Was mit Cargobikes schon möglich ist

Am ersten Tag der 1. Nationalen Radlogistik-Konferenz in Berlin demonstrierten die Veranstalter an Praxisbeispielen wie dem KoMoDo-Projekt oder dem Hafenplatz Hub, wie man Transporte mit Cargobikes schon heute realisiert. Wir waren vor Ort dabei.

Johannes Reichel

Radlogistik ist eine tragende Säule unserer Strategie für nachhaltige Mobilität in der Stadt“, erklärte der Berliner Staatssekretär Ingmar Streese zum Auftakt und markierte gleich mal den Rahmen bei der 1. Nationalen Radlogistik-Konferenz des Radlogistik Verbands Deutschland (RLVD). Die startete mit Exkursionen zu Radlogistikunternehmen in der Hauptstadt – eine ideale Gelegenheit für einen weiteren LOGISTRA City Check. Denn man wolle mit der Veranstaltung zeigen, dass Veränderung möglich ist.

Unter anderem besuchten die Teilnehmer das beispielhafte KoMoDo-Projekt, bei dem erstmals fünf große Player auf dem KEP-Markt auf einem Areal zusammenarbeiten und von dem zentral gelegenen Hub aus die Liefergebiete um den Prenzlauer Berg mit Cargobikes versorgen. Im vom Hub aus per Bike im Pendelbetrieb erreichbaren Einzugsgebiet leben 800.000 Menschen, wie die Verantwortlichen skizzierten. Auch nach dem kürzlichen Ende des Pilotprojekts wird die Fläche jetzt weiter von vier Unternehmen genutzt. „Das Projekt ist lebensfähig. Wir hatten es von Anfang an so ausgelegt, dass es auch ohne staatliche Förderung auskommt“, erklärte Julius Menge, Wirtschaftsverkehrsbeauftragter in der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.

Einfach mal machen

Lediglich bei der Anschaffung von je zwei Lastenrädern und mit dem Grundstück und der Infrastruktur sei man den Unternehmen behilflich gewesen. Es sei auch darum gegangen, endlich mal zu machen, statt zu reden. Wobei es eben nicht immer gleich die perfekte und große Lösung sein müsse, sondern der kleinste gemeinsame Nenner zähle. Auf dieser Basis könne und müsse sicher noch vieles optimiert werden.

Für Menge zählt aber: Operatives Sharing von Infrastruktur findet hier schon statt, obwohl jeder Dienst seinen eigenen gebrandeten Container hat. Ob in Zukunft vielleicht sogar eine gemeinsame Belieferung im Stil einer White-Label-Lösung stattfinde, werde der Markt regeln. Menge verweist aber auch darauf, dass der Leidensdruck größer werde, Modelle und Fahrzeugkonzepte für nachhaltige Zustellung zu finden. „Hier kann man wirklich sehen, wie Logistik auf Basis von Cargobikes funktioniert“, erklärte der Verkehrsbeauftragte.

Mittlerweile werde das Berliner Projekt viel besucht, auch von internationalen Gästen aus interessierten Kommunen, berichtete Menge weiter. Man habe 160.000 Pakete mit Cargobikes ausgeliefert, 38.000 Kilometer absolviert, dabei 28.000 Fahrzeugkilometer eingespart, was einer Reduktion des CO2-Ausstoßes um elf Tonnen entspreche. „Klar, damit rettet man noch nicht die Welt. Aber man entlastet auch hier lokal das Umfeld massiv von Stickoxid- und Feinstaubemissionen, Lärm und dem Platzbedarf“, führte Menge weiter an.

Klar sei aber auch, dass solche zentral gelegenen Flächen selten und schwer zu bekommen seien. Man hoffe im Falle des Areals in Prenzlauer Berg, das auf einer ausgedienten Trambahnwendeschleife liegt, auf eine weitere Verlängerung, sehe sich aber aktuell nach weiteren Standorten für ein ähnlich konzipiertes Modell um. Menge hält die Flächeneffizienz daher für essenziell.

Dirk Brauer von der beteiligten Messenger GmbH, die hier mit GLS kooperiert, skizzierte aus der Praxis, dass der Radius für die Bikes nicht zu groß sein dürfe. Man setzt hier sowohl schnelle und wendige einspurige, elektrisch unterstützte Räder vom Typ Bullitt wie auch große Trikes von Bring und Radkutsche ein. Allerdings sei das Jobprofil doch deutlich anders, als das bei Radkurieren sonst der Fall ist, die von A nach B transportieren und jetzt mal 30 bis 50 Sendungen in einer Tour ausliefern müssen. „Es war enorm wichtig, die großen Akteure aus der KEP-Branche mit ins Boot zu holen“, bekräftigte er.

Nicht ohne die Großen

Martin Schmidt, Vorsitzender des RLVD und Chef des Unternehmens Cycle Logistics, unterstrich, dass es ohne eine Öffnung der großen KEP-Dienstleister nicht gegangen wäre. „Für die Unternehmen ist so ein Mikrohub erstmal teuer und ein weiterer Umschlagpunkt in der Lieferkette“, skizzierte der Cargobike-Logistiker. Man müsse sich also genau überlegen, welche Waren wo auf ein Lastenrad verladen werden könnten. Genau dafür sei das KoMoDo-Projekt aber ein Labor, wie Cargobike-Logistik funktionieren müsse, um erfolgreich zu sein. Zudem könne man endlich etwas vorzeigen, um die Diskussion voranzutreiben. „Das ist ja nun keine Rocket Science, aber man muss es schon richtig anstellen“, meinte Schmidt.

Dass es aber eben nicht nur die KEP-Dienste mit Paketfracht gibt, darauf wies der RLVD-Konferenz-Organisator Arne Behrensen hin. Man wolle mit dem Verband auch die Vielfalt der Cargobike-Logistik darstellen. Er verwies dabei auf das zweite Ziel der Radlogistikexkurse. Am Hafenplatz in Berlin realisierte die aus der Deutschen Bahn ausgegründete Plattform „zukunftsangelegenheiten.de“ mit den Unternehmen Cycle Logistics/Velogista sowie Velocarrier ein ganz anderes Modell. Hier werden die teils niedrigzahligen Sendungen kleinerer Auftraggeber so gebündelt und konsolidiert, dass es sich preislich eben doch rechnet, umweltfreundlich zuzustellen.

Tiefkühlware per Bike

Spezialität sind hier etwa Biokisten und Lebensmittel. 15 Ausfahrer leisten täglich sechs bis acht Touren, im Depot befindet sich auch eine Werkstatt für schnelle Reparaturen – ein Unterschied zum KoMoDo-Standort. „Wir operieren in einem sehr preisschwachen Markt, der aber ein gewaltiges Wachstumspotenzial bietet“, analysiert Martin Schmidt. Er habe daher auch kein Problem, am gleichen Standort mit Wettbewerbern zu kooperieren. „Es ist genug Volumen für alle da“, meinte er.

Dass es sich dabei auch um Frische- und gar Tiefkühl- oder Pharmaprodukte handeln kann, beschrieb Thomas Schmitz von Velocarrier Mainz, der die wirklich „letzte Meile“ in Mainz mit Cargobikes bedient und auf passive Kühlung setzt. Bei einstündigen Liefertouren sei eine aktive Kühlung nicht nötig, wenn man es richtig anstelle. Er garantiert per Sensorüberwachung in den Thermoboxen und per App die erforderlichen Temperaturen und kann, wenn gewünscht, auch einen Temperaturreport anbieten. „Wenn für so ein Bike die Box mit Kühlaggregat alleine 100 Kilo wiegt, dann bleibt keine Nutzlast mehr übrig“, sagte der Praktiker lapidar. Da müsse man sich eher fragen, wann sich ein neuer Mikrohub lohne.

Hier wusste wiederum Gerd Lemken vom Cargobike-Händler Punta Velo, der dritten Station der Exkurse, Neues zu berichten. Gemeinsam mit DHL Express hat man eine Containerlösung ersonnen, die beidseitig geöffnet werden kann, nachts als Bike-Garage dient und in Frankfurt nahe der Zeil bereits als Kleinstdepot für Lastenräder genutzt wird. Hier operiert man wiederum mit schnell pendelnden einspurigen Bikes vom Typ Bullitt, die gemeinsam mit Shimano optimiert worden sind und mittlerweile hohe und praxisgerechte Laufleistungen erzielen, wie Lemken berichtete. Die E-Motoren kämen auf bis zu 83.000 Kilometer.

Täglicher Service Pflicht

Voraussetzung für einen reibungslosen Betrieb sei neben dem passenden Hub und Standort sowie Fahrzeug aber auch, dass der Shimano Service täglich die Räder überprüfe und Schäden respektive Ausfällen so vorbeuge. Auf die Frage, wie die nächste Generation Cargobikes beschaffen sein müsse, meinte der Cargobike-Experte: „Sie müssen nicht unbedingt schwerer und stärker sein, wir kommen im Prinzip schon mit dem vorhandenen Material klar, auch mit den 300 Liter großen Boxen. Eher müssten sie schneller sein und leicht bleiben.“ Sonst nehme man sich irgendwann den größten Vorteil des Lastenrads.

Welche Ideen da fahrzeugseitig „in der Pipeline“ sind oder bereits in Serie gehen, davon konnten sich die Teilnehmer schließlich im Motion.Lab in Treptow überzeugen. Von hier aus starteten Firmen wie Citkar oder Ono die Entwicklung, die man hier tatkräftig durch entsprechende Infrastruktur mit CoworkingSpaces, Planungssoftware oder auch Hardware wie CNC-Fräsen oder 3D-Druckern für Prototyping unterstützt. So haben kleinere Unternehmen die Chance, ihre Produkte marktreif zu machen, wie Christoph Neye von Motion.Lab erklärt.

Und Innovationen sind durchaus nötig, wie Martin Schmidt aus der Praxis bestätigt. „Bei einem Transporter haben sie die ersten sechs Jahre keine größeren Reparaturen, alle zwei Jahre einen Service. Bei den Cargobikes müssen sie ständig hinterher sein. Das macht es teuer. Wir brauchen dringend standhaftere Technik“, fordert er. Es bleibt also noch viel zu tun, auch wenn schon vieles möglich ist. jr

1. Nationale Radlogistik-Konferenz – Ein wichtiges Puzzleteil

Die Radlogistik spielt in der Öffentlichkeit längst nicht die Rolle, die ihrem Potenzial zur Entlastung der Städte entspricht: Das ist das Fazit der 1. Nationalen Radlogistik-Konferenz, die der Radlogistik Verband Deutschland (RLVD) in Berlin veranstaltet hat. „Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, alleine durch den Klimawandel, wir müssen die Mobilität neu denken, denn sie hat sich ins Gegenteil verkehrt“, erklärte Regine Günther, Berliner Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Dass wir hier etwas ändern müssen, ist unumgänglich, der Onlinehandel sorgt zudem für mehr Verkehr“, erklärte die mittlerweile bei den Grünen beheimatete Politikerin. Nach ihrem Dafürhalten könnten dabei Cargobikes eine entscheidende Rolle spielen.

„Das Lastenrad ist nur ein Puzzlestück im gemeinsam zu entwickelnden Bild der nachhaltigeren urbanen Mobilität, aber ein sehr wichtiges“, befand auch Julius Menge von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Wir müssen die Logistik noch besser hinbekommen, keine Frage, erst recht weil das Verkehrsaufkommen speziell im Liefersegment weiter steigt“, gestand der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Bilger (CDU) zu. Die Effizienzgewinne seien durch den Verkehrszuwachs aufgefressen worden. Bilger will eine Wende erreichen über Anreize und Innovationen. Dazu zählt der Politiker ebenfalls die Cargobike-Logistik, die er im Rahmen der Elektrifizierung des Güterverkehrs sieht. Im Gegensatz zu den Prognosen von Radlogistikexperten, die dem Bike bis zu 50 Prozent der urbanen Verkehrsleistung zutrauen, taxiert Bilger das Potenzial auf 20 Prozent. Dem wolle man unter anderem mit einer Überarbeitung der geplanten Neuregelung der StVO Rechnung tragen, nach der Lastenräder nun doch auch am Fahrbahnrand geparkt werden dürfen. Zudem will man Ladezonen für Cargobikes ausweisen und ein neues Verkehrsschild schaffen. jr