Köpfe der Branche: Markus Erdmann von Designwerk über die Elektrifizierung des Lkw

Markus Erdmann, Leiter Produktmanagement E-Lkw bei der Designwerk Technologies AG. Im Interview erklärt er, warum nach seiner Überzeugung Batterieelektrische (BEV) Nutzfahrzeuge zukünftig den Markt dominieren werden.

Markus Erdmann (Designwerk): "Mit 400 Kilometern Reichweite können 50 Prozent aller Fahrten im Fernverkehr in Europa abgedeckt werden können, mit 600 Kilometern Reichweite etwa 90 Prozent aller Trips." (Foto: Designwerk)
Markus Erdmann (Designwerk): "Mit 400 Kilometern Reichweite können 50 Prozent aller Fahrten im Fernverkehr in Europa abgedeckt werden können, mit 600 Kilometern Reichweite etwa 90 Prozent aller Trips." (Foto: Designwerk)
Christine Harttmann

Herr Erdmann, mittlerweile bieten alle großen Lkw-Hersteller Elektrofahrzeuge an. Was glaubt Designwerk besser zu machen, als die großen Player am Markt?Wir sind die Spezialisten, wenn es um Reichweiten und spezielle Anwendungsbereiche geht. Wir haben Pioniergeist bewiesen, indem wir den ersten vollelektrischen Betonmischer, das erste Kanalreinigungsfahrzeug oder den ersten Autotransporter entwickeln haben. Mittlerweile sind mehr als 200 Nutzfahrzeuge von uns auf der Straße. Unsere Kunden haben damit mehr als sechs Millionen Kilometer erfolgreich absolviert und gezeigt, dass die Elektrifizierung in den unterschiedlichsten Branchen absolut möglich und sinnvoll ist. Das gleiche gilt auch für den Fernverkehr. Wir haben das einzige Nutzfahrzeug auf der Straße, das voll beladen mehr als 600 Kilometer Reichweite hat. Dazu gibt es derzeit keine Alternativen.

 

In den vergangenen Jahren haben alle führenden Lkw-Hersteller sehr viel investiert, um den Verbrennermotor effizienter und sauberer zu machen. Mit Erfolg. Warum soll der Schwerlastverkehr dennoch auf alternative Antriebsformen umsteigen?

Auch im vergangenen Jahr hat der Verkehrssektor deutlich mehr Emissionen ausgestoßen als 1990. Während alle anderen Bereiche wie beispielsweise der Energiesektor oder die Industrie es geschafft haben, ihre Emissionen deutlich zu reduzieren. Wir haben es also nicht geschafft, reale Lösungen für die Treibhausemissionen zu finden, obwohl die Verbrenner deutlich effizienter geworden sind. Wenn überhaupt, sprechen wir historisch betrachtet von einer Verbesserung der Kraftstoffeffizienz um 0,5 Prozent pro Jahr. Darin liegt das Problem und die Erklärung, warum es keine Alternative zu Zero-Emission-Fahrzeuge geben kann.

 

Demgegenüber steht das Entwicklungspotenzial von BEVs. Wie hat sich der Markt hier in den vergangenen Jahren verändert?

Wir müssen uns nur die Entwicklung von Designwerk anschauen. In den vergangenen Jahren sind die Batterien beispielsweise jährlich um acht Prozent besser geworden. Wenn sie diesen Trend weiterdenken, sind sie bei der disruptiven Innovation angelangt. Batterieelektrische Pkw verkaufen sich schon sehr schnell und sehr gut, die Wachstumsraten sind hoch. Diese Entwicklung wird sich auch bei den Lkw ein paar Jahre verzögert zeigen. Aufgrund dieser Verbesserungsraten werden vollelektrische Lkw zukünftig den Massenmarkt bedienen und den Dieselantrieb ersetzen.

 

Nach wie vor ist viel Aufklärungsarbeit nötig, um mit falschen Vorstellungen der Elektromobilität aufzuräumen. Eine davon besagt, dass die Reichweite für den Fernverkehr längst nicht ausreicht. Wie begegnen Sie solchen Mythen?

Daten der TU Eindhoven zeigen, dass mit 400 Kilometern Reichweite 50 Prozent aller Fahrten im Fernverkehr in Europa abgedeckt werden können, mit 600 Kilometern Reichweite etwa 90 Prozent aller Trips. Das schaffen wir heute schon voll beladen, wenn die Routen entsprechend geplant sind. Die Herausforderung liegt also nicht in der Reichweite, sondern in der Ladeinfrastruktur. Hier ist mit dem Megawatt Charging System bald eine Technologie verfügbar, die eine Nachladung von rund 500 Kilometern in weniger als einer halben Stunde möglich macht. Das unterschreitet sogar die gesetzlich vorgeschriebene Lenkpause der Lkw-Fahrer.

 

Dennoch haben andere alternative Antriebsarten wie Brennstoffzellenfahrzeuge einen Reichweitenvorteil, oder?

Wenn wir das Entwicklungspotenzial beider Techniken vergleichen, ist das nicht zutreffend. Die Speicherkapazität von Brennstoffzellenfahrzeugen ist inhärent limitiert. Mit einem 700-bar-Tank ist das sinnvolle Maximum erreicht. Damit schaffen Sie zwischen 600 und 800 Kilometer. Tankstellenbetreiber gehen jedoch eher von einer Befüllung von 350 bar aus, weil es aufgrund von kleineren Verlusten zu geringeren Wasserstoffpreisen an der Tankstelle führen wird. Das ist essenziell für preissensible Lkw-Kunden. Damit erreichen Sie weniger als 500 Kilometer. Insofern hat meiner Meinung nach auch hier das BEV die Nase vorn, insbesondere weil die Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen ist und zukünftig aufgrund der hohen Verbesserungsrate noch viel größere Reichweiten möglich sein werden.

 

Wie lange wird es dauern, eine öffentliche Infrastruktur mit dem Megawatt Charging System aufzubauen?

Im privaten Bereich ist momentan viel in Bewegung. Wir haben Kunden, die sich der Herausforderung stellen, weil sie einfach sehen, dass derzeit noch keine öffentliche Infrastruktur vorhanden ist. Sie sind sicher in zwei, drei Jahren in der Lage, über ihre Depots und Hubs weite Strecken abzudecken. Im öffentlichen Bereich ist derzeit das Joint Venture der Traton Group, Daimler Truck und Volvo Group am spannendsten. Es sieht vor, mindestens 1.700 Hochleistungsladepunkte für Ökostrom an und in der Nähe von Autobahnen sowie an Logistik-Hubs in Europa zu errichten und zu betreiben. Ich denke darauf können wir ab der zweiten Hälfte dieser Dekade setzten. Eine PwC-Studie kommt zu dem Schluss, dass zur Errichtung einer öffentlichen Ladeinfrastruktur rund 15 Milliarden Euro notwendig sind. Eine gute Infrastruktur für andere Technologien wie beispielsweise dem Oberleitungssystem oder für Brennstoffzellenfahrzeuge aufzubauen, wären Investitionen von mehreren Dutzend Milliarden Euro nötig.

 

Ein weiterer Hindernisgrund für viele Logistikdienstleister sind die hohen Anschaffungskosten für einen Elektro-Lkw. Wann rechnet sich ein vollelektrisches Nutzfahrzeug überhaupt?

Das kommt natürlich ganz auf die entsprechenden Fahrzeuge und Märkte an. In der Schweiz sind die Fahrzeuge beispielsweise von der Schwerverkehrsabgabe befreit. Hier ist die Gewinnschwelle schon nach wenigen Jahren erreicht. Das gleiche gilt für die Energiekosten, die immer in die Total cost of ownership (TCO) miteinbezogen werden müssen. Wenn diese wie beispielsweise in Norwegen sehr günstig sind, rechnet sich das Fahrzeug schnell. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Anschaffungskosten von BEVs dauerhaft höher sein werden. Allerdings wird der Faktor im Vergleich zum Dieselfahrzeug deutlich abnehmen, sodass die TCO zukünftig in weiten Teilen Europas bis zu 40 Prozent günstiger sein werden als Verbrenner. Brennstoffzellenfahrzeuge werden hingegen mit ziemlicher Sicherheit teurer als ein Diesel-Lkw bleiben und insbesondere auch teurer als Batterieelektrische.

 

Reicht die Förderung der batterieelektrischen Fahrzeuge durch die Politik aus. Oder kann sie mehr tun?

Die Schweiz hat es sich hier mit der Befreiung der Schwerverkehrsabgabe relativ leicht gemacht. Ich habe das Gefühl, dass die Methode in Deutschland, 80 Prozent der Investitionsmehrausgaben zu fördern, komplizierter ist, da die Unternehmen immer auf die Förderbescheide warten müssen. Das schafft nicht unbedingt Planungssicherheit. Insofern sehe ich hier noch Potenzial.

 

Wie hoch ist der durchschnittliche Nettonutzlastverlust beim BEV im Vergleich zum Diesel Lkw?

Grundsätzlich lässt sich sagen, für Fahrzeuge mit bis zu 500 Kilowattstunden haben wir nur einen marginalen Nutzlastverlust, da wir fast in jedem europäischen Land zusätzlich zwei Tonnen mehr bekommen. Dabei dürfen wir allerdings die Achslast nicht übertreten. Bei rund drei Vierteln unserer Fahrzeuge haben wir demnach keinen Nachteil bezüglich der Nutzlast. Bei größeren Batteriekombinationen zwischen 750 und 1000 Kilowattstunden haben wir einen Nutzlastverlust, der jedoch von unseren Kunden in Kauf genommen wird, da sie dafür auch eine unerreichte Reichweite beziehungsweise Einsatzdauer bekommen.

 

Wie viel Energie kommt bei batterieelektrischen Fahrzeugen tatsächlich am Reifen an?

Bei einem normalen Nutzungsprofil haben wir fahrzeugseitig einen Wirkungsgrad von rund 85 Prozent. Verglichen mit einem Verbrenner, der bei realen Fahrzyklen teilweise weniger als 30 Prozent Wirkungsgrad aufweist, ist das mehr als dreimal so viel. Hinzu kommt die Rekuperation, also die Energie, die beim Bremsen zurückgewonnen wird. Mehr als 400 Kilowatt, die eigentlich verloren wären, können wir so zurückgewinnen. Brennstoffzellenfahrzeuge erreichen nur einen Fahrzeugwirkungsgrad von knapp über 40 Prozent im Realeinsatz. Aufgrund der Vorkettenverluste erzielen sie in der Well-to-Wheel-Betrachtung nur 17,8 Prozent. Im Vergleich dazu weisen die BEVs einen Faktor auf, der 4,3-mal effizienter ist. Das wird sich in jedem Fall preislich enorm stark bemerkbar machen.

 

Kann man sagen, dass es Einsatzfelder gibt, die besser für Brennstoffzellenfahrzeuge beziehungsweise für BEVs geeignet sind?

Meiner Meinung nach gibt es keine wirklich guten Einsatzfelder für die Brennstoffzelle. Das Verbesserungspotenzial hält nicht mit den BEVs mit. Das Megawatt Charging System wird auf Dauer auch die letzten Skeptiker überzeugen. Das heißt nicht, dass es nicht Spezialanwendungen für Fuel Cells geben kann wie in der Aviatik oder bei Reisebussen. Aber nicht im Fernverkehr und generell im Schwerlastverkehr. Brennstoffzellenfahrzeuge werden jedoch über ein Nischendasein nicht hinauskommen.

 

Welche Vorteile haben BEVs bezüglich der Umweltverträglichkeit?

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, eine Cradle-to-crave-Analyse durchzuführen. Das Ergebnis: Ein vollelektrischer LKW in der Schweiz spart schon heute 80 Prozent CO2 im Vergleich zu einem Dieselfahrzeug ein. In Deutschland sind es aufgrund des anderen Strommixes immerhin noch 50 Prozent. Es gibt wenige andere Branchen und Technologien, die ein solch hohes Einsparpotenzial haben.

 

Unternimmt die EU genug, um die CO2-Emissionen zu reduzieren?

Bezogen auf die OEMs in jedem Fall. Die Vecto-Gesetzgebung ist sehr fordernd und wurde im Februar 2023 nochmals verschärft. Das heißt, die Lkw-Hersteller wissen ganz genau, dass sie die Grenzwerte nicht einhalten können, ohne einen signifikanten Anteil an Zero Emission Fahrzeuge. Was wir darüber hinaus benötigen, sind mehr finanzielle Anreize und Förderungen, um die noch bestehenden höheren Anschaffungskosten von alternativ betriebenen Nutzfahrzeugen auszugleichen. Unabhängig von der Förderung bin ich jedoch der festen Überzeugung, dass die Technik stark genug ist, um sich in den kommenden Jahren durchzusetzen.

 

Was passiert mit der Batterie, wenn sie nicht mehr leistungsfähig ist?

Die Batterien sind noch lange nicht unbrauchbar, nur weil sie im Nutzfahrzeug aufgrund einer abnehmenden Kapazität nach rund acht bis zehn Jahren keine Verwendung mehr haben. Für das Second Life haben wir ein spannendes Konzept entwickelt. Wir nehmen die Batterien zurück und bauen sie in unserem Megawatt Charger ein. Das batteriegespeicherte Ladesystem hat die Form eines Containers, ermöglich das Schnelladen innerhalb von 30 Minuten und entlastet die Stromnetze. Erst nach dieser Anwendung recyclen wir die Batterien.

 

Wie sieht die Versorgung durch die Zulieferer aus? Sind Sie sehr von China abhängig oder gibt es mittlerweile auch Ressourcen aus Europa?

China produziert derzeit 85 Prozent der Batterien. Davon ist man natürlich irgendwie abhängig. Ich hoffe, dass wir hier in Europa zukünftig stärker werden. Es gibt spannende Firmen wie Northvolt in Schweden oder Freyer in Norwegen, die hier führend in der Entwicklung sind. Da schauen wir als Designwerk Gruppe sehr genau hin.

 

Im vergangenen Jahr hat Designwerk mit dem High Cab den erste vollelektrischen Lowliner vorgestellt. Anfang 2023 folgte in Kooperation mit Kässbohrer der erste elektrische Autotransporter. Wohin geht die Reise in den kommenden Jahren?

Es wird Ende des Jahres möglich sein, unsere High Cab Sattelzugmaschinen in Europa mit Iso-Trailern einzusetzen. Das ist aktuell noch nicht möglich, weil wir die zulässige Gesamtlänge überschreiten. Wir werden zukünftig spannende Projekte mit dem Fokus auf schwere Spezialfahrzeuge vorstellen, die man noch vor Kurzen batterieelektrisch nicht für möglich gehalten hätte. Wir zeigen jetzt, das es geht. Wir werden beispielsweise Winterdienstfahrzeuge elektrifizieren, die nach 20 Minuten wieder auf der Straße sein müssen. Megawatt Charging macht auch dies möglich und verschiebt die Grenzen des Machbaren sehr schnell immer weiter.