Digitalisierung: Ein Handy auf Rädern

In der modernen Welt braucht das Lkw-Fahrerhaus weit mehr als Lenkrad, Gangschaltung und Gaspedal. Es ist ein Kommunikationsort, stetig im digitalen Austausch mit der Außenwelt. Hinzu kommen zahlreiche Online-Möglichkeiten für Infotainment und Disposition. Auch die erfordern neue Lösungen.

Redaktion (allg.)

Bei Pkw der neusten Generation spricht man aufgrund ihres hohen Grads an Vernetzung des Öfteren von „Handys auf Rädern“. Doch nicht nur in privat genutzten Fahrzeugen wächst die Bedeutung des Themas Connectivity. Auch das Führerhaus eines Lkw gleicht immer stärker einer Kommandozentrale, von der aus der Fahrer nicht nur seine tägliche Arbeit verrichtet. Er hält außerdem den Kontakt zur Außenwelt – sei es der Disponent in der Spedition oder das Unterhaltungsprogramm für die Nacht auf dem Rastplatz.

Bei Pkw ist das Thema Connected Cars schon längst in aller Munde. Für Speditionen hat das Verbinden ihrer Lkw eine ganz andere Bedeutung. Auf der Autobahn im Norden von München kann man die Zukunft bereits heute beobachten. Von einem Führungsfahrzeug gesteuert, rollen elektronisch miteinander gekoppelte Trucks im festen Verbund ihrer Wege. Ziel der Übung: Durch die konsequente Ausnutzung des Windschattens sinkt der Treibstoffverbrauch, was sowohl den CO2-Ausstoß verringert als auch dem Fahrer der folgenden Lkw die Möglichkeit gibt, die Fahrzeit für Tätigkeiten zu nutzen, die er ansonsten nach der Fahrt oder während des Be- und Entladens durchführen müsste.

Zwei Welten verschmelzen

Wie bei diesem Beispiel, dem „Platooning“ genannten Zusammenschluss mehrerer Lkw, benötigt der Fahrer auch in anderen Situationen einen Arbeitsplatz, an dem Mensch und Maschine symbiotisch zusammenarbeiten können. In herkömmlichen Cockpits werden bereits jetzt viele Funktionen elektronisch gesteuert und überwacht, Informationen mit anderen Fahrern, Logistikunternehmen und -zentren ausgetauscht oder Dienstleistungen per App genutzt. Damit der Fahrer seinen Job noch besser erfüllen und die intelligente Maschine mögliche Schwächen des Menschen ausgleichen kann, gilt es, die Digitalisierung der Trucks durch Connectivity zu erweitern. Die Palette der digitalen Serviceangebote muss ausgebaut und Bedienbarkeit, Haptik sowie Design optimiert werden. Ziel ist der sogenannte phygitale Arbeitsplatz, an dem die physische und die digitale Welt miteinander verschmelzen.

Im Prinzip ist es wie mit der Digitalisierung in Unternehmen: Das Fax-Gerät durch E-Mail-Kommunikation zu ersetzen, ist wenig zielführend. Es gilt Prozesse und Umgebungen radikal zu verändern. Nutzfahrzeughersteller sollten dieses Thema daher jetzt konzentriert angehen und mehr anstreben als nur eine solide Connectivity-Grundausstattung ihrer Trucks, durch die sich aktuell verfügbare Dienste besser nutzen lassen. Sie brauchen Konzepte, wie künftig sukzessive zusätzliche Funktionen etwa zum autonomen Fahren und umfassende weitere Services rund um den Arbeitsplatz des Fahrers in die Kabine kommen.

Die Lkw-Kabine ist ein Arbeitsplatz, der dem Fahrer ein Höchstmaß an Sicherheit bieten soll und in dem er seine täglichen logistischen Aufgaben so effizient wie möglich erfüllen kann. In der Praxis bedeutet das, dass der Fahrer einfachen Zugriff auf alle verfügbaren Informationen hat, einschließlich einer effizienten Routenplanung, Aktualisierungen des Lkw-Zustands und beispielsweise der verbleibenden zulässigen Lenkzeit. Und das alles bei minimaler Ablenkung während der eigentlichen Fahrt, zumindest so lange der Fahrer den Lkw noch selbst steuern muss.

Einige Lkw-Hersteller haben sich in der Vergangenheit darauf verlassen, Bedienmetaphern sowie Ein- und Ausgabetechnologien - wie zum Beispiel Touchscreens - analog vom Pkw ins Nutzfahrzeug zu übertragen, ohne die wichtigen Unterschiede zwischen den beiden Fahrzeugtypen zu berücksichtigen.

Leicht verständlich

Eine intuitive grafische Benutzerschnittstelle schafft im Nutzfahrzeug die Möglichkeiten, digitale Komponenten vollends auszuschöpfen. Damit entsteht nicht nur eine moderne und gut gestaltete Bedienoberfläche, sondern das Design selbst hilft die Aufmerksamkeit des Fahrers entsprechend zu lenken und komplexe technische Zusammenhänge leicht verständlich darzustellen.

Mit der Anzeige von Geschwindigkeit und Tankfüllung ist es aber im Cockpit eines modernen Lkw noch nicht getan. Allein die zahlreichen Online-Möglichkeiten für Infotainment und Disposition erfordern neue Lösungen. Ähnlich verhält es sich mit dem sukzessiven Umstieg auf elektrische Antriebe. Viele Hersteller versuchen die neue Technologie über komplizierte Visualisierungen zu erklären. Im Endeffekt ist für den Fahrer auf erster Ebene aber vor allem der aktuelle Verbrauch beziehungsweise die Energierückgewinnung über die Rekuperation und die Restreichweite interessant – weitere Detailinformationen können bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden. Im Klartext heißt das: Für neue Technologien oder Services muss definiert werden, welche Informationen auch Sicht des Nutzers in welchen Situationen wesentlich sind. Das Anzeigekonzept muss dann genau darauf reduziert werden.

Ein Beispiel sind die bekannten Metaphern des Drehzahlmessers, die den optimalen oder kritischen Bereich im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit anzeigen. Diese könnten so auf Elektrofahrzeuge übertragen werden, dass sie dort dementsprechende Kenngröße anzeigen. Oder es wird beides kombiniert. Übertragen lässt sich das auch auf Themen wie Infotainment oder Disposition. Die Bedürfnisse des Fahrers kennen, verstehen und in eine sinnvoll abgestimmte Umgebung in der Kabine bringen – das ist die Prämisse. Dadurch steigt nicht nur die Produktivität, sondern auch die Experience für den Fahrer verbessert sich, der mit weniger Stress durch seinen Arbeitsalltag kommt.

Werner Spicka, Geschäftsführer bei Designaffairs in München