Voll ist nicht immer gleich voll

Der Überführungs-Törn eines Volvo-Testwagens ist immer etwas Besonderes, schon wegen der Fähr-Etappe zwischen Göteborg und Kiel. Und wenn der Volvo ein LNG-Modell ist, kann es besonders spannend werden. Denn das Tankstellen-Netz ist immer noch nicht dicht genug und Fehler beim Tanken können empfindlich die Reichweite beeinflussen.

Über Nacht in elf Stunden übers Kattegat und den Großen Belt von Göteborg nach Kiel: Ankunft in Kiel, runter von der Fähre. Bild: R. Domina
Über Nacht in elf Stunden übers Kattegat und den Großen Belt von Göteborg nach Kiel: Ankunft in Kiel, runter von der Fähre. Bild: R. Domina
Redaktion (allg.)

Normal ist das nicht. Denn diese Fahrzeug-Übergabe vor dem Volvo-Museum, mitten in den Docks des Göteborger Industriegebietes Arendal ist diesmal etwas Besonderes. Zusammen mit Volvo Test-Expert Thomas Tschakert überführe ich einen Volvo FH 460 LNG nach München in die Ismaninger Volvo-Deutschland-Zentrale. Unser Interview mit Volvos Umwelt-Experte Lars Mårtensson (vgl. Seite 13) haben wir gerade in den Magazinen des Volvo-Museums beendet. Jetzt wartet die Fähre Göteborg – Kiel auf uns, wir müssen langsam los. Vor uns liegen noch gut zehn Kilometer durch den Göteborger Hafen bis zum Terminal der Stena-Fähre nach Kiel. Insgesamt sind es ziemlich genau 1.300 Kilometer Gesamtstrecke bis nach München. Zieht man den Seeweg mit der Fähre ab (400 Kilometer oder 245 nautische Meilen) dann bleiben noch etwa über 900 Straßen-Kilometer, die wir mit dem LNG-Volvo zu bewältigen haben.

An sich keine große Sache. Der Volvo-LNG-Tank fasst schließlich 205 kg verflüssigtes Erdgas (LNG). Bei einem kalkulierten Verbrauch von rund 16 kg pro 100 Kilometer würden wir 144 kg bis nach München verbrauchen und hätten noch eine Reserve von 56 kg oder rund 350 Kilometer im Tank. Soweit die Theorie.

Auf Grund der vielen Baustellen und Behinderungen auf der A7 und weil wir das Nadelöhr Elbtunnel vermeiden wollen, hat Thomas Tschakert eine interessantere Route gewählt. Zudem ist unser Tank nur mit zirka 160 kg LNG beladen, weil der FH schon eine Zeitlang stand und bereits 12 bar Dampfdruck im Tank aufgebaut hatte. Soll heißen: Es könnte knapp werden, so dass wir die LNG-Tankmöglichkeit der KP Logistik in Wustermark westlich von Berlin nutzen wollen. Streckenverlauf also: Von Kiel die A21 nach Süden, ab Ahrensburg den Abkürzer über die B 404 auf die A 24 Richtung Berlin. Am Dreieck Havelland biegen wir nach Süden auf die A10, Tanken, dann weiter Richtung Dreieck Potsdam auf die A9. Und die führt uns dann bekanntlich auf direktem Wege nach München.

Wenige LNG-Tankstellen

Die Tank-Situation in Deutschland für LNG im Februar 2020 ist übersichtlich: Im Norden gibt es Zapfsäulen in Hamburg, Rostock, Stavenhagen, und Berlin (Wustermark und Grünheide). Die Mitte decken derzeit Magdeburg, Duisburg, Recklinghausen, Köln und Kassel ab, im Süden ist die Lage nach wie vor sehr dünn, es gibt LNG in Ulm, Nördlingen und Mannheim. Das heißt, derzeit ist zwischen Berlin und München LNG-technische Wüste, jedenfalls so lange die geplanten Tankstellen Leipzig und Nürnberg nicht eröffnet sind. Das ficht uns aber nicht an, denn ab Berlin-Wustermark wird unser Tank voll sein – kein Problem also bis München.

Bis dahin beschäftige ich mich auf der plattebenen A 24 erst mal mit unserem 460er LNG-Volvo. Der ist mit allem ausgestattet, was gut und teuer ist. Was das Herz eines Truckers möglicherweise sogar höher schlagen lässt, ist das neuerdings beleuchtete „Iron Mark“-Logo über der Frontklappe. Ja, das hat was. Den Stern gibt’s ja schon länger hinterleuchtet, nun also auch das Volvo-Logo.

Viel wichtiger scheint mir allerdings die Evolution-Version der elektrisch angesteuerten Lenkung namens Dynamic Steering. In den Tests kommen wir kaum dazu, dieses Wunderwerk der Lenktechnik mal näher zu beleuchten, die brettebene, (auch schon vor Corona) kaum befahrene A 24 erlaubt mir jetzt tiefere Einblicke. Über den Sekundär-Bildschirm lässt sich die Lenkung mit einer Fülle von Parametern einstellen. Am stärksten differenziert die Einstellungsmöglichkeit „Fahrerspezifisch“: Über eine Art Equalizer mit den Reglern „Geradeausfahrt“, „Kurvenfahrt“, „Rückstellkräfte“ und „Dämpfung“ soll der Fahrer hier eine für den Einsatz, die Beladung und den Untergrund passende Einstellung finden. Das ist gar nicht so leicht, eben weil es so viel auszuprobieren und einzustellen gibt. Veränderungen an den Reglern haben tatsächlich eine Wirkung entsprechend der Art des Parameters. Die richtige Kombination zu finden, ist allerdings tricky – ich fürchte da reichen 1.000 Kilometer nicht aus. Und so stelle ich um auf das Menü mit den fest abgelegten Programmen „Stabil“, „Direkt“, „Leicht“ und „Default“ (Grundeistellung). Und diese Programme tun, was sie sollen.

Automatisch Spurhalten

Am deutlichsten erfühlbar wird das, wenn der Spurhalteassistent zusätzlich aktiviert ist. Registriert der Spurhalte-Assistent zum Beispiel das langsame Abdriften nach rechts oder links, steuert Dynamic Steering gut fühlbar eine Gegenbewegung ein. In den ersten Versionen war diese Korrektur zum Teil so heftig, dass gleich wieder gegengelenkt werden musste – die Fuhre schaukelte sich manchmal regelrecht auf. Diese Überreaktion ist nun vollständig getilgt und die Lenkung korrigiert ausgesprochen maßvoll und exakt, so muss das sein. Für die Autobahn heißt mein Favorit der Lenkprogramme ganz klar „Stabil“. In dieser Einstellung läuft unser voll ausgeladener Zug auch bei Spurrillen und Schlechtweg-Flicken kerzengerade und verlangt am wenigsten Korrekturen – sehr gut übrigens in engen Baustellen. In Stellung „Direkt“ reagiert die Lenkung auf kleinste Bewegungen in der Mittellage und wirkt daher ziemlich unruhig. Das Programm „Leicht“ bietet Vorteile zum Beispiel im Kipper-Einsatz und bei häufigen Rangiervorgängen, ist aber auf der Langstrecke nicht der wahre Jakob, da das Lenkgefühl ziemlich synthetisch ist und keinerlei Rückschlüsse auf die Fahrbahn-Eigenschaften zulässt. Meine Meinung: Die Einstellungsmöglichkeiten sind fast zu umfangreich, das könnte man ein wenig vereinfachen. Aber: Verschiedene Lenk-Charakteristiken sind sinnvoll und können dem Fahrer die Arbeit am Volant erleichtern.

Auch der Spracheingabe widmen wir uns. Zuerst stellen wir alle Spracheinstellungen auf Deutsch um, sofern das über die Erkennung der Fahrerkarte noch nicht automatisch passiert ist. Die Einstellungen des Navi beginnen vielversprechend. Taste gedrückt, laut und deutlich „Navigation“ verlangt, schon antwortet Miss Volvo „Was ist ihr Zielort?“. Ich formuliere erst mal „München, Flughafen“, weil dort mein Pkw auf mich wartet. Die Antwort: „Im Wiesengrund, Flughafen, Germany.“

Zweiter Versuch für den Zielort, die Volvo-Werkstatt in Ismaning: „Am Lenzenfleck, Ismaning“. Antwort Miss Volvo: „Am Hang, Ismaning, Germany.“ Die Stimme ist wirklich angenehm aber die Gute versteht mich nicht wirklich. Nach einigen weiteren Versuchen mit keinem einzigen Treffer gebe ich auf und tippe „Flughafen München“ über den Touchscreen ein. Fazit des Spracheingabe-Checks: grottenschlecht. Das hatten wir vor zwei Jahren auch schon, als wir einen Vergleich mit drei FH fuhren. Da ist also nach wie vor noch Luft nach oben.

Wir erreichen Wustermark, den Betriebshof von KP Logistik. Über den Firmensitz im dänischen Køge (Zentrale) und über die Niederlassungen Stavenhagen und Wustermark steuert KP Logistik über 400 Fahrzeuge in der Beschaffungs- und Distributionslogistik. Darunter sind allein 110 LNG-getriebene Scania-Züge, die über firmeneigene Tankstellen mit Kraftstoff versorgt werden. Zum Zeitpunkt unseres Eintreffens herrscht rege Betriebsamkeit: Gerade werden die zwei mobilen LNG-Vorratsbehälter von einem dritten Tanker nachgefüllt. Es ist eng aber wir passen gerade noch an die Zapfstelle, ohne absatteln zu müssen.

Die Pumpen machen einen Höllenlärm, Eiskristalle glitzern in der Luft, der Operateur schraubt hektisch an allerlei Ventilen. Das Problem: Wir haben zu viel gasförmiges Methan im Tank. Das verhindert eine optimale Befüllung mit flüssigem, Minus 160 Grad kalten Methan. Je mehr gasförmiges Methan im oberen Bereich des Tanks, umso weniger flüssiges Methan kann der Tank aufnehmen. Normalerweise wird der gasförmige Anteil im Tank abgesaugt, dadurch der Gasdruck im Tank vermindert (im Idealfall auf rund 6 bar) und so eine maximale Füllung mit flüssigem Gas gewährleistet. Aber die Absaugung klappt nicht. Der LNG-Tankwart versucht, über die Abblase-Pipes hinter der Fahrerhaus-Rückwand das gasförmige Methan im Tank los zu werden. Das funktioniert zunächst, ist aber keineswegs umweltfreundlich und würde auch zu lange dauern, wir stoppen das. Mit der Folge, dass wir zwar genau 59,8 kg LNG tanken können, allerdings bei fast 13 bar Gasdruck im Tank. Wir sind also weit weg von den maximal möglichen 200 kg flüssigem Gas, die der Tank fassen könnte.

Der Bordcomputer errechnet nach dem Tankvorgang exakt 1.186 Kilometer Reichweite. Das klingt zwar gut, ist aber ein rein theoretischer Wert und mit Vorsicht zu genießen. Denn wir wissen keineswegs, wie voll dieses Voll nun in Wirklichkeit ist. Was das letztlich für die Reichweite bedeutet, sollte sich am Abend des nächsten Tages zeigen

Sei’s drum: Wir nehmen die restlichen gut 560 Kilometer nach München in Angriff. Nach einer Übernachtung in Linthe an der A9 nehmen wir die letzten 510 Kilometer bis zum Flughafen München unter die Räder. Die A9 läuft bestens. Am Flughafen München ziehe ich meine Karte und übergebe den LNG-Zug wieder an Thomas. Von Göteborg bis hierher zeigt die Dynafleet-Aufzeichnung seit Göteborg 921 Straßen-Kilometer (plus 400 km auf der Fähre) und 159 verbrannte Kilogramm Methan, macht im Schnitt 17,3 kg/100 km. Die Tankanzeige liegt schon im unteren Viertel, da haben wir in Wustermark offenbar einiges an möglicher Tank-Kapazität liegen gelassen, mehr als wir dachten. Könnte knapp werden, die Tankstelle in Nördlingen am nächsten Tag noch zu erreichen.

Es wird knapp

Um ja kein Risiko einzugehen, entschließt sich Thomas Tschakert sogar noch am selben Abend, die 160 Kilometer bis zur nächsten LNG-Tankstelle nach Nördlingen in Angriff zu nehmen. Gegen 21:00 Uhr desselben Tages zeigt die Anzeige vorm Tanken in Nördlingen für die Rest-Reichweite noch 30 Kilometer. Das war quasi auf der letzten Rille. Aber: Hier funktioniert das Verringern des Gasdrucks (15,5 bar) per Abpumpen tadellos, so dass Thomas den Tank bei 6,5 bar – das ist normal – tanken kann. Er bekommt 181 kg LNG rein, die Reichweitenanzeige meldet jetzt 1.340 kg. Umgerechnet heißt das, dass der Tank jetzt tatsächlich mit rund 200 kg LNG wirklich voll ist.

Anders bei der Zwischentankung in Wustermark. Durch den hohen Gasdruck im Tank von fast 13 bar konnten wir nur 59,8 kg tanken, hätten nach einer überschlägigen Rechnung aber das Doppelte, nämlich 124 kg in den Tank bekommen müssen. Abermals überschlägig nachgerechnet, bedeutet dies, dass pro einem bar das über dem Normal-Tankwert von 6,5 bar liegt, knapp 10 kg an Tankmenge nicht in den Tank gelangen. Das entspricht bei 13 bar Restdruck der Riesen-Fehlmenge von 64 kg, hervorgerufen durch zu hohen Gasdruck im Tank.

Fazit dieses LNG-Langstrecken-Törns: Augen auf beim Gasdruck im LNG-Tank! Da kann es mit der Reichweite ganz schnell den Bach runtergehen. Warum die Tankung, beziehungsweise Absaugung in Wustermark nicht so recht klappte, konnten wir wegen sprachlicher Hürden mit dem Operateur nicht wirklich klären. Fakt ist, dass auch ein manuelles Abblasen ins Freie nicht nur gefährlich ist, sondern auch viel zu lange dauert, um auf einen vernünftigen Gasdruck im Tank zu kommen. Ideal wäre, wenn man das gasförmige Methan im Tank direkt im Motor verbrennen könnte. Das ist aber so nicht vorgesehen, weil die Gasaufbereitung und Förderung im Fahrzeug vom flüssigen Aggregatzustand des Methans ausgeht und die Nutzung gasförmigen Methans im Tank vermutlich einen hohen technischen Aufwand bedeuten würde. Bleibt der Blick aufs Manometer: Nur bei niedrigem Gasdruck klappt die Tankung.rod