Köpfe der Branche: BPW-Gesellschafter Markus Schell über Digitalisierung im Fahrwerk

Markus Schell ist persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter bei BPW. Im Vorfeld der IAA Transportation haben wir mit ihm über intelligente Fahrwerksgeneration iC Plus und die Generatorachse ePower gesprochen.

Markus Schell ist persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter bei BPW.  (BPW)
Markus Schell ist persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter bei BPW. (BPW)
Christine Harttmann

Transport: Die intelligente Fahrwerksgeneration iC Plus und die Generatorachse ePower stehen im Fokus Ihrer Präsentation auf der IAA Transportation 2024. Welche spezifischen Vorteile bieten diese Technologien für Transportunternehmen, und wie sehen Sie deren Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Logistikbranche?

Markus Schell: Mit iC Plus haben wir die erste intelligente Fahrwerksgeneration geschaffen. Sie ist der Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Digitalisierung des gesamten Fahrzeuglebens. Im ersten Schritt ermöglicht iC Plus ein digitales Wartungsmanagement. Dafür werteten wir auf unserer Cloud-basierten Plattform idem-cargofleet3 die Betriebsdaten zu Bremsfunktion, Bremsbelagverschleiß, Achslast und Reifenluftdruck aus und gleichen sie mit den vorgeschriebenen Wartungsintervallen der BPW Fahrwerkskomponenten ab. Das System schlägt dann bedarfsgerecht den optimalen Zeitpunkt, Ort und qualifizierten BPW Servicepartner für die Wartung vor und erfasst sämtliche Arbeiten am Fahrzeug in einer digitalen Fahrzeugakte. Zukünftig ist denkbar, dass Fuhrparkmanager im cargofleet3-Portal mit nur einem Klick Werkstatttermine entlang aktueller Touren vereinbaren können: Das System bucht dann den Termin beim Servicepartner und übermittelt die Ersatzteilliste. Davon würden auch die Werkstätten profitieren, denn Fehlbestellungen, lange Lieferzeiten oder eine umfangreiche Lagerhaltung von Ersatzteilen könnten dann der Vergangenheit angehören.

ePower ist unsere Generatorachse, die während der Fahrt Energie erzeugt, um damit Kühlaggregate bei temperaturgeführten Transporten emissionsfrei und leise mit Strom zu versorgen. Sie ist integraler Bestandteil des Thermo King AxlePower Systems. ePower kann in der Distributionslogistik eingesetzt werden, ohne dass die bestehenden logistischen Prozesse und das Flottenmanagement verändert werden müssen.

 

Die Vernetzung von Fahrzeug, Fahrer und Fracht spielt eine zentrale Rolle in Ihren aktuellen Innovationen. Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich dadurch für die Transport- und Logistikbranche?

Die Vernetzung einzelner am Logistikprozess beteiligter allein reicht nicht aus. Vielmehr geht es darum, dass in all diesen Bereichen relevante Daten gesammelt, über Schnittstellen zusammengeführt und im passenden Kontext ausgewertet werden. Und hier kommt KI ins Spiel, denn ein wesentlicher Vorteil von künstlicher Intelligenz ist die Fähigkeit, aus einer für den Menschen unüberschaubaren Datenmenge Muster zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen. Sowohl unsere neue Fahrwerksgeneration iC Plus als auch der Cargofleet Assistant von Idem Telematics nutzen unter anderem KI, um die Kosteneffizienz im Fahrzeugbetrieb zu optimieren und Flottenmanager bei ihrer täglichen Arbeit zu entlasten, sodass mehr Zeit für andere wirtschaftlichkeitssteigernde Aufgaben bleibt. Die Möglichkeit, den Bremsbelag und die Bremsperformance zu analysieren ist nur eine von zahlreichen kostensenkenden Eigenschaften von iC Plus. Die künstliche Intelligenz erkennt auf Basis von 125 Jahren Erfahrung im Trailerfahrwerk typische Wartungs- und Reparaturaufgaben, bevor es zu teuren Pannen oder gar Unfällen kommen kann.

Mit der ePower-Achse versprechen Sie eine erhebliche Reduktion des Dieselverbrauchs und CO2-Ausstoßes. Können Sie erläutern, wie genau diese Einsparungen erzielt werden?

In ePower generiert die Generatorachse Energie, die in der Batterie zwischengespeichert wird und von dort aus bedarfsgerecht an das Kühlaggregat weitergegeben wird.

Wir haben eine intelligente Steuerung für das System entwickelt, die sich permanent dem Fahrzustand anpasst. Sie setzt bereits bei 15 km/h ein und nutzt bevorzugt Bremsvorgänge und Bergabfahrten, um die Batterien des Kühlaggregats zu laden. Das Batteriepaket bietet je nach Batteriegröße und Sollwert bis zu 8 Stunden Kühlaggregat-Autonomie für den stationären Betrieb. Die AxlePower-Lösung mit ePower-Achse ist in zwei Versionen erhältlich: hybrid oder vollelektrisch, was volle Flexibilität bei der Erfüllung der betrieblichen Anforderungen bietet. Je nach Konfiguration spart der Spediteur damit bis zu 4.000 Liter Diesel pro Jahr und Auflieger für den Betrieb des Kühlaggregats und reduziert gleichzeitig die CO2-Emissionen um bis zu 10 t pro Jahr.

Einer unserer Versuchstrailer kühlte im Testbetrieb 20 Wochen lang allein durch die im Stop-and-Go-Verkehr und bei Bergabfahrten gewonnene Energie. Stationäres Zwischenladen etwa über Nacht ist zwar grundsätzlich möglich, aber technisch nicht unbedingt erforderlich. Das Batteriemanagement erledigt das sogenannte Battery-Balancing, dass bei e-Fahrzeugen der chemischen Abnutzung der Akkus entgegenwirkten soll, während der Fahrt.

Gibt es bestimmte Einsatzszenarien, in denen die ePower-Achse besonders effektiv ist?

Markus Schell: Für den Einsatz in Ballungsräumen hat sich die Kombination mit einer rein elektrischen Kühlung als wirtschaftlich optimal erwiesen, im Mischverkehr empfiehlt sich ein diesel-elektrisches Hybridaggregat. Lediglich im reinen Langstreckenbetrieb wären größere Batterien erforderlich, deshalb kann sich der Diesel in diesem Fall derzeit noch als wirtschaftlichster Kühlantrieb behaupten.

 

Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der elektrifizierten Trailerkühlung?

Markus Schell: Die Achse mit einem Generator zu verbinden ist kein Kunststück. Wohl aber, es als Bestandteil der ungefederten Masse so zu konstruieren, dass es in jeder Fahrsituation und über die gesamte Nutzungszeit des Trailers zuverlässig arbeitet. Daher arbeiten in unserer ePower Achse zwei Generatoren statt einem. Diese doppelte Kraft wird nicht durch ein energiezehrendes Differential gehemmt, sodass wir einen besonders hohen Wirkungsgrad realisieren.

Neben den technischen Herausforderungen gibt es aber auch bürokratische. Bisher mussten vollelektrische oder hybride Kühlauflieger noch einzeln zugelassen werden, was natürlich mit einem höheren Aufwand verbunden war. ePower erfüllt aber die höchsten automobilen Sicherheitsstandards nach ISO 26262 und wurde inzwischen von den führenden europäischen Trailerherstellern homologiert, die nun die europäische Typgenehmigung erwarten.

 

Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema auf der IAA Transportation 2024. Wie stellt sich BPW der Herausforderung, nachhaltige Innovationen mit den wirtschaftlichen Anforderungen der Transportbranche in Einklang zu bringen?

Seitens Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden immer größere Anstrengungen von der Logistikbranche gefordert, um umweltfreundlicher zu werden. Doch Idealismus allein reicht aus unserer Sicht nicht – Klimaschutz muss auch wirtschaftlich sein, damit Transport für alle bezahlbar bleibt. Daher gehen Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz für uns Hand in Hand. Alles, was den Transport effizienter, sparsamer, schneller und sicherer macht, ist bei uns auch ein Gewinn für die Umwelt. Beispielweise erhöht jedes Gramm, dass ein Trailer weniger wiegt, die Nutzlast, spart Energie und damit CO2 und Kosten. Die CO2- und Kraftstoffeinsparung unserer Trailer-Lösungen, aber auch den reduzierten Reifenverschleiß und andere für die Wirtschaftlichkeit des Transports relevante Systemvorteile weisen wir in konkreten Zahlen aus. Fahrzeugbetreiber können die Ersparnisse für ihre eigene Flotte mit unserem Online-Wirtschaftlichkeitsrechner kostenlos und unverbindlich selbst errechnen. Auch im laufenden Betrieb setzen wir auf Ersatzteile mit vergleichsweise hohen Standzeiten gegenüber anderen im Markt erhältlichen Teilen. Das senkt Kosten und erzeugt weniger Schrott.  

Diese Lösungen zielen im Kern darauf ab, den Transportprozess an sich umweltfreundlicher zu machen. Wir beschäftigen uns darüber hinaus mit Faktoren, die den Produktionsprozess von Trailer-Technologien klimaeffizienter machen. Beispielweise setzen unsere Gießereien in der BPW Gruppe bereits zu 95 Prozent recycelte Materialien ein und wir nutzen kurze Transportwege, indem wir 86 Prozent unserer Zulieferteile aus Europa beziehen. Kreislaufwirtschaft spielt ebenfalls eine Rolle. Wie können Materialien und Komponenten nach Ende der Nutzungszeit recycelt oder wiederverwendet werden? Ein erstes Produkt haben wir mit den wiederaufbereiteten Bremssätteln der BPW Reman-Line bereits in den Markt gebracht.  

 

Auf der IAA Transportation 2024 liegt der Fokus auf zukunftsweisenden Technologien. Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft der Transportbranche aus, und welche Rolle wird BPW darin spielen?

Aktuell gibt es zwei wegweisende Richtungen, um Transportprozesse effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten: KI und Elektromobilität. In der BPW Gruppe setzen wir uns intensiv damit auseinander. Heute und in Zukunft unterstützen wir als Mobilitäts- und Systempartner unsere Geschäftspartner und Kunden dabei, gemeinsam die richtige Lösung für ihr Transportgeschäft zu finden.