Volvo Trucks zieht Bilanz: Fünf Jahre Elektromobilität und die Zukunft der E-Lkw

Vor fast genau fünf Jahren hat Volvo Trucks seinen ersten E-Lkw ausgeliefert. Ein guter Zeitpunkt, um mit dem deutschen Vertriebsdirektor Christoph Fitz nicht nur Bilanz zu ziehen, sondern auch einen Blick in die Zukunft der Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen zu werfen.

„Die schweren Lkw setzten voraus, dass eine entsprechende Hochvolt- Ladeinfrastruktur für den Fernverkehr existiert. Und da hapert es bisher noch deutlich.“ - Christoph Fitz, Vertriebsdirektor für Volvo Trucks Deutschland | Bild: Volvo Trucks
„Die schweren Lkw setzten voraus, dass eine entsprechende Hochvolt- Ladeinfrastruktur für den Fernverkehr existiert. Und da hapert es bisher noch deutlich.“ - Christoph Fitz, Vertriebsdirektor für Volvo Trucks Deutschland | Bild: Volvo Trucks
Christine Harttmann

VisionTransport : Fünf Jahre Elektromobilität sind für Volvo ein guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen. Denn seitdem ist viel passiert. Wie sah der erste Volvo-Lkw aus?

Christoph Fitz: Fast genau fünf Jahre ist es her, dass wir das erste Kundenfahrzeug in Europa ausgeliefert haben. Das war im Mai 2019 in Deutschland. Es war ein Müllfahrzeug der Stadtreinigung Hamburg mit einer Faun Roto Presse als Aufbau. Später hatten wir das Fahrzeug auch auf der IAA.

Die Kilometerleistung war an die übliche Tagesfahrleistung eines Müllsammelfahrzeugs angepasst. Das waren etwa 120 Kilometer. Alles, was wir vorher gezeigt haben, waren Testfahrzeuge. Die hatten sehr unterschiedliche Reichweiten, schon allein weil wir sie mit unterschiedlichen Aufbauten getestet haben.

Reichweiten und Nutzlasten sehen heute ganz anders aus, für fast jeden Einsatz hat Volvo Trucks heute einen E-Truck im Angebot. War das eine kontinuierliche Lernkurve oder gab es bestimmte Tipping Points, die zu entscheidenden Sprüngen in der Entwicklung geführt haben?

Grundsätzlich hat Volvo bei der Elektrifizierung seiner Lkw-Modelle von Beginn an klare Prioritäten gesetzt. Im ersten Schritt ging es um den kommunalen und regionalen Verkehr. Der war und ist uns schon deswegen besonders wichtig, weil wir bei Volvo der Überzeugung sind, dass fast 50 Prozent des Verkehrs in Europa unter 300 Kilometer am Tag fahren.

Und warum soll ich 15 Meter springen, wenn fünf Meter zunächst auch reichen? Das begründet unsere Modellentwicklung, so wie sie ist und war. Aber es war uns von Anfang an auch klar, dass die Entwicklung weitergehen muss. Daraus entstanden dann unter anderem die Sattelzugmaschinen, unsere Fernverkehrsfahrzeuge. Ein paar Technologiesprünge gab es natürlich auch in dieser Evolution. Die waren jedoch immer sehr bedarfsorientiert. Einer der wirklich großen Sprünge war dabei der Batteriewechsel.

Für Sie stellt sich also weniger die Frage, ob alles möglich war, sondern vielmehr, was die Kunden wollen oder brauchen?

Ja. Entscheidend ist immer, was wirklich praktikabel anzuwenden ist. Die schweren Lkw, die wir jetzt auch im Angebot haben, setzten voraus, dass eine entsprechende Hochvolt-Ladeinfrastruktur für den Fernverkehr existiert. Und da hapert es bisher noch deutlich. Aber natürlich hören wir deswegen nicht auf, die Fahrzeuge zu entwickeln.

Für Volvo war jedoch schon früh klar, dass es wichtig ist, dem Kunden möglichst für alle Anwendungsbereiche ein Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Damit wollen wir für ihn die Hürde des Umstiegs senken. Deshalb gibt es heute von uns jedes Lkw- Modell auch elektrisch. Der Kunde muss ihn nur ausprobieren. Wir nehmen ihn an die Hand, rechnen alles für ihn durch. Dann sieht er, ob der E-Lkw für seine Anwendung wirklich funktioniert. Das ist natürlich immer ein konkreter Anwendungsfall. Deshalb bieten wir als Hersteller dem Kunden auch nur die Fahrzeuge an, die im jeweiligen Anwendungsfall funktionieren.

Aber es gibt auch Grenzen. So gibt es spezifische Anwendungsfälle, gerade im Hochvoltbereich, wo sich die Frage stellt, ob und wie eine Ladeinfrastruktur überhaupt organisiert werden kann und wie das Laden dann ganz praktisch im Betrieb klappt. Und dann muss man sich auch fragen, ob man die Reichweite, die man erzielen kann, auch wirklich nutzen will.

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Hinsichtlich E-Lkw ist Volvo Trucks inzwischen sehr breit aufgestellt. Für fast jede Anwendung gibt es ein Modell. | Bild: Volvo Trucks

Womit wir beim Thema Reichweite wären. Wo steht Volvo heute?

Wir beschreiben unsere Tagesreichweiten mit fünf bis 600 Kilometern. Das beinhaltet einen Ladestopp in der Mittagspause, die nach viereinhalb Stunden ohnehin eingelegt werden muss. Für den Vormittag reichen dem Fahrer dann 300 Kilometer, danach lädt er wieder voll. Warum also einen Lkw mit großen und schweren Batterien vollpacken, wenn man die Reichweite gar nicht braucht? Und anderthalb Tonnen weniger Batterie bedeutet eben auch anderthalb Tonnen mehr Ladung, und das trotzdem ganz entspannt ohne Reichweitenangst.

Aber im Prinzip können wir die Fahrzeuge, je nach Modell, mit zwei bis sechs großen Batterien ausstatten. Diese modulare Anordnung ist ein großes technisches Plus, das uns viel Flexibilität für die verschiedenen Anwendungsfälle gibt. Je nach Aufbauhersteller und Aufbau inklusive des jeweiligen Nebenantriebs kann der Kunde so die für ihn beste Konfiguration wählen. Und – auch das ist wichtig – die Nebenantriebe sind bei uns in das elektrische System integriert. Wir brauchen also auch dafür kein eigenes Dieselaggregat mehr.

Wichtig für die Kunden sind auch die Ladezeiten der E-Lkw. Ein E-Lkw mit maximaler Batteriekapazität, wie lange dauert so ein Ladevorgang?

Das hängt von der Anschlussart und der Ladestärke ab. Im normalen Anwendungsbereich, wenn jemand 200 Kilometer fährt, ist die Batterie etwa zu zwei Dritteln leer. Beim Schnellladen reden wir von 30 bis 60 Minuten.

Aufbau des Ladenetzes – das ist ein weiterer wesentlicher Knackpunkt. Wie schnell schaffen wir es in Europa tatsächlich, ein Ladenetz aufzubauen, das den E-Lkw auf die Langstrecke bringt?

Das ist eine Frage, die wir nicht wirklich beantworten können, weil wir nicht die richtigen Ansprechpartner sind. Aber ich denke, wenn wir in den nächsten drei bis fünf Jahren tatsächlich eine flächendeckende Versorgung hinbekommen, dann ist das sehr, sehr schnell.

Aber gerade unter diesem Aspekt ist das Angebot von Volvo zielkundenorientiert. Wir gehen in unseren Planungen davon aus, dass wir zumindest in den nächsten Jahren noch hauptsächlich über Depotladen reden müssen, auch weil dort der Netzausbau, trotz vieler Hürden, etwas schneller gehen wird.

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Depotladen – eine wichtige Säule bei der Elektrifizierung des Schwerverkehrs. Ein Großteil der Ladevorgänge findet hier statt. | Bild: Volvo Trucks

Womit wir wieder bei den Subventionen wären. Nicht nur die Fördertöpfe für die Lkw, auch die für die Ladeinfrastruktur sind inzwischen leer. Macht sich das bemerkbar?

Ja, das merken wir. Alle stehen jetzt auf der Bremse. Das betrifft auch Kunden, die bisher sehr aktiv waren und schon sehr viel investiert haben. Natürlich werden sie ihre Investitionen nicht auf Null zurückfahren, aber im Moment arbeiten sie schon mit einer deutlich angezogenen Handbremse. Sie wissen einfach nicht, wie sich die Fördersituation und die Kosten entwickeln werden.

Diese Planbarkeit ist aber gerade für die Gewerbetreibenden essenziell. Sie müssen ihre Kostenstrukturen kennen und damit planen. Wenn dann ein Teil ihres Finanzierungsblocks wegbricht, wird es für sie immer schwieriger zu kalkulieren. Und wenn unseren Kunden die Planungsgrundlage fehlt, wird es für uns doppelt schwierig. Denn um die Fahrzeuge zu bauen, brauchen wir einen bestimmten Einkaufszyklus.
Wenn wir zum Beispiel eine Batterie bestellen, dauert es etwa zwölf bis 18 Monate, bis wir sie im industriellen Sinne bekommen. Insofern ist und war die Fördersituation in Deutschland tatsächlich auch in gewisser Weise ein Hemmnis für uns.

Dabei hatten wir doch die beste Fördersituation überhaupt in Europa.

Nachdem wir in den letzten Jahren einige Fahrzeuge auf den Markt gebracht haben, haben wir bei Volvo durch unsere frühe Serienproduktion auch durchaus davon profitiert. Aber dass der Planungshorizont jetzt unterbrochen ist, das ist nun eine große Herausforderung.

Eine Wiederaufnahme der KsNI-Förderung ist jedoch nicht geplant?

Es sieht nicht danach aus. Aber es gibt jetzt einige regionale Fördertöpfe, allerdings in viel geringerem Umfang. Baden-Württemberg zum Beispiel hat eine gute Förderung, die aber auch nicht annähernd die weggefallene KsNI-Förderung kompensiert.

Aber sie hilft auch?

Alles hilft. Aber der große Sprung, also der flächendeckende Einsatz von Elektromobilität, wird erst dann kommen, wenn die realen Kosten – wir sprechen hier von den Total Costs of Operations – annähernd gleich sind wie beim Diesel. Dann kommen wir wirklich in die Breite.

Konkret: Der Kunde wäre heute bereit, rund 30 Prozent mehr für seinen Lkw zu bezahlen, wenn er diese Kosten dann über Steuern, Maut- und Energieeinsparungen wieder hereinholt. Und da reden wir über einen Lebenszyklus von vier bis fünf Jahren. Solange das nicht der Fall ist, wird es sehr schwer sein, die Elektromobilität beim Lkw in der Breite zum Fliegen zu bringen.

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Ehe sich der E-Lkw im Fernverkehr durchsetzen kann, muss die Ladeinfrastruktur dringend weiter ausgebaut werden. | Bild: Volvo Trucks

Wie schafft Volvo es da dann, die Kunden zu überzeugen?

Das ist in der Tat schwierig. Aber es gibt auch heute noch Anwendungen, bei denen der E-Lkw Sinn macht. Zum Beispiel im kommunalen Bereich. Dort macht die Politik oft ganz klare Vorgaben zu CO2-Einsparzielen. Entscheidend ist in diesen Fällen rein der politische Wille der Kommune oder der Landesregierung.

Die Stückzahlen sind aber vergleichsweise gering. Es gibt auch private Unternehmen, die ihren eigenen Strom produzieren. Diese können dann schon über die eingesparten Energiekosten einen Use Case generieren. Allerdings ist es bei den heutigen Fahrzeugpreisen immer noch sehr schwierig, einen E-Lkw ohne Förderung in Betrieb zu nehmen.

Was also ist Volvo Trucks weitere Strategie?

Natürlich beraten wir jeden intensiv. Wir nehmen die Kunden an die Hand und zeigen ihnen, welche Möglichkeiten es für sie gibt. Schließlich findet man immer wieder Anwendungen, bei denen Elektromobilität auch ohne oder mit geringer Förderung Sinn macht. Man muss nur genau rechnen.

Wir als Hersteller sind sehr bemüht, die Kosten der Fahrzeuge so zu optimieren, dass wir die Transformation der Kunden hin zur Elektromobilität weiter unterstützen. Aber ohne Förderung oder Unterstützung der jeweiligen regionalen und überregionalen Regierung tun wir uns da oft schwer. Das muss nicht immer die alte KsNI-Förderung sein. Auch das Wirtschaftsministerium hätte über Steuererleichterungen oder andere Hebel die Möglichkeit, den E-Lkw zu fördern.

Außerdem wäre der Mautansatz eigentlich ein ganz guter Ansatz. Er reicht aber nicht für alle Anwendungsfälle aus. Insofern halten wir die Kritik der Verbände, dass mit der Maut viel Geld generiert wird, das dann nicht wieder dem Straßengüterverkehr zugutekommt, für berechtigt. Die Maut spült enorme Gelder in die Staatskasse, aber kaum etwas fließt anschließend in den eigentlichen Verkehrssektor zurück. Dabei hätte man die Möglichkeit, mit diesen Geldern die E-Mobilität dort zu fördern, wo es nötig ist.

Was uns bei Volvo Trucks betrifft, so gehen wir den strategischen Weg weiter, den wir eingeschlagen haben. Für uns gibt es international noch andere Märkte. Dort werden wir weiter stark verkaufen. Aber Deutschland – bisher der zweitstärkste Markt für uns nach den USA – wird, mit Blick auf die E-Lkw, kurz- bis mittelfristig wohl voraussichtlich leider keine großen Impulse zur nötigen Transformation setzen.

Das Interview führte Christine Harttmann.

Dieser Artikel erschien in der VISION Transport Ausgabe Sommer 2024