Interview mit Christian Sulser (Iveco Magirus AG): „Wir verzeichnen eine verstärkte Nachfrage nach umweltfreundlichen Fahrzeugen und digitalen Services“

Auf der IAA TRANSPORTATION 2024 in Hannover zeigt sich die Nutzfahrzeugindustrie bereit für die dekarbonisierte Zukunft. Doch Hindernisse auf dem Weg zum CO2-neutralen Transport bleiben. Wir sprachen mit Christian Sulser, Vorstand Vertrieb und Marketing bei der Iveco Magirus AG.

Christian Sulser ist Vorstand Vertrieb und Marketing bei der Iveco Magirus AG. | Bild: Iveco
Christian Sulser ist Vorstand Vertrieb und Marketing bei der Iveco Magirus AG. | Bild: Iveco
Tobias Schweikl

Herr Sulser, wie bewerten Sie die aktuelle Marktlage für Nutzfahrzeuge in Deutschland?

Das Geschäftsklima unserer Kunden hat sich verschlechtert und belastet die Verkaufszahlen. Zudem sind die Neubestellungen aufgrund makroökonomischer Unsicherheiten und der Unsicherheit in welche Technologie zu investieren ist, deutlich niedriger als im Vorjahr. Unsere Bestände fließen ab, aber die Neubestellungen sind niedrig, jedoch auf konstantem Niveau.

Gibt es Unterschiede bei den Fahrzeugklassen?

Im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge laufen die Auslieferungen gut und wir bauen unsere Marktanteile in einem noch etwas wachsenden Markt leicht aus. Auch im Bereich der mittelschweren und schweren Nutzfahrzeuge lagen die Zulassungen in den ersten sechs Monaten auf dem Niveau der ersten sechs Monate des Vorjahres. Wobei im Juni aufgrund der gesetzlichen Vorschriften deutlich mehr Fahrzeuge zugelassen wurden als im Juni 2023. Die Händler sind immer noch damit beschäftigt, die Auslieferung von Fahrzeugen abzuwickeln, die in den Jahren nach der Pandemie erst spät angeliefert worden sind.

Welche Faktoren beeinflussen derzeit den Absatz von Nutzfahrzeugen am stärksten?

Der Markt steht immer noch vor Herausforderungen wie schwankenden Kraftstoffpreisen, regulatorischen Änderungen, Unterbrechungen der Lieferkette und veränderten Verbraucherpräferenzen. Zudem sind viele Kunden unsicher auf welchen Antrieb sie künftig setzen sollen. Der abrupte Stopp der Förderprogramme sorgte hier für eine zusätzliche Verunsicherung und deutlich reduzierte Nachfrage nach schweren elektrischen Fahrzeugen.

Welche Trends beobachten Sie bei den Kundenanforderungen und -erwartungen?

Aufgrund des steigenden Bedarfs nach effizienten und nachhaltigen Transportlösungen verzeichnen wir eine verstärkte Nachfrage nach umweltfreundlichen und technologisch fortschrittlichen Fahrzeugen und digitalen Services. Genau das spielt uns gerade in die Karten – als einer der wenigen Nutzfahrzeughersteller setzen wir über alle Produktreihen hinweg auf eine Multi-Antriebs-Strategie. Deswegen sind auf der IAA auf dem Iveco-Messestand Nutzfahrzeuge zu sehen, die das umfangreiche Angebot an alternativ angetriebenen Fahrzeugen mit Biogas, Strom und Wasserstoff zeigen.

Welche Highlights präsentiert Iveco Magirus auf der Messe?

Die Highlights bei Iveco sind zwei brandneue lokal emissionsfreie Nutzfahrzeuge, die auf der IAA ihre Weltpremiere feiern und nach der Messe auch direkt in den Verkauf gehen. Der neue „IVECO eMoovy“ ist das zusammen mit Hyundai entwickelte elektrische leichte Nutzfahrzeug, mit dem Iveco im Segment 3,5 t debütiert. Die zweite Neuheit auf dem Messestand ist das schwere elektrische „IVECO S-eWay“-Fahrgestell, die vielseitige und flexible Lösung für alle städtischen und regionalen Anforderungen.

Welche Innovationen haben Sie in Ihren neuen Fahrzeugmodellen integriert?

Der eMoovy vereint Pkw-ähnlichen Komfort und hohe Nutzlasten in einem leichten Nutzfahrzeug das geradezu für den Stadtverkehr und Lieferungen auf der letzten Meile prädestiniert ist. Mit 160 kW Leistung und 350 Nm Drehmoment sowie einer Reichweite von mehr als 450 Kilometern in der Stadt macht lokal emissionsfreier Lieferverkehr richtig Spaß. Und auch im Bereich Sicherheit liegt die Latte mit der schon integrierten zukünftigen GSR-C entsprechend hoch.

Das neue „IVECO S-eWay“-Fahrgestell punktet neben den vielen aus dem Modelljahr 2024 bekannten Highlights mit einer außerordentlichen Flexibilität und lässt auf den jeweiligen Einsatzzweck perfekt zuschneiden. Modulare Batteriepakete mit unterschiedlichen Kapazitäten von bis zu 490 kWh und 480 kW Dauerleistung an der eAchse gewährleisten, dass sich urbane und regionale Transporte schnell, effizient und lokal emissionsfrei erledigen lassen. Die Aufbaufreundlichkeit steht dabei dem Dieselmodell in nichts nach. Drei unterschiedliche Nebenabtriebe gewährleisten zudem anspruchsvolle Einsätze wie bei Müllfahrzeugen, Kranwagen oder Abroll- und Absetzkippern.

Wie ist das Feedback der Besucher und Kunden auf der Messe zu Ihren neuen Fahrzeugen?

Soweit man das nach dem ersten Messetag schon beurteilen kann, ist das Interesse nach alternativ angetriebenen Fahrzeugen weiterhin hoch. Wobei die Kunden nicht mehr nur nach Fahrzeugen suchen, sondern nach kompletten Mobilitätslösungen. Also Fahrzeug, Lademöglichkeit und weitere Services in einem Paket. Mit „GATE“ (Green & Advanced Transport Ecosystem), dem Pionier in der Langzeitvermietung von emissionsfreien Nutzfahrzeugen innerhalb der Iveco Group, bieten wir ab sofort in Deutschland ein Pay-per-Use-Modell für den „IVECO eDaily“ an.

Wie sieht die Strategie von Iveco Magirus im Hinblick auf alternative Antriebsarten wie Elektro, Wasserstoff und Hybrid aus?

Wie bereits erwähnt, sind wir einer der wenigen Nutzfahrzeughersteller, der über alle Produktreihen hinweg auf eine Multi-Antriebs-Strategie setzt. Denn nur so lassen sich unserer Meinung nach die ambitionierten Klimaziele erreichen. Es wäre einfach verantwortungslos auf nur einen Antrieb zu setzen dessen Marktdurchdringung sowie die Installation der dazugehörigen Infrastruktur noch Jahrzehnte dauert.

Wie bewerten Sie die Akzeptanz und Nachfrage nach E-Lkw und Wasserstoff-Lkw in Deutschland und Europa?

Die Nachfrage ist durchaus vorhanden. Nach den ersten zaghaften Test mit vereinzelten Fahrzeugen in den Flotten, gilt es jetzt entsprechende Stückzahlen in den Markt zu bringen. Damit die Wende jedoch gelingt, benötigt es nicht nur uns als Nutzfahrzeughersteller, denn wir können in wichtigen Segmenten bereits liefern. Derzeit fehlt es leider noch an Infrastruktur, genügend grünem Strom/Kraftstoff und staatlichen Förderungen.

Wie schätzen Sie den aktuellen Stand des Ausbaus der Ladeinfrastruktur in Deutschland ein?

Für die aktuell in Deutschland zugelassenen BEV-Lkw reicht die vorhandene Infrastruktur gerade so aus. Zumal der Großteil dieser Fahrzeuge eher regional unterwegs ist und über Nacht meist auf dem eigenen Speditionshof wieder aufgeladen werden. Dass ein Fernverkehr schon jetzt möglich ist, beweisen unsere „IVECO S-eWay“-Sattelzugmaschinen. Einer unserer Kunden schafft mit einer Ladung sogar knapp 600 Kilometer am Tag.

Schnelles Nachladen unterwegs mit bis zu 350 kW ist auch kein wirkliches Problem, geht aber zum Teil sehr ins Geld und der Auflieger muss bei vielen Autohöfen aus Platzgründen an den Säulen erst noch abgesattelt werden. Gerade bezüglich Ladeinfrastruktur ist also schon noch deutliche Luft nach oben.

Welche Auswirkungen hat die Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur auf die Marktdurchdringung von E-Lkw?

Sobald die Infrastruktur steht und es genügend grünen Strom zu vernünftigen Preisen an den Ladesäulen gibt, wird die Marktdurchdringung deutlich steigen.

Welche Rolle spielt Iveco beim Ausbau der Ladeinfrastruktur?

Für Iveco ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur eine der zentralen Säulen für den Hochlauf der batterieelektrischen Mobilität. Als Fahrzeughersteller liegt unsere Kernkompetenz im Bereich Entwicklung, Bau und Vertrieb von Fahrzeugen. Wir arbeiten deshalb mit erfahrenen Partner aus dem Energiesektor zusammen, um den notwendigen Aufbau der Ladeinfrastruktur für Nutzfahrzeuge voranzutreiben. Wichtig ist dabei allerdings auch, dass die großen Bemühungen aus der Wirtschaft politisch flankiert werden, denn die Transformation hin zur Klimaneutralität im Verkehr ist eine Gesamtaufgabe.

Die Fragen stellte Tobias Schweikl