Fahrzeugbau: Länger und schwerer

Helmut Fliegl, Geschäftsführer von Fliegl Fahrzeugbau, gilt als Visionär, wenn es um innovative und clevere Konzepte im Bereich der Aufbauten, Auflieger und Anhänger geht. Er vertritt klare Standpunkte in Sachen Lang-Lkw, Leichtbau und Kundennutzen.

Fotos: Fliegl Fahrzeugbau
Fotos: Fliegl Fahrzeugbau
Robert Domina

Herr Fliegl, wenn Sie die nächsten zehn Jahre vorausdenken: Wie werden die entwicklungstechnischen Schwerpunkte bei Fahrzeugbau Fliegl heißen?

Helmut Fliegl: Das werden längere – Stichwort Lang-Lkw – und auch etwas schwerere Zugkombinationen sein müssen. Auch wenn das von vielen Seiten nicht gewollt wird. Die Entwicklung wird dahin gehen.

Wer könnte da etwas dagegen haben?

Na ja, das ist ja kein Geheimnis: Ob das nun das KBA ist, Autofahrer-Verbände, Logistik-Verbände oder auch einige große Hersteller im Norden. Vieles soll man damit auch nicht fahren dürfen, weil als Gefahrgut eingestuft. Ich sage nur: Shampoo- Konzentrat. Das ist Gefahrgut, darf man mit einem Lang-Lkw gar nicht fahren. Dabei ist die Technik für den 25-Meter- Zug längst fix und fertig. Aber die großen Nachrichten-Medien wie überregionale Zeitungen beschreiben das halt ganz anders und deshalb glauben die Menschen, das funktioniere nicht.

Wenn Sie mal ganz verrückt denken: Wo geht es hin?

Längere Züge müssen kommen. Und auch die europaweite Angleichung an 44 Tonnen Gesamtgewicht. Gutes Beispiel ist da der Kombiverkehr: 44 Tonnen sind dort, aber nur dort möglich. Das heißt zehn Prozent mehr Ladungs-Kapazität ist gleich zehn Prozent weniger CO2-Ausstoß. Warum lässt man das nicht für alle zu? In Frankreich funktioniert das doch auch.

Thema Leichtbau: Wo gibt es die größten Spielräume in Sachen Material- und Werkstoff- Auswahl. Oder wiegen konstruktive Innovationen stärker?

Bei einigen Produkten sind wir schon sehr nah an den technisch möglichen Grenzen. Die Frage ist hier: Welche Sicherheiten will ich einbauen? Bei 44 Tonnen statt 40 Tonnen macht das natürlich ein Plus von zehn Prozent in den Belastungsgrenzen aus. Das Thema Carbon ist in der Branche eigentlich durch, davon verabschiedet sich sogar BMW als Vorreiter langsam. Aluminium bietet nicht die Streckgrenzen, die wir brauchen. Momentan reicht eben nichts an die hochfesten Stähle heran, die wir ja bereits verwenden. Auch wenn’s enttäuschend klingt: Schon vor 25 Jahren hatten wir Stähle mit sehr hohen Streckgrenzen von rund 1.300 Nm. Heute liegen wir bei 1.370 Nm, also nur unwesentlich darüber. Dennoch können wir heute konstruktiv mit Verstärkungen an den richtigen Stellen auch Fahrzeuge für den skandinavischen Markt für 60 Tonnen bauen – leicht, aufs härteste getestet und freigegeben. Das andere ist natürlich der Fahrer, der den Auflieger auch richtig beladen können muss. Das ist extrem wichtig. Fakt ist aber auch. Gut ausgebildetes Fahrpersonal kannst du dir heute nicht aussuchen. Falsche Bedienung und falscher Umgang mit dem Material steht einer Produkt-Verfeinerung oft entgegen.

An welchen Ecken wünschen sie sich mehr konstruktiven und produktionstechnischen Spielraum seitens der Vorgaben des Gesetzgebers?

Ich würde mir zuallererst weniger Lobbyarbeit wünschen. Auf gut bayerisch gesagt gibt es mir da zu viel Arschkriecherei. Es kann doch nicht sein, dass etwas, was der Volkswirtschaft nützt, sofort zerredet und schlechtgemacht wird. Beispiel: Der etwa um 1,5 Meter verlängerte Sattel kommt auch deshalb nicht, weil die großen Hersteller um die Rückkaufwerte ihrer Standard-Sattel fürchten. Wenn ein großer Hersteller 3.000 Auflieger mit dem alten Längenmaß von einem Großkunden wie Waberer oder Girteka zu einem zuvor festgelegten Preis zurücknehmen muss – da kann man sich vorstellen, dass das kein gutes Geschäft wird, um es mal vorsichtig auszudrücken. Die drei Großen haben da die Bälle perfekt gespielt, dass es eben nicht so weit kommt. Ich denke da anders: Einem produkttechnischen, wirtschaftlichen Vorteil dürfen solche Blockaden nicht entgegenstehen. Fliegl kommt, wie sie wissen, aus der Landwirtschaft. Und da gab es – ganz anders als beim Lkw – produkttechnische Riesen-Fortschritte, die einfach umgesetzt wurden. Warum soll das nicht auch beim Lkw funktionieren?

Stichwort standardisierte Schnittstellen: Warum ist es seit jeher so schwierig, zwischen Anhänger-Herstellern und den Produzenten der Zugmaschinen einheitliche Steck- oder Nah-Funkverbindungen zwischen Anhänger und Zugfahrzeug zum Beispiel für Rückfahrkameras oder Reifendruck- Kontrollsysteme festzulegen, so dass ein unproblematischer Austausch möglich ist?

Da muss ich widersprechen. Es gibt sehr wohl schon bestehende Verabredungen zwischen Fahrzeug und Anhänger- Hersteller. Das Problem ist in der Tat, dass sich jeder nur auf seinen eigenen Standard festlegt – so wie bei den unterschiedlichen Lade-Steckern der Handys. Wir wollten zur leider abgesagten IAA dieses Jahr eine Lösung zu diesem Thema vorstellen. Vielleicht können wir es zur Transport-Logistic zeigen: eine Verbindung für alle Daten zwischen Anhänger und Zugfahrzeug, die mit sehr vielen Zugfahrzeugen kompatibel sein wird. Beispiel Reifendruck-Kontrolle am Anhänger: diese Werte werden dann auch im integrierten System der Zugmaschine zu sehen sein, so wie es sich gehört. Aber das System geht noch weiter: Es identifiziert über eine eindeutige Codierung die Ladung und die Paarung Lkw/Auflieger. Nimmt der Fahrer den falschen Auflieger auf, kann er zum Beispiel gar nicht wegfahren, weil die Bremse des Aufliegers nicht aufmacht. So können hier keine Fehler mehr passieren. Logistisch ist das ein Meilenstein.

Sie waren ja schon immer sehr innovativ unterwegs. Wo sehen Sie noch Potenzial beim Thema Luftwiderstands-Optimierung und in welchen Trailer-Segmenten?

In Sachen Luftwiderstand gibt es Potenzial ohne Ende. Aber: Es gibt oft zu wenig Interessenten, dieses Potenzial zu heben. Außer uns kümmert es scheinbar niemanden, dass man einen Sattelauflieger mit dem Luftwiderstand eines Scheunentors hinter sich herzieht. Wir haben schon früh die Windleitbleche am Abschlussspant eingeführt. Hier verwirbelt die Strömung extrem, die Windleitbleche verhindern das und sparen einen Dreiviertelliter Diesel. Das interessiert aber wenig, sodass wir dieses Feature als Standard herausgenommen haben und nur auf Wunsch einbauen. Auch um den Übergang Vorderkante Auflieger zum Zugfahrzeug haben wir uns schon vor Jahren gekümmert und einen Spoiler für die Auflieger-Dachkante angeboten. Oder die Abdeckplane beim Kipper: Leer mit offener Plane zu fahren kann bis zu drei Liter Mehrverbrauch ausmachen – je nach Muldengröße. Interessiert aber niemanden.

Insbesondere bei Kühltrailern spielt die Bremsenergie-Rückgewinnung eine gewisse Rolle als Back-Up für die elektrische Energieversorgung des Kühlaggregats. Können Sie sich vorstellen, dass sich Rekuperations-Achsen im Trailer auch in Kippsatteln und Curtainsidern dereinst rentieren könnten?

Am Kippsattel ja, am Curtainsider nein. Der Effekt einer Rekuperations-Achse ist stark davon abhängig, ob viel Stop-and-Go gefahren wird. Dieser Anteil ist beim Kipper natürlich ungleich höher als beim Curtainsider im Fernverkehr. Hierzu nur so viel als Ausblick: Da sind wir für den Kipper dran.

In Bezug auf ihre Kunden: Welche Themen für die Zukunft liegen ihren Kunden am meisten am Herzen?

Der Kunde wünscht sich vor allem, dass das Gerät funktioniert und nichts kaputtgehen kann. Und zwar unabhängig von der Qualität des Fahrers! Am besten ist auch, wenn man davon gar nichts merkt. Beispiel ist unser serienmäßiger, selbstreinigender Kotflügel: Da kann gar kein Stein drauf liegenbleiben und irgendwann runterfallen und etwas beschädigen. Oder die Magnet-Plane, die am Heck selbstständig abschließt und und und…

Ist die Nutzlast nicht das alles entscheidende Thema für den Kunden?

Klar steht die Nutzlast immer im Vordergrund. Unser Revolution-Kipper mit unter vier Tonnen Leergewicht ist da das beste Beispiel. Wir sind da ziemlich weit vorne – von Haus aus, sozusagen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wäre schon glücklicher, wenn Details, die den Alltagsnutzen ganz einfach verbessern, nicht mehr so oft nur belächelt würden, sondern tatsächlich Eingang in den Alltag finden würden – wie zum Beispiel diese simple Kotflügel-Aufhängung, auf der keine Steine mehr liegenleiben können. Ganz einfach, weil sie nicht mehr da ist. Solche Dinge werden mir viel zu wenig gewürdigt. Oder Quick-Lock zum Beispiel als Dreh-Verschluss für den Curtainsider: Erspart zig Spanner entlang der Plane und ist extrem schnell. Die Branche und auch ihre Kunden sind irgendwie innovationsfaul. Beim Zugfahrzeug wird jedes neue Detail gefeiert, der Anhänger wird dagegen extrem stiefmütterlich behandelt. Das zu ändern, daran arbeiten wir jeden Tag.

Der Artikel erschien in der 2020er Ausgabe des Magazins VISION Transport.