Remondis testet eActros 600: Herausforderungen und Chancen in der Dekarbonisierung des Nutzfahrzeugverkehrs

Als eines der ersten Unternehmen beteiligt sich Remondis am Feldversuch des eActros 600 und integriert den E-Lkw in seine Flotte. Mit Sascha Hähnke, Geschäftsführer der Remondis Sustainable Services, haben wir über die damit verbundenen Herausforderungen gesprochen und darüber, was ihn bei der Dekarbonisierung des Nutzfahrzeugverkehrs treibt.

Seit kurzem transportiert dieser eActros 600 für Remondis vor allem recycelte Rohstoffe. Er ist mit einem eigens für die Erprobung produzierten Auflieger der Firma Kögel ausgestattet. | Bilder: Handelsblatt Nutzfahrzeuge 2024 / Willi Noters; Remondis
Seit kurzem transportiert dieser eActros 600 für Remondis vor allem recycelte Rohstoffe. Er ist mit einem eigens für die Erprobung produzierten Auflieger der Firma Kögel ausgestattet. | Bilder: Handelsblatt Nutzfahrzeuge 2024 / Willi Noters; Remondis
Christine Harttmann

VisionTransport: Remondis ist bekanntermaßen sehr aktiv, wenn es um alternative Antriebe geht. Hinsichtlich der Antriebe ist der Fuhrpark sehr gemischt. Welche Rolle spielt denn da der E-Truck?

Sascha Hähnke: Technologieoffenheit – das ist leider ein sehr abgedroschener Begriff. Wir bei Remondis leben ihn aber sehr bewusst, weil wir nicht glauben, dass die Transformation mit einem Antrieb allein zu schaffen ist. Wir haben Wasserstofffahrzeuge im Fuhrpark und auch 50 bis 60 CNGLkw. Ganz wichtig für uns: kein fossiles Gas. Das ist für uns gestorben. Wir betanken die Lkw mit Biogas aus eigenen Biogasanlagen. Außerdem fahren wir schon lange elektrisch. Auch das ist für uns nichts Neues. Die ersten 40-Tonnen-Sattelzugmaschinen haben wir bereits 2019 nach Deutschland geholt. Sie kamen von einem Umrüster aus der Schweiz. Andere Hersteller und Wettbewerber haben uns damals noch belächelt. Insofern ist der eActros 600, den wir jetzt in den Testbetrieb nehmen, für uns nur der nächste Innovationssprung.

Nun punktet der eActros 600 vor allem mit seiner Reichweite. War der Fernverkehr ein wichtiges Thema bei der Entscheidung, an dem Test teilzunehmen?

Nein, wir wollen einfach zeigen, dass das Fahrzeug funktioniert, dass es fährt. Im Moment ist es ja sehr weit verbreitet, darüber zu jammern, was alles nicht geht. Bei der Elektromobilität ist das vor allem die angeblich fehlende Reichweite. In der Branche heißt es immer, die Reichweite reiche nicht aus. Und im Prinzip stimmt das ja auch. Deshalb ist es so wichtig, für einen E-Lkw immer die passende Anwendung zu haben. Dann läuft es.

Als wir in den Jahren 2019/2020 mit dem E-Lkw angefangen haben, war unser erstes Projekt bei Contargo der Kurzstreckenverkehr mit geringer Reichweite von Seecontainern im Containerterminal. Mit dem eActros 600 haben wir jetzt allerdings eine Reichweite von 500 Kilometern. Ich bin gespannt, wie das funktioniert und wie sich das entwickelt. Und das ist auch der erste Grund, warum wir an dem Test teilnehmen. Hinzu kommt, dass wir mit dem Truck auch zum ersten Mal HOLA – High Performance Fast Charging – testen können. Dazu gab es bisher überhaupt keine Feldversuche, weil die Hersteller das immer nur hinter verschlossenen Türen getestet haben.

Wir werden jetzt die Ersten sein, die das öffentlich im Realbetrieb testen. Und noch etwas ist neu an dem Fahrzeug: Am Anfang ziehen wir eine Plane von Kögel. Nach ein paar Monaten werden wir das Fahrzeug außerdem auf ePTO umrüsten, damit wir auch einen Schubboden und eine Kippmulde ziehen können. Es sind bei dem Feldversuch also drei Dinge neu: die hohe Ladeleistung, die Reichweite, die es bisher bei keinem anderen Hersteller gibt, und dann – zumindest für Daimler neu – der Einsatz mit ePTO am Nebenantrieb. Das kann bisher nur Volvo.

Die 500 bis 600 Kilometer, die der eActros 600 schafft, werden Sie aber nicht sofort fahren?

Genau, wir tasten uns da langsam heran. Was man bei den Reichweiten nämlich nie vergessen darf: Was die Hersteller veröffentlichen, sind Laborwerte. Ein ganz, ganz wichtiger Aspekt ist allerdings – gerade wenn es um die Rekuperation während der Fahrt geht – der Fahrer.

Das haben wir auch bei allen anderen Elektro-Lkw, die wir bisher im Einsatz haben, so festgestellt. Der Fahrer muss völlig umdenken. Ganz wichtig für ihn ist: Fuß weg vom Bremspedal! Er darf nur noch mit dem Hebel bremsen. Denn diese Energierückgewinnung, die die Batterie immer wieder ein bisschen auflädt, ist elementar wichtig, damit der Fahrer auch wirklich die Reichweite erzielen kann.

Wenn der Fahrer darauf keine Lust hat und einfach nicht mitmacht, wird er die 500 Kilometer nie schaffen. Das bedeutet aber auch, dass man die Fahrer anders schulen muss als beim Diesel, damit sie vernünftig rekuperieren. Aber wenn wir das richtig machen, bin ich mir sicher, dass es funktionieren wird.

Wer bildet die Fahrer aus?

Das können wir inzwischen auch selbst, weil wir ja seit 2019 elektrisch fahren. Außerdem unterstützt uns Daimler mit seinen Fahrtrainern. Aber das Spannende in so einem Test ist sowieso, was das mit den Fahrern macht: Bei den ersten E-Lkw, auch bei dem Gen 2, hatten wir zwei verschiedene Fahrer auf dem Testfahrzeug.

Die entwickelten so eine Eigendynamik, so einen sportlichen Ehrgeiz, sie wollten ständig besser werden. Dieser Ehrgeiz bringt sie dann dazu, dass sie vorausschauend an eine Ampel fahren. Wenn sie abbiegen oder auf einen Kreisverkehr zufahren, versuchen sie das vernünftig zu tun und immer besser abzuschätzen, wann sie vom Gas gehen und mit dem Rekuperieren anfangen müssen. Das ist spannend!

Liegt das beim E-Lkw daran, dass sie sehen, wie die Reichweite sinkt? Zwingt sie der E-Lkw also zum defensiven Fahren?

Ja, die Fahrer sind tatsächlich sehr motiviert, vorausschauend zu fahren. Aber nicht jeder Fahrer ist für so einen E-Lkw geeignet. Ich will nicht direkt sagen, dass sie handverlesen sind. Aber es ist schon wichtig, dass die Fahrer wirklich Lust darauf haben.

Es gibt aber immer mehr, die uns fragen, wann der nächste Elektro-Lkw kommt. Die wollen dann auch einen haben. Aber die, die für uns auf den E-Lkw fahren, die haben einen Riesenspaß!

Gibt es auch einen Lerneffekt? Steigt also die Reichweite, wenn die Fahrer länger elektrisch fahren?

Ja, die Fahrer werden besser. Sie lernen stetig dazu. Und – wie ich schon gesagt habe – sie entwickeln einen eigenen sportlichen Ehrgeiz. Wir bewerten ja die Fahrzeuge. Der Gen 2 war damals vollgepackt mit Sensoren und Monitoren ohne Ende. Davon gab es damals drei Fahrzeuge.

Einen hatte Tönnies mit Kühlkoffer, einen hatte Schmitt Logistik mit Trockenkoffer und wir hatten einen als Hecklader. Daimler hat dann mit uns zusammen die Ergebnisse ausgewertet, wie die jeweiligen Routen funktioniert haben, wie die Fahrer reagiert haben und noch so einiges mehr. Daran haben wir dann auch gesehen, dass die Fahrer im Laufe der Zeit immer besser geworden sind.

Und gibt es jetzt für den eActros 600 konkrete Einsätze, die Remondis damit fahren wird, oder testen Sie einfach aus, wo der Lkw reinpasst?

Wir haben uns vorgenommen, wechselnde Einsätze zu fahren. Es bringt ja für so einen Test nichts, wenn wir immer das Gleiche machen. Konkret bedeutet das, dass wir unterschiedliche Gewichte ziehen wollen. Da wir das Fahrzeug längerfristig einsetzen wollen, kommen wir außerdem irgendwann in den Winter. Es wird spannend, was da dann passiert.

Die Temperatur spielt schließlich auch eine Rolle für die Batterien und die Reichweite. Außerdem ist die Topografie wichtig. Wir werden also nicht nur auf der A1 fahren, sondern auch mal im Bergischen Land unterwegs sein. Schließlich wollen wir auch austesten, wie sich das Fahrzeug in den Bergen verhält. Der Schwierigkeitsgrad wird also variieren.

Unterschiedliche Einsatzdistanzen werden Sie dann vermutlich auch testen?

Ja, natürlich. Wir werden unsere erste Tour nicht mit 500 Kilometern planen. Dafür haben wir mit unseren E-Lkw schon zu viel erlebt. Lieber schleichen wir uns langsam an die langen Distanzen heran.

Aber der Gedanke, irgendwann die 500 Kilometer zu schaffen, ist schon da?

Ja, natürlich. Und der nächste Schritt wird dann auch die Hochleistungs-Zwischenladung sein. Wir planen irgendwann sogar, mehr als 500 Kilometer in einer Tagesschicht zu fahren. Dafür werden wir dann über eine HOLA-Ladesäule schnell zwischenladen, um die Batterie wieder auf 80 Prozent zu füllen. Danach wird die Schicht weitergefahren.

Wann soll es diese HOLA-Ladesäulen denn wo geben?

Bei Daimler in Dortmund gibt es bereits eine HOLA-Ladesäule, die wir als Ladepunkt nutzen können. Wir werden sehen, wie das funktioniert. Grundsätzlich bin ich allerdings skeptisch, was die Schnellladung unterwegs betrifft.

Ich halte es für ein Märchen, dass, wenn irgendwann 100.000 Lkw in Deutschland elektrisch unterwegs sein sollen, die Fahrer nach vier Stunden tatsächlich einen Schnelllader finden. Das wird so nicht funktionieren! Wir schaffen es in Deutschland ja nicht einmal, ausreichend Parkplätze ohne Ladesäulen zur Verfügung zu stellen. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir als Remondis eigene Ladesäulen bauen müssen und die E-Lkw im Depot laden werden.

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Auf das Projekt eActros 600 ist Sascha Hähnke sichtlich stolz. | Bilder: Handelsblatt Nutzfahrzeuge 2024 / Willi Noters; Remondis

Hochleistungsladen wird also im Praxistest zunächst kein Thema sein, sondern das Laden im Depot?

Doch, in der Kundenerprobung wird das Hochleistungsladen bereits ein Thema sein. Allein schon deswegen, weil an unseren eigenen Standorten das Energiemanagement so etwas derzeit nicht hergibt. Uns fehlen die schon dafür notwendigen Versorgungslei tungen. Dennoch haben wir schon einiges an Equipment. Schließlich fahren wir schon länger elektrisch. Deswegen bauen wir bereits Ladesäulen bis 350 kW. Was wir zusätzlich dazu noch brauchen, rüsten wir natürlich nach. Das versteht sich von selbst.

Dann wird das Fahrzeug also zunächst nur über Nacht an der 350 kW-Ladesäule geladen?

Ja, wir können die 350 kW auch halbieren und auf zweimal 150 kW umschalten. Das reicht für die Nacht. Nach fünf Stunden ist die Batterie dann vollgeladen und der Fahrer kann starten. Wichtig ist nur, dass er mit der Tagesreichweite auskommt.

Wenn das Projekt mit dem eActros 600 einmal abgeschlossen ist, gibt es dann bei Remondis noch weitere Pläne bezüglich E-Mobilität?

Aktuell werden bei uns E-Lkw in Betrieb genommen, die noch unter Förderbedingungen angeschafft worden sind. Darüber hinaus ist erst einmal nicht geplant. Das schließt aber auch nichts aus. Der Knackpunkt ist hier der Preis. Wie der sich entwickelt, ist ausschlaggebend. Im Moment kann ich nur sagen, dass der E-Lkw mit der vermeintlich größten Reichweite den attraktivsten Preis hat. Das zeigt, dass es ganz langsam in die richtige Richtung geht.

Ohne Förderung ist der E-Lkw dennoch weiterhin sehr, sehr teuer. Deshalb wäre es wichtig gewesen, die Förderung nur langsam auf null herunter zu fahren: Von 80 Prozent über 60, 40 und dann 20 Prozent auslaufen lassen – das hätte ich für richtig gehalten. Dann hätten die Hersteller parallel eine Serienproduktion hochfahren können. Gerade bei den Batterien wäre das wichtig. Hier ist nämlich entscheidend, ob ein Hersteller eine, 100, 5.000 oder 10.000 Batterien kauft. Da müssen die Unternehmen über die Serienproduktion in die Skalierung kommen.

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Immer sehr engagiert für den Klimaschutz: Sascha Hähnke, Geschäftsführer der Remondis Sustainable Services. | Bilder: Handelsblatt Nutzfahrzeuge 2024 / Willi Noters; Remondis

Dieser Artikel erschien in der VISION Transport Ausgabe Sommer 2024