Köpfe der Branche: Alexander Wagner Bereichsleiter Aftermarket / TruckServices EMEA, Knorr-Bremse

Alexander Wagner, Bereichsleiter Aftermarket / TruckServices EMEA, Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH, über Elektromobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Aftermarket von Nutzfahrzeugen.

Alexander Wagner, Bereichsleiter Aftermarket / TruckServices EMEA, Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH. (Bild: Knorr-Bremse)
Alexander Wagner, Bereichsleiter Aftermarket / TruckServices EMEA, Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH. (Bild: Knorr-Bremse)
Tobias Schweikl

PROFI Werkstatt: Herr Wagner, vergangenes Jahr haben Sie ihr digitales Angebot um eine neue Webseite, ein neues Kundenportal und neue Online-Trainings erweitert. Was sind die nächsten Schritte auf dem Weg zur Digitalisierung des Nachmarkt-Geschäfts?

Alexander Wagner: Der Ausbau unseres digitalen Angebots im vergangenen Jahr war für uns ein wichtiger Schritt. Mit unseren neuen digitalen Services steht unseren Kundinnen und Kunden im Nachmarkt nun ein noch breites Spektrum an Online-Angeboten zur Verfügung. Auf unserer neuen Webseite und im neu gestalteten Kundenportal finden Händler, Werkstätten und Flotten nun wichtige Informationen rund um Produkte, Partnerprogramme, Trainings und Flotten-Lösungen. Und unser neuer Webshop bietet einen schnellen Zugang zum vollständigen Produktportfolio von Knorr-Bremse TruckServices sowie einen vereinfachten Bestellvorgang. Des Weiteren wurde im Kundenportal ein neuer Trainingsbereich geschaffen, der eLearnings für zeit- und ortsunabhängige Wissensvermittlung bereithält. Durch unsere vielfältigen Angebote erhöhen wir somit auch die Leistungsfähigkeit unserer Kundinnen und Kunden.

 

Im Juni dieses Jahres hat Knorr-Bremse einen Vertrag zum Erwerb eines Mehrheitsanteils an der spanischen Cojali S.L. unterzeichnet, einem weltweit tätigen Entwickler und Hersteller von Diagnose-Systemen für Nutzfahrzeuge sowie weiterer Fahrzeugtypen. Was bedeutet das für die Werkstätten?

Mit der Beteiligung an Cojali stärken wir unsere Position als Systempartner im weltweiten Wachstumsmarkt der digitalen vernetzten Lösungen für unsere Kunden. Der Anteil an mechatronischen Teilen pro Fahrzeug steigt rasant an. Gleichzeitig unterstützen immer mehr digitale Services die Fahrer unterwegs. Jeder Ausfall von Fahrzeugen kostet Geld. Präzise, schnelle und markenunabhängige Diagnose von Fahrzeugkomponenten inklusive umfassender Hilfestellung bei der Fehlerbeseitigung hilft nachhaltig beim effizienten Flottenmanagement. Perspektivisch werden wir unser bestehendes Produkt- und Service-Portfolio im Nachmarkt-Geschäft mit einer nutzfahrzeugspezifischen Diagnose-Lösung unter der Marke Jaltest erweitern, die wir durch unsere engen Kontakte zu den Werkstätten, Händlern und Flotten weiter im Markt etablieren wollen.

 

Die Bedeutung der Diagnose in den Werkstätten steigt weiter an, integrierte Diagnose-Lösungen werden immer wichtiger. Welche Lösungen hat Knorr-Bremse?

Der Bedarf steigt kontinuierlich für Flottenbetreiber jeder Größe, den Zustand bestimmter Bauteile und ganzer Fahrzeugsysteme nicht mehr nur stationär in Werkstätten vor Ort, sondern während der Fahrt zu prüfen und dabei notwendige Reparaturen so früh wie möglich zu prognostizieren. Im Rahmen der Zusammenarbeit werden Knorr-Bremse und Cojali intensiv an dem Ausbau des Angebots für Ferndiagnose (Condition Monitoring) sowie vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) arbeiten – mit dem Ziel, die Verfügbarkeit von Fahrzeugflotten ihrer Kunden weiter zu steigern.

 

Wie reagieren Sie im Nachmarkt auf die steigende Komplexität im Fahrzeug?

Wir setzen hier auf unsere Werkstattkonzepte, das europaweite markenübergreifende Full-Service-Werkstattnetzwerk Alltrucks Truck & Trailer sowie das Expert Network für Trailer-Werkstätten. Alltrucks vereint die Fachkompetenz von drei starken Industriepartnern und bietet Mehrmarkenkompetenz in Diagnose, Service, Wartung und Reparatur. Der Know-how Transfer spielt hierbei eine wichtige Rolle – und Knorr-Bremse bringt seine gesamte Produkt- und Systemerfahrung mit ein. Das umfangreiche Leistungsangebot leistet einen wichtigen Beitrag, um die technologischen und unternehmerischen Herausforderungen heute und in Zukunft zu meistern, um Werkstätten nachhaltig im Wettbewerb zu stärken.

 

Das Thema Nachhaltigkeit wird auch in der Nutzfahrzeugindustrie immer wichtiger. Gibt es im Bereich Knorr-Bremse TruckServices Aktivitäten hierzu?

Der Trend hin zu Remanufacturing auf dem Nutzfahrzeug-Markt ist weiterhin stark steigend, vergleichbar mit dem Pkw-Markt. Nehmen Sie beispielweise unser Remanufacturing-Werk im tschechischen Liberec. Dort wurden im vergangenen Jahr insgesamt 130.000 Altprodukte in die Hand genommen. Das zeigt, wie hoch die Nachfrage nach industrieller Aufarbeitung von Altprodukten ist. Mit „EconX“ haben wir eine Marke für industriell aufgearbeitete Produkte geschaffen, mit denen auch ältere Nutzfahrzeuge sicher und effizient auf der Straße bleiben. Im Jahr 2021 konnten in Europa durch EconX-Produkte nicht nur 1,85 Millionen Kilogramm CO2 eingespart werden, sondern auch 7,5 Millionen Kilowattstunden Energie und gut 640.000 Kilogramm an Material. Somit leisten wir einen wichtigen Beitrag im Bereich Nachhaltigkeit. 

 

Für welches Kundensegment ist EconX gedacht und welches Produktsortiment bietet Knorr-Bremse TruckServices hierzu?

EconX Produkte sind die ideale Lösung für die zeitwertgerechte Reparatur von Fahrzeugen mit verkürzter Restlaufzeit. Denn bei EconX ist die Lebensdauer des Produktes auf die restliche Lebenserwartung des Fahrzeuges abgestimmt. Sie ist kürzer als bei Service-Neuprodukten, weil die Hauptkomponenten aus bereits gebrauchten Produkten stammen. Genau deshalb sind sie aber auch günstiger in der Herstellung – und helfen so, die Gesamtbetriebskosten eines Fahrzeuges zu optimieren. Bei der Herstellung einer EconX Zuspanneinheit SN7 werden zudem beispielsweise durch die Verwendung gebrauchter Komponenten bis zu 44,9 kg CO2-äquivalente Emissionen eingespart. Aktuell bieten wir über 1.000 verschiedene EconX Produkte an, darunter die Zuspanneinheiten der Scheibenbremsen, elektronische Luftaufbereitung, Kompressoren, EBS-Module und elektronische Kupplungssteller.

 

Auch Retrofit-Lösungen, können vorhandene Fahrzeuge für neue Anforderungen ertüchtigen. Welche Lösungen bieten Sie an?

Im Bereich der Fahrerassistenzsysteme haben wir gemeinsam mit dem Intel-Unternehmen Mobileye die neuste Generation unseres nachrüstbaren Abbiegeassistenten ProFleet Assist+ Gen 2 erfolgreich auf den Markt gebracht. Dieser nutzt Algorithmen, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz optimiert wurden und bietet durch zahlreiche Verbesserungen noch mehr Sicherheit für ungeschützte Verkehrsteilnehmer. ProFleet Assist+ Gen 2 besitzt die Fähigkeit, zuverlässig zwischen ungeschützten Verkehrsteilnehmern und anderen Objekten zu unterscheiden und minimiert damit die Zahl der Fehlwarnungen. Mit unserem nachrüstbaren Abbiegeassistenten können wir einen wichtigen Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit leisten und dabei helfen, Unfallschwerpunkte zu entschärfen. Erst kürzlich konnten wir bekannt geben, dass wir 192 Busse von Regiobus Hannover mit unserem nachrüstbaren Abbiegeassistenten ausstatten werden. Das Full-Service-Werkstattkonzept Alltrucks bietet im Übrigen mit seinem europaweiten Netzwerk die Möglichkeit, Nutzfahrzeuge aller Hersteller ohne Abbiegeassistenten schnell und zuverlässig mit der ProFleet Assist+ Gen 2 nachzurüsten.

 

Kürzlich haben Sie zusammen mit Alltrucks auch einen neuen Reparaturservice vorgestellt. Was verbirgt sich dahinter?

Wir vereinfachen mit einem neuen Fahrzeug-Reparaturservice die Abwicklung von anerkannten Mängeln. Gemeinsam mit dem europaweiten markenübergreifenden Full-Service-Werkstattnetzwerk Alltrucks bietet Knorr-Bremse Nutzfahrzeugflotten eine One-Stop-Lösung. Teilnehmende Alltrucks Werkstätten werden autorisiert, direkt über die Anerkennung oder Ablehnung von Mängeln entsprechend der Knorr-Bremse Gewährleistungsbedingungen zu entscheiden. Damit bietet unser neuer Fahrzeug-Reparaturservice für alle Beteiligten handfeste Vorteile: Flottenbetreiber und Fahrer brauchen sich für eine unkomplizierte Reparatur von Knorr-Bremse Komponenten nicht – wie bisher üblich – an ihre jeweilige Bezugsquelle wenden, sondern können nun Mängel auch im Rahmen der Knorr-Bremse Gewährleistungskriterien direkt über die europaweiten Alltrucks Partnerwerkstätten beheben und abwickeln lassen. Dabei profitieren sie zudem von mehr Sicherheit bei der Reparatur durch die gewohnt sehr hohen von Knorr-Bremse autorisierten Qualitätsstandards bei der Prüfung und Entscheidung des Reklamationsfalles. Gleichzeitig reduzieren schnelle Entscheidungsprozesse und Reparaturstandards nach Herstellervorgaben die Standzeiten der jeweiligen Fahrzeuge. Trailer-Hersteller profitieren durch weniger Aufwand und niedrigere Kosten. Und auch für die Alltrucks Werkstätten bietet die neue Abwicklung zahlreiche Vorteile. So kann der zeitliche Aufwand bei der Dokumentation von Qualitätsfällen mittels der eigens kreierten Internet-Portal-Lösung optimiert werden und ein schneller Reparaturstart und eine zügige Abwicklung erfolgen.

 

Wie könnte man den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge noch weiter senken?

Ein Beispiel ist die druckluftbetriebene Scheibenbremse „SYNACT“, die die Wirtschaftlichkeit von Fahrzeugbetrieb, -wartung und -reparatur verbessert und somit neue technische Maßstäbe für schwere Nutzfahrzeuge setzt. Mit Blick auf den Kraftstoffverbrauch ist die Ausstattungsoption Active Caliper Release (ACR) interessant. Das ACR ist ein patentiertes mechanisches System, das nach der Bremsung die Bremsbeläge von der Bremsscheibe abspreizt und gleichzeitig den Sattel zentriert. Dadurch werden Restschleifmomente und die systembedingt bei jeder Schwimmsattelbremse vorhandene Verlustleistung minimiert. Die resultierende Kraftstoffeinsparung ist für den Fahrzeugbetreiber erheblich. Das ACR ermöglicht bei einer 2-Achs-Zugmaschine Einsparungen von bis zu 1 Prozent. Im Bereich der Telematik sind das Fahrer- und Maintenance-Management zu nennen. Insbesondere gezielte Dashboard Analysen spielen hier eine wichtige Rolle, mit Hilfe derer Fahrerinnen und Fahrer unmittelbar Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch nehmen können. Auch hierzu hat Cojali eine Lösung, die unter der Marke Jaltest Telematics im Markt vertrieben wird und bereits bei einigen großen Flotten erfolgreich im Einsatz ist.

 

Wie reagiert Knorr-Bremse auf die wachsende Bedeutung der Elektromobilität auch bei den Nutzfahrzeugen?

Die Elektromobilität wird die Architektur von Nutzfahrzeugen und die an sie gestellten Systemanforderungen grundlegend ändern. Von der Traktion über das Bremsen und Lenken bis zur Federung und Dämpfung sowie Energieversorgung ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten für effiziente und skalierbare Technologien. Knorr-Bremse hat deshalb im Februar 2020 das Know-how des Konzerns in einer speziellen Innovationseinheit für E-Mobilität, dem eCUBATOR, gebündelt. Bis zu 60 interne und externe Experten arbeiten daran, mit unkonventionellen Arbeitsansätzen innovative, intelligente Lösungen für elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge zu identifizieren und in enger Zusammenarbeit mit Kunden, Technologiepartnern und Start-ups zu entwickeln. Hierbei setzt Knorr-Bremse sowohl auf die Anpassung des bestehenden Produktportfolios als auch auf die Definition neuer Produktfelder. Mit Blick auf die E-Fahrzeuge der zweiten Generation, die voraussichtlich ab 2025 auf den Markt kommen werden, beschäftigt sich Knorr-Bremse u. a. mit zukünftigen Energiemanagementsystemen, elektromechanischen Aktuatoren und erweiterten Fahrzeugstabilisierungs- und Antriebsfunktionen.

Die Fragen stellte Tobias Schweikl