Köpfe der Branche: Bernd Spies im Gespräch über automatisiertes Fahren

Bernd Spies ist im Vorstand der Knorr-Bremse AG verantwortlich für die Division Systeme für Nutzfahrzeuge. Gegenüber der Zeitung Transport betont er, das automatisierte Fahren nicht alleine machen zu wollen, „wohl aber als wichtiger Partner in Kooperationen mit einem tiefgehenden Spezialwissen“.

Bernd Spies, Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG: „Das steigende Transportvolumen und der weltweite Fahrermangel wirken dennoch als Treiber.“ (Foto: Knorr Bremse)
Bernd Spies, Mitglied des Vorstands der Knorr-Bremse AG: „Das steigende Transportvolumen und der weltweite Fahrermangel wirken dennoch als Treiber.“ (Foto: Knorr Bremse)
Christine Harttmann

Transport: Wenig hört man derzeit noch vom automatisierten Fahren. Hat das damit zu tun, dass sich in der Entwicklung augenblicklich nur wenig bewegt, oder ist das Thema aus anderen Gründen etwas aus dem Fokus der Diskussionen verschwunden?

Bernd Spies: Die Nachfrage und der Einsatz von Fahrerassistenzlösungen (ADAS) nehmen insbesondere in Europa wegen Mandaten und in Nordamerika aufgrund des TCO-Effekts zu. Das Automatisierte Fahren entwickelt sich regional unterschiedlich. Der Trend ist vor allem in Nordamerika ungebrochen. Der hohe Aufwand der OEMs in Europa im Bereich der Emissionsreduktion reduziert den Fokus beim Automatisierten Fahren derzeit etwas. Das steigende Transportvolumen und der weltweite Fahrermangel wirken dennoch als Treiber. Wir werden das Automatisierte Fahren voraussichtlich in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre zuerst in Nordamerika und Asien bei Nutzfahrzeugen sehen – vorerst im Hub-to-Hub-Verkehr oder in geschlossenen Bereichen. Wir treiben das automatisierte Fahren und die Weiterentwicklung der ADAS-Systeme, mit speziellem Fokus auf die notwendigen Redundanz-Konzepte, voran.

 

Doch auch wenn man derzeit weniger darüber liest – einige wichtige Projekte laufen, andere – wie das Platooning – wurden eingestellt. Wie ist denn hier der aktuelle der Stand hier in Europa?

In Europa ist derzeit vieles im Gange. Ein prominentes Beispiel ist das Forschungs- und Entwicklungsprojekt Atlas-L4, das in bisher einzigartiger Weise die Expertise von Industrie, Wissenschaft und Infrastrukturbetreibern zu einem ganzheitlichen Ansatz für den Betrieb autonomer Fahrzeuge auf öffentlichen Autobahnen und Schnellstraßen bündelt. Atlas-L4 soll zeigen, dass der Einsatz von Level-4-automatisierten und damit von fahrerlosen Fahrzeugen auf der Autobahn machbar ist, und so die Basis für innovative Transport- und Logistikkonzepte legen.

 

Ist Knorr-Bremse in einige der Forschungsprojekte eingebunden? Inwieweit kooperieren Sie dabei mit Fahrzeugherstellern?

Hochkomplexe technische Innovationen wie das automatisierte Fahren eignen sich bestens für Kooperationen. Wir übernehmen dabei alle Themen rund um die Fahrdynamik – also die Aktuatoren Bremse und Lenkung, die notwendigen Redundanz-Konzepte sowie die Truck Motion Control. Im Rahmen des Projekts Atlas-L4 fokussieren wir uns auf die redundante Bremssystemarchitektur inklusive Sicherheitskonzept, die den sicheren und wirtschaftlichen Betrieb eines Level-4-Nutzfahrzeugs ermöglicht und ein Abbremsen sowie die sichere Kontrolle in jeder Situation gewährleistet.

 

Bei der Weiterentwicklung des automatisieren Fahrens – welche Rollen spielen da Zulieferer wie Knorr-Bremse ganz generell?

Systemzulieferer wie Knorr-Bremse spielen hierbei eine wichtige Rolle als Enabler durch die Bereitstellung ausfallsicherer Brems-, Lenkungs- und Energieversorgungssysteme. Wir erheben nicht den Anspruch, das automatisierte Fahren alleine zu machen, wohl aber als wichtiger Partner in Kooperationen mit einem tiefgehenden Spezialwissen.

 

Eine wichtige Rolle beim automatisierten Fahren, und vor allem den Vorstufen dazu, spielen Assistenzsysteme. Wie ist Knorr-Bremse denn hier aufgestellt? Welche Systeme können Sie jetzt schon anbieten?

Knorr-Bremse verfügt über jahrelange Erfahrung mit etablierten Fahrerassistenzlösungen wie z.B. Notbremsassistenten (AEBS) und Spurverlassenswarnern (LDWS). In Nordamerika sind wir in diesem Bereich Marktführer. Wir zeichnen uns durch eine tief verankerte Systemkompetenz bei Hard- und Softwarelösungen für sicherheitskritische Systeme aus. Knorr-Bremse ist mit dem Angebot an Fahrerassistenzlösungen auch präferierter Partner bei der Umsetzung und Entwicklung kompletter Systeme. Dazu zählt das Blind Spot Information System (BSIS), das vor der möglichen seitlichen Kollision mit Fußgängern und Radfahrern warnt. Ferner auch das Moving Off Information System (MOIS), das vor der möglichen Kollision mit Fußgängern und Radfahrern beim Anfahren warnt, die Adaptive Geschwindigkeits- und Abstandsregelung mit Stop & Go-Funktion (ACC) sowie der Spurhalteassistent (LKA) und die Verkehrszeichenerkennung. Zudem haben wir den Notbremsassistenten um eine Fußgängererkennung erweitert (PAEBS). Mit unserem nachrüstbaren Abbiegeassistenten ProFleet Assist+ Gen 2 können Hersteller und Speditionen auch ihre im Einsatz befindlichen Nutzfahrzeuge ausrüsten.

 

Was wird in der nächsten, kürzeren Zeit noch dazu kommen?

Wir sehen im Bereich der Fahrerassistenz ein sehr großes Entwicklungspotenzial und sind überzeugt, dass sich Assistenzsysteme noch weiter entwickeln werden. Hinzukommen wird mit Blick auf das automatisierte Fahren das redundante Power Management System (rPMS), das eine hochverfügbare elektrische Versorgung von sicherheitsrelevanten Funktionen wie z.B. Bremse, Lenkung, aber auch der HAD-ECU (Electronic Control Unit), also dem Steuergerät mit virtuellem Fahrer, gewährleistet.

 

Für Unternehmen ist der TCO ein wichtiges Argument. Wie ist der bei Assistenzsystemen/beim Automatisierten Fahren zu bewerten?

Beim automatisierten Fahren handelt sich um einen echten Business Case mit Kosteneinsparungsmöglichkeiten und weiteren Vorteilen. Die Lkw-Betreiber prüfen stets, ob sich die Investition für sie hinsichtlich der Reduzierung von Kraftstoff- und Lohnkosten oder der Vermeidung teurer Standzeiten und Leerfahrten lohnt. Genau hier bietet die Automatisierung ab Level-4 deutliche Kosteneinsparungen. Außerdem können die Nutzfahrzeuge durch den Wegfall der vorgeschriebenen Ruhezeiten des Fahrers länger ohne Pause unterwegs sein. Das TCO-Argument trifft aufgrund der Reduktion der Unfallhäufigkeit auch auf die Fahrerassistenz zu.

 

Gleichzeitig müssen Sie immer auch die Fahrer für die Technik gewinnen. Gelingt das

Ja, denn unsere Fahrerassistenzsysteme unterstützen und entlasten Fahrer und machen die Nutzfahrzeuge, die sich zu hochkomplexen Systemen entwickelt haben, im Straßenverkehr sicherer. Wir stehen daher mit den Fahrern im Dialog, um uns kontinuierlich über die spezifischen Belange und Bedürfnisse auszutauschen. Es zeichnet sich aber auch ab, dass sich der Beruf des Fahrers von der Aufgabenstellung her perspektivisch ein Stück weit verändern wird.

 

Was bedeutet die Entwicklung für das Berufsfeld des Kraftfahrers?

Automatisiert fahrende Lkw werden zunächst vermutlich nicht komplett ohne Fahrer auskommen, aber der Fahrer wird nebenher andere Tätigkeiten ausführen können, beispielsweise Dispositionsaufgaben. Die Fahrer bleiben somit auch zukünftig ein wesentlicher, unverzichtbarer Bestandteil des Systems – die Aufgabenstellung wird sich allerdings wandeln. Das zunehmend automatisierte Fahren entlastet die Fahrer z.B. bei langen Autobahnfahrten. Der Fahrer übernimmt das Fahrzeug dann für die komplexeren Fahrten über Land und in der Stadt.

 

Zu einem eklatanten Problem entwickelt sich der Fahrermangel. Bieten die Assistenzsysteme hier einen Lösungsansatz?

Mit automatisierten Lkw können die Sicherheit im Verkehr verbessert, Staus durch vorausschauende Planung reduziert und Einsatzzeiten optimiert werden. Zudem reduziert sich durch die Assistenzsysteme die Unfallhäufigkeit. Automatisierte Abläufe entlang der Lieferkette entlasten die Fahrer und können so dazu beitragen, das Tätigkeitsfeld angenehmer und noch attraktiver zu gestalten sowie die Fahrer von nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten zu entlasten. Das alles wirkt dem Fahrermangel entgegen.

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