Überall Baustellen

Am Beispiel von Daimler Trucks zeigt sich – die Nutzfahrzeugbranche steht in den kommenden Jahren vor enormen Aufgaben.

Der schwere Lkw Mercedes-Benz eActros mit einer Reichweite von bis zu 200 km ist im Rahmen der eActros „Innovationsflotte“ im Kundeneinsatz. Bild: Daimler AG
Der schwere Lkw Mercedes-Benz eActros mit einer Reichweite von bis zu 200 km ist im Rahmen der eActros „Innovationsflotte“ im Kundeneinsatz. Bild: Daimler AG
Tobias Schweikl

Es sind spannende Zeiten für Nutzfahrzeughersteller. Das Aufkommen der Elektromobilität mit dem Fernziel Brennstoffzellenantrieb sowie das konkreter werdende autonome Fahren verursachen enormen Entwicklungsaufwand bei hoher Unsicherheit. Ob und wann sich die Investitionen auch auszahlen, steht in den Sternen. Und dann schlagen aktuell auch noch die teils dramatischen Folgen rund um die COVID-19-Pandemie ein – Kurzarbeit und Werkstilllegungen. Die Hersteller fahren das volle Programm des Krisenmanagements.

Dabei hatte Daimler Trucks das Geschäftsjahr 2019 noch mit einem soliden Ergebnis abgeschlossen. Mit einem operativen Ertrag (Ergebnis vor Zinsergebnis und Ertragsteuern, EBIT) in Höhe von 2,5 Milliarden Euro war 2019 trotz Rückgang (minus elf Prozent gegenüber 2018) das dritterfolgreichste Geschäftsjahr in der Geschichte des Geschäftsfelds. Der Umsatz lag mit 40,2 Milliarden Euro über dem Niveau des Vorjahres von 38,3 Milliarden. Die Umsatzrendite für 2019 betrug 6,1 Prozent (minus 1,1 Prozent gegenüber 2018). Der Absatz von Daimler Trucks ging insgesamt nach dem Rekordjahr 2018 (517.300 Einheiten) um sechs Prozent auf 488.500 Einheiten im Jahr 2019 zurück.

Für 2020 ging Daimler Trucks laut einer Pressemitteilung bereits vor der Coronakrise von einer weiteren Normalisierung der in den vergangenen Jahren besonders hohen Nachfrage aus. Übersetz bedeutet dies: Schon bevor SARS-CoV-2 seine rasend schnelle Verbreitung rund um den Globus fand, rechnete man mit sinkenden Verkäufen und herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wie stark der Rückgang angesichts der veränderten globalen Lage tatsächlich ausfallen wird, bleibt abzuwarten.

Von Vorteil könnte sein, dass Daimler wegen der bereits erwähnten Rückgänge 2019 auch bereits vor der Coronakrise auf die Bremse getreten ist. „Für Daimler Trucks war 2019 ein solides Jahr. Mit 2,5 Milliarden Euro haben wir ein gutes Ergebnis erzielt. Auf den konjunkturellen Gegenwind in wichtigen Regionen haben wir uns eingestellt und unsere Produktion angepasst. Wir wollen und werden unsere Kosten dauerhaft senken. Daher haben wir unsere Effizienzmaßnahmen intensiviert“, so Martin Daum, Vorstandsvorsitzender der Daimler Truck AG.

Der Fahrzeughersteller hat bereits im November 2019 anlässlich des Capital Market Day deutlich gemacht, sowohl variable als auch Fixkosten weiter deutlich zu senken. Trotz erfolgreicher vorangegangener Initiativen gäbe es weiterhin großen Handlungsbedarf, da die Profitabilität des Unternehmens insgesamt nicht zufriedenstellend sei.

Der Schwerpunkt der eingeleiteten Effizienzmaßnahmen liegt zunächst auf Europa. Hier zielt „STREAM 2“ darauf ab, die Personalkosten bis 2022 um 300 Millionen Euro zu reduzieren. Es greifen Maßnahmen der Daimler AG, die mit den Arbeitnehmervertretern in einer entsprechenden Gesamtbetriebsvereinbarung für Deutschland vereinbart wurden. Darüber hinaus wolle man variable Kosten bis Ende 2022 um 250 Millionen Euro senken, wie es heißt. Als ein Beispiel wird hier eine neue Abgasreinigungsbox genannt – eine besonders kostspielige Schlüsselkomponente moderner Lkw, die deutlich leistungsfähiger und zugleich günstiger werden soll.

Investitionen in die Zukunft

Die aktuellen Herausforderungen fallen in eine Zeit, in der hohe Investitionen nötig sind. Die Transformation des Unternehmens in eine lokal CO2-neutrale Zukunft ist Teil der Unternehmensstrategie. 2020 und 2021 investieren die Geschäftsfelder Daimler Trucks und Daimler Buses gemeinsam durchschnittlich rund 1,7 Milliarden Euro pro Jahr in ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Ziel ist etwa eine im Fahrbetrieb CO2-neutrale Flotte („tank-to-wheel“) mit elektrischen Antrieben sowie die weitere Automatisierung und Vernetzung der Lkw und Busse. Bis zum Jahr 2039 will Daimler Trucks in den Triademärkten Nordamerika, Europa und Japan nur noch Neufahrzeuge anbieten, die im Fahrbetrieb CO2-neutral sind. Bereits bis zum Jahr 2022 soll das Fahrzeugportfolio in den Hauptabsatzregionen Nordamerika, Europa und Japan Serienfahrzeuge mit batterieelektrischem Antrieb umfassen.

Brennstoffzelle kommt

In der zweiten Hälfte der 2020er-
Jahre will Daimler Trucks sein Serienportfolio um elektrisch angetriebene Brennstoffzellen-Lkw ergänzen. Diese sollen mit flüssigem Wasserstoff betankt werden. Ein CO2-neutraler Transport auf den Straßen bis 2050 ist das ultimative Ziel. Darüber hinaus sollen alle europäischen Werke der Geschäftsfelder Daimler Trucks & Buses bis 2022 CO2-neutral produzieren und ihre Energie aus regenerativen Quellen beziehen.

Hinzu kommt der Entwicklungsaufwand für das autonome Fahren. Anfang 2019 feierte der neue Freightliner „Cascadia“ seine Weltpremiere. Als Serien-Lkw mit teilautomatisierter Fahrfunktion (SAE-Level 2) wurde er im Rahmen der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas präsentiert. Im japanischen Markt ist seit Oktober 2019 auch den Schwer-Lkw „FUSO Super Great“ mit teilautomatisierten Fahrfunktionen (SAE-Level 2) verfügbar.

Die SAE-Stufen reichen von 0 bis 5 und beschreiben, wie autonom ein Fahrzeug agiert. Bei den Stufen von 0 („keine Automation“) bis 2 („Teilautomation“) kontrolliert dabei immer noch der menschliche Fahrer die Umgebung. Erst ab Stufe 3 („bedingte Automation“) wird dazu übergegangen, das System die Umgebung kontrollieren zu lassen.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Es ist noch kein Lkw marktreif, bei dem man dem Autopiloten die Kontrolle auch nur zeitweise überlassen kann. Bis Stufe 5 („volle Automation“) die Marktreife erreicht, ist noch enormer Entwicklungs- und auch Testaufwand nötig.

Im September 2019 haben Daimler Trucks und Torc Robotics mit der Entwicklung und Erprobung von Lkw auf SAE-Level 4 auf öffentlichen Straßen begonnen. Die ersten Routen verlaufen auf Highways im Südwesten von Virginia, am Firmensitz von Torc Robotics. Weitere Strecken in anderen US-Bundesstaaten sollen folgen. Mehr als 500 Millionen Euro will man in den nächsten Jahren investieren. Im Juni 2019 hat Daimler Trucks hierfür die Autonomous Technology Group gegründet und bündelt dort zusammen mit Torc Robotics die weltweite Erfahrung beim automatisierten Fahren.

Kunden brauchen Infrastruktur

Jenseits der Fahrzeugentwicklung kommt auf die Hersteller in Zukunft noch eine weitere Herausforderung zu. Um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen, sind gerade im gewerblichen Einsatz enorme Infrastrukturinvestitionen der Kunden nötig. Die Ladeinfrastruktur und teils auch die auf die neuen Anforderungen hin ertüchtigte Stromversorgung in den Unternehmen muss erst geschaffen werden. Daimler sieht sich hier völlig zu Recht auch als Fahrzeughersteller in der Pflicht. Das Unternehmen hat deshalb Beratung und Infrastrukturangebote für Elektro-Lkw-Kunden mit in sein Programm aufgenommen.

Nun startet die E-Mobility Group von Daimler Trucks & Buses unter dem Namen „eTruck Charging Initiative“ eine weltweite Initiative für den Aufbau von Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Lkw. Der Fokus liegt zunächst auf Ladestationen, die auf den Betriebshöfen von Lkw-Kunden installiert werden. Die E-Mobility Group bringt im Rahmen der Initiative die Hauptakteure – E-Lkw-Kunden, Stromnetzbetreiber, Energieversorger sowie Lade-Hardwarehersteller und Lade-Softwareanbieter – zusammen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt aktuell noch auf den USA und Europa. Japan soll als nächster Markt folgen.

Die E-Mobility Group bündelt bei Daimler Trucks & Buses seit 2018 das Know-how im Bereich der E-Mobilität und definiert marken- und segmentübergreifend die Strategie für elektrische Komponenten und Produkte. Sie erarbeitet – analog zur globalen Plattformstrategie konventioneller Fahrzeuge – eine weltweit einheitliche Elektro-Architektur, um Synergien zu nutzen.

Tobias Schweikl