahrzeug ja auch weitestgehend unbeladen. Bekannterweise relativiert sich dieser Eindruck bei steigender Passagieranzahl.

Auf den ersten Blick machen die 186 PS und 680 Nm des quer eingebauten Reihenvierzylinders FPT NEF4 von Fiat Powertrain Technologies nicht viel her. Doch wir hatten jederzeit genug Leistung, selbst die knackigen Steigungen hinauf nach Niederholtorf und Holzlar nahm der Novociti Life leichtfüßig – wohlgemerkt wie erwähnt im Leerzustand.

Doch es ist längst nicht alles Gold, was glänzt. So stimmt die Abstimmung im Wechsel vom ersten zum zweiten Gang überhaupt nicht. Der Motor dreht sehr langsam los bis zu 1.700 min–1 im ersten Gang. Im zweiten fällt dann die Drehzahl schlagartig auf 1.200 min–1 ab. Dabei ruckt der ganze Bus unangenehm. Auch der Gangwechsel von 2 zu 3 ist spürbar, wenn auch nicht in dem Maße. Laut Ingenieur Süleyman Tosunlu vom türkischen Firmensitz Çayırova südöstlich von Istanbul ist das Automatikgetriebe selbstlernend, es analysiert also permanent Fahrstil, Geländeprofil, Motorzustand und Fahrerbefehle, um die jeweils ideale Fahrstufe zu finden. Hieraus entwickelt der Rechner eine „Schaltstrategie“. Diese soll besonders harmonische und ruckfreie Gangwechsel ermöglichen, ohne dabei zulasten des Beschleunigungsvermögens und der Durchzugskraft zu gehen. In unserem Fall hat dies allerdings bis zum Ende der Testfahrt nicht optimal funktioniert.

Geräuschkulisse

Dagegen arbeitet die Fußbremse direkt und gut dosiert. Allerdings muss der Retarder zunächst per Tastenbetätigung aufs Pedal aufgeschaltet werden und reagiert spürbar erst in der dritten Stufe. Auch die Haltestellenbremse löst nicht durch Anfahren, sondern nur über den entsprechenden Kipphebel, die Feststellbremse ihrerseits mit lautem Zischen. Das sei so in der Türkei von den Fahrern gewünscht, bemerkt Tosunlu dazu.

Weniger für den Fahrer, aber für die Passagiere offenbart der Novociti Life eine weitere unangenehme Eigenschaft. Denn anscheinend nicht ausreichend zum Heckbereich hin gedämmt, brummt und wummert der italienische Reihenvierzylinder unüberhörbar. Unseren zunächst subjektiven Eindruck untermauerten auch die späteren Messungen: 75 dB(A) bei 50 km/h sind eindeutig viel zu viel. Bei 70 km/h zeigte das Schallpegelmessgerät sogar 79 dB(A) an. Das ist in etwa akustisches Rasenmäherniveau. Dass der Novociti Life nicht per se laut ist, zeigen die relativ guten Werte von 65 bis 66 dB(A) im Frontbereich bei 50 km/h. Die Kapselung des Motors ist also nicht ausreichend und damit der Übeltäter.

Überhaupt wirkt vieles in dem Midi nicht optimal verarbeitet – hier hat Anadolu eindeutig Nachholbedarf, will das Unternehmen auf dem mitteleuropäischen Markt erfolgreich sein. Die Verkabelungen im Bereich der Doppeltür sind nicht sauber ausgeführt, Kabelstecker nicht vor Verschmutzung geschützt, Kabelführungsrohre zusammengedrückt. Die Frontkamera hatte während der Fahrt mehrfach Störungen und zeitweise Komplettaussetzer. Viele Abdeckungen oder Klappenhalterungen wirken zudem nicht robust genug für den täglichen ÖPNV-Einsatz, ebenso die Cockpittür. Gut dagegen ist der Zugang zu den Kabelbäumen hinter den Deckenverschalungen und zum Motor.

Display im Münzenformat

Als schwergängig erwiesen sich die Schiebefenster im Fahrgastraum und am Fahrerarbeitsplatz. Für den Bus-Chauffeur gibt es zudem zu wenige Ablagen. Als schöne Idee, aber in der Pkw-mäßigen Ausführung ein wenig verschenkt, erweist sich das Fahrerassistenzsystem von Mobileye. Es zeigt Geschwindigkeitsvorgaben, Verkehrsschilder sowie vorausfahrende Fahrzeuge an und verfügt über eine Personenerkennung. Aufgespielt wird das alles auf einem münzgroßen Display an der A-Säule – viel zu klein für den hektischen Arbeitsalltag. Dafür sind seine Warnsignale im gesamten Bus zu hören – suboptimal. Zudem warnt das System auch bei Personen auf dem Bürgersteig bei Vorbei- und Kurvenfahrt. Im Gegensatz zu dem modernen, wenn auch zu kleinen Mobileye-Display wirken das Cockpitdesign, die Menüs im Zentraldisplay sowie das einfache Lenkrad ohne Multifunktionstasten altbacken.

Trotz der kurzen Länge des Novociti Life bietet die Sonderfläche gegenüber Tür 2 Platz für zwei Kinderwägen. Ist sie nicht belegt, können die Fahrgäste hier vier Klappsitze nutzen. Unmittelbar hinter dem LE-Bereich beginnt der Aufstieg mit drei Stufen zur Hecksitzbank, die die kurze Hochbodenzone abschließt. Das schmale Heckfenster lässt nur wenig Licht in den dunklen rückwärtigen Bereich.

Viele Komponenten und Ausstattungselemente des türkischen Midis stammen von europäischen Qualitätsherstellern oder etablierten türkischen Zulieferern. Die Ersatzteilbereitstellung sollte daher gewährleistet sein. Die Achsen kommen aus Norditalien vom Spezialisten Brist, der bis 2014 als Voith Turbo Drive Systems firmierte und ab 2014 von den ehemaligen Otokar-Mitarbeitern Remzi Oduncu und Ahmet Hacıyunus zu 49 % übernommen wurde. Grammer liefert die Sitze für Fahrer und Passagiere, Eberspächer die Standheizung, Tesa Automotive die Türen und die Klapprampe, Safkar die Aufdachklimaanlage, VDO den Tachografen und Lawo die Fahrtzielanzeige. Ein Fragezeichen steht hinter dem verwendeten Allison-Automatikgetriebe, gelten doch die Produkte der US-Amerikaner als energiehungrig. Optional kann jedoch auch das Handschaltgetriebe ZF 6S 1010 verbaut werden.

Leichtgewicht

Eine Unbekannte ist ebenfalls die Qualität des Aufbaus. Denn da das kathodische Tauchbad in Çayırova recht klein dimensioniert ist und nicht einmal das kurze Gerippe des Novociti Life aufnehmen kann, müssen die jeweiligen Segmente einzeln getaucht und anschließend verschweißt werden. Später würden die Nähte aber nachbehandelt, versichert Süleyman Tosunlu. Relativ wenig Gewicht steuern die Seitenbeplankung aus Aluminium und die Front- und Heckverkleidungen aus GFK bei. Nicht zuletzt deswegen ist der Midi mit 6,8 t ein echtes Leichtgewicht und kann daher die maximal 53 Passagiere im Testbus oder je nach Sitzkonfiguration auch bis zu 60 Fahrgäste mühelos aufnehmen, ohne in Gewichtsnöte zu geraten.

Für diese beachtliche Beförderungskapazität auf nur 7,8 m Länge muss man zudem nicht allzu tief in die Tasche greifen. Inklusive diverser Modifikationen für den deutschen Markt sind lediglich 125.000 Euro zu berappen. Geliefert werden kann innerhalb von nur vier Monaten. Allerdings ist Anadolu Isuzu in Fragen der Ersatzteilversorgung, Service und Wartung noch nicht gut aufgestellt in Europa. Deshalb plant man den Aufbau eines eigenen Tochterunternehmens hierzulande sowie ein europäisches Zentrallager – möglichst in Deutschland, berichtet Anadolu-Isuzu-Berater Metin Ataman. Vorstellbar sei eine Kooperation mit der Isuzu Deutschland GmbH in Flörsheim am Main nördlich von Rüsselsheim. Diese vertreibt Pick-ups und leichte Lkw. Dagegen ist die Kooperation mit Omnicar definitiv vorbei. In Sachen Service und Wartung möchte man möglichst mit freien Partnern zusammenarbeiten – in der Regel in Kundennähe.

Zielgröße für den Absatz in Deutschland sind 70 bis 100 Einheiten im Jahr – Stadt- wie Reisebusse aller Typen von Anadolu Isuzu. Der Novocity Life soll dem Publikum erneut auf der Busworld Europe im Oktober in Brüssel präsentiert werden – nebst einem 12-m-Elektrobus. ■

Datenblatt: Anadolu Isuzu Novociti Life

Motor

Quer eingebauter Reihenvierzylinder 
FPT NEF4 (Fiat Powertrain Technologies), Abgasnorm Euro 6c, SCR-Technik, Ladeluftkühlung

Hubraum: 4.500 cm3

Nennleistung: 137 kW/186 PS bei 
2.500 min–1

Max. Drehmoment: 680 Nm bei 
1.400 min–1

Kraftübertragung

Getriebe: Automatikgetriebe 
Allison T3270R XFE

Antrieb: auf die Hinterachse, i = 4,454

Fahrwerk

VA: Einzelradaufhängung von Brist, Stabilisator

HA: Hinterachse von Brist, Stabilisator

Lenkung: hydraulisch

Reifen: Michelin X Multi Z 225/75 R 17.5

Bremsanlage/Assistenzsysteme

EBS mit ABS und ASR, ESP, Retarder, Motorbremse, Haltestellenbremse

Ausstattung (Auswahl)

Stahlgerippe, kathodische Tauchlackierung (KTL), Seitenbeplankung aus Aluminium, Front- und Heckverkleidungen aus GFK, elektrisch verstellbare Außenspiegel, Türen (v: pneumatische Innenschwenktüren, M: pneumatische Doppelaußenschwenktür) und Rollstuhlklapprampe von von Tesa Automotive, H7-Scheinwerfer, Lawo-Fahrtzielanzeige, Parksensor, Aufdachklimaanlage von Safkar (Kühlleistung: 27,5 kW) mit Frontbox, Frontheizgerät, Standheizung von Eberspächer, Dachluke, Brandmeldeanlage im Motorraum, Fahrgastsitze und Fahrersitz von Grammer, Kamerasystem mit Digitaldisplay von Mobileye, Tachograf von VDO, Radio und MP3-Player, Fahrermikrofon, USB-Steckdosen im Fahrgastraum

Maße und Gewichte

Länge/Breite/Höhe (mit Klimaanlage): 7.863/2.435/3.184 mm

Radstand: 4.259 mm

Überhänge (v/h): 1.940/1.664 mm

Wendekreis: 14.520 mm

Innenstehhöhe: 2.475 mm

Leergewicht: 6.860 kg

Zul. Achslasten (VA/HA): 4.255/6.855 kg

Zul. Gesamtgewicht: 11.110 kg

Fahrgastkapazität (Sitz-/Stehplätze): 21/28 + 4 Klappsitze = 53

Tankinhalt (Diesel/AdBlue): 130/30 l

Preis

Testbus: 125.000 Euro

Wertung

Geringes Leergewicht, robuste Bauweise, großes Fahrgastangebot auf nur 7,8 m Länge, Komponenten von Markenherstellern, Wendigkeit, gute Fahr- und Antriebsleistungen, stabile Straßenlage, gute Zugänglichkeit zum Motorraum, große Sonderfläche, attraktiver Kaufpreis

Ungenügende Geräuschkapselung des Motors, unausgewogenes Schaltmanagement, Verarbeitungsmängel, dunkler Heckbereich, wenige Ablagefächer für den Fahrer, fehlende lokale Ersatzteilversorgung in Deutschland

Fazit: Klein, aber oho!

Der Novociti Life ist ein interessantes Fahrzeug für den deutschen Markt – vor allem deshalb, weil es derzeit wenig Vergleichbares gibt, schon gar nicht zum Preis von 125.000 Euro. Bislang konnte er jedoch in Mitteleuropa hauptsächlich nur nach Frankreich, Italien und Dänemark verkauft werden. Um in Deutschland erfolgreich zu sein, müssen in der Regel auch Ersatzteilversorgung, Service und Wartung stimmen. In allen drei Punkten hat Anadolu Isuzu eindeutig Nachholbedarf. Das gilt auch für die Verarbeitungsqualität des Midis, die sollte erheblich verbessert werden, um in Mitteleuropa dauerhaft Kunden zu binden. „Wir wollen Flagge zeigen. Wenn man in Deutschland Busse verkauft, kann man das überall“, gibt Metin Ataman die Marschrichtung aus. Wir vom busplaner sind gespannt auf Taten und beobachten den Prozess mit großem Interesse.