Lkw-Test: Französische Spezialitäten

Mit dem Renault T 480 Optifuel schickt Renault Deutschland erstmals einen Test-Truck ins Rennen, der offenbar mit viel Feinarbeit den hiesigen Gegebenheiten und Verkehrsverhältnissen angepasst ist. Mit erstaunlichem Ergebnis.

Schlägt sich unerwartet gut, da wurde wohl viel gemacht: Der Renault T 480 mit Euro-VI d-Motor und niedrig aufgesetzter Kabine. Fahrbarkeit und Verbrauch können überzeugen. Bild: rod
Schlägt sich unerwartet gut, da wurde wohl viel gemacht: Der Renault T 480 mit Euro-VI d-Motor und niedrig aufgesetzter Kabine. Fahrbarkeit und Verbrauch können überzeugen. Bild: rod
Redaktion (allg.)

Der aufmerksame Beobachter sieht es schon am Nummernschild: Dieser T 480 ist in München registriert, am Ort der Renault-Deutschland-Zentrale. Das muss sonst ja nichts heißen. In diesem Falle ist das aber eine Premiere. Denn bislang kamen die Test-Trucks der Renault T-Serie aus Lyon – der Heimatstadt der Renault-Truckbauer. Auch die Franzosen bereiten ihre Test-Trucks natürlich vor: Einfahren über mindestens 10.000 Kilometer gehört da dazu, abstimmen der Hinterachs-Übersetzung auf die zu fahrenden Strecken, Einstellen der Tempomat-Software und so weiter. Gerade letzteres hatten die Franzosen nicht immer im Blick, wenn es auf die bundesdeutschen Test-Strecken ging. Da waren Hysteresen abgelegt, die mit den Verhältnissen auf unseren Autobahnen und vor allem mit den bei uns relativ moderaten Geschwindigkeiten für Trucks nichts zu tun hatten. Entsprechend fielen dann die Ergebnisse aus, meist gekennzeichnet von überdurchschnittlich hohen Test-Verbräuchen.

Das sollte diesmal anders sein, davon weiter unten mehr. Erst mal die Basics: Wir haben hier einen Renault T 480 in Zweibett Ausstattung, niedrig aufgesetzter Kabine, den üblichen Aero-Teilen wie Dachspoiler, Sideflaps und Chassis-Verkleidung. Die augenfällig optimierte Aerodynamik deutet schon darauf hin, dass dieser Kandidat mit dem „Optifuel“-Paket auf höchste Ökonomie getrimmt ist. Neben dem Aero-Paket gibt es zahlreiche Gewichts-Optimierungen: Ein leichterer Rahmen und Hinterachse zählen dazu, weiters eine Alu-Sattelkupplung, Alcoa Alu-Felgen und einige Alu-Anbauteile, die wir auch beim Konzernbruder Volvo FH schon gesehen haben, wie zum Beispiel die Kabelgarderobe an der Kabinen-Rückseite. Die Waage belastet diese gut ausgestattete Zugmaschine mit 7.645 kg, allerdings mit nur einem aktiven Tank (405 Liter), der Tank links mit ebenfalls 405 Liter war abgeklemmt und blieb im Test leer.

Der GPS-Tempomat Optivision mit Eco-Modus und Optiroll als Segeleinrichtung gehören ebenso zum Spritspar-Paket Optifuel. Einen wie immer gearteten Power-Modus bietet Renault bei den Optifuel-Modellen zu Recht nicht an. Die Fahrleistung wird hauptsächlich von den drei fest abgelegten Fahrprogrammen des GPS-Tempomaten Optivision bestimmt. Diese hatte Renault Deutschland deutlich besser programmiert als bei den französischen Test-Trucks. Renault umhüllt die Nummer des Fahrprogramms ja mit einem Lorbeerkranz (Reminiszenz an Asterix…?). Das Programm Eins ist hier tatsächlich die Krönung und sollte für unseren, auf Sparsamkeit getrimmten Fahrstil die besten Ergebnisse bringen: Bei Setzgeschwindigkeit 85 km/h ergibt sich ein Unterschwinger vor der Kuppe von 79 km/h (-6) und ein Überschwinger von 93 km/h. Wobei dieser eigentlich nur 90 km/h beträgt (+5) und einen Dipp von 3 km/h einschließt. Der Dipp wird aber nur im segelnden Zustand zugelassen und das ist auch gut so. Ein bisschen kompliziert das Ganze? Na ja, man gewöhnt sich schon nach kurzer Zeit daran, hat man erst mal verstanden, dass obere Hysterese und Dipp hier zusammengefasst sind.

Vernünftig ausgestattet

Programm oder Lorbeerkranz Zwei ist etwas gemäßigter mit -5/+3 plus drei km/h Dipp also 91 km/h im Rollen bei 85 km/h Setzgeschwindigkeit. Damit lässt sich gut mitschwimmen, wenn der Verkehr dichter wird. Programm Drei lässt den Unterschwinger ganz weg (-0 km/h) und schwingt nur bis zwei km/h über (hier max. 87 km/h). Das ist definitiv kein Programm zum Spritsparen und Schwung nutzen. Aber. Damit kann man sehr konstante Schnitte erreichen, etwa, wenn’s mal schnell wieder etwas schneller gehen muss. Kurzum: Dieser Renault T geht zum ersten Mal mit vernünftigen Fahrprogrammen ins Rennen. Und das zahlt sich aus, wie wir noch sehen werden.

Der Einstieg in die tief aufgesetzte Kabine fällt leicht. Ihr Boden liegt etwa 20 Zentimeter niedriger als bei den meisten Kabinen mit ebenem Boden. Häufiges Ein- und Aussteigen fällt dadurch spürbar leichter. Stört dann die 20 Zentimeter hohe Motorkiste? Nicht wirklich. Denn die Kabine ist zwischen Decke und Motorkiste immer noch 193 cm hoch – das reicht für die meisten Trucker für aufrechtes Stehen. Die glatte Standfläche zwischen den Sitzen sollte freilich stets aufgeräumt und frei von Gerödel sein, ebenso die Kühllade ungehindert zugänglich sein. Sie öffnet mit diesem urtypischen Keckern, wenn die elektrische Verriegelung öffnet – eine absolute Renault-Spezialität. Dieses Label gilt auch für die obere Liege: Sie ist in ihrer Längsachse klappbar (1/3 zu 2/3) und bildet mit hochgeklappter Vorderkante eine prima Ablage für Klamotten, Handtuch und anderes Zeug. Herausfallen sollte da selbst bei einer kräftigen Bremsung nichts.

Weiter geht’s mit den französischen Spezialitäten: Dass Schaltergruppen heute umgesteckt werden können, ist in Zeiten von Can-Bus-Technik nichts wirklich Neues mehr. Renault-typisch sind aber die beiden Drehregler in der Mittelkonsole: Mit dem unteren lassen sich sämtliche Lichter für die Kabine einschalten und auch dimmen. Der obere Dreh-Knubbel wählt die Tempomat-Arten: Mit einer Raste wechselt man hier blitzschnell zwischen adaptivem und normalen Tempomat oder Begrenzer. Das ist deshalb bemerkenswert, weil diese Bedienungsart sehr schnell, direkt und treffsicher ist. Die Taster darunter schalten den Spurhalte-Warner Ein und Aus, und auch den radarbasierten Kollisionswarner. Eine umstrittene Funktion, die jedoch hilft, bei Schnee oder sintflutartigem Regen Fehlreaktionen wie plötzliche Alarmbremsungen ohne Grund zu vermeiden. Beim erneuten Starten des Fahrzeugs oder nochmaliger Tastung ist der Abstandswarner sofort wieder aktiviert. Das kann man so machen. Noch besser wäre eine zeitliche Begrenzung der Abschaltung und danach eine automatische Reaktivierung.

Der nächste Gang im Spezialitäten-Menü betrifft den Tempomat-Speicher. Und der zergeht quasi auf der Zunge. Denn nach wie vor ist Renault der einzige Hersteller, der dem Fahrer zwei Geschwindigkeits-Speicher anbietet, hinterlegt in den Lenkradtasten „S1“ und „S2“. Zwei Speicher, zwei Lieblings-Geschwindigkeiten: Ich lege mir hier die 65 km/h für die Landstraße ab, 84 km/h ist mein bevorzugtes Autobahn-Tempo. Der Wechsel zwischen beiden ist ein Tastendruck - fertig ist die Laube. Praktisch ist das zum Beispiel auch am Kindinger Berg abwärts: Man kann sich natürlich auch schrittweise auf das einen Kilometer lange 60er-Gefälle heruntertaste(r)n. Oder aber man fährt „auf Radarkeule“ und lässt ACC den Abstand und die Geschwindigkeit des Vordermanns halten. Wie auch immer: Am Ende des 60er Stückes genügt ein Tipp auf S2 und schon beschleunigt die Fuhre ohne Gas, nur durch die eigene Masse wieder auf die Autobahn-Speed (wenn der Vordermann das Ende der 60er Zone auch bemerkt hat…).

Ausgezeichnet auch der Ab-biege-Assistent, den die Franzosen im T als Option einbauen. Anders als bei einigen Konkurrenten stütz sich seine Fußgänger-/Radfahrer-Detektion nicht nur auf ein optisches System oder Ultraschallgeber. Auch Renault setzt nun einen Radargeber ein. Er ist schön flach vor den Hinterrädern in die Seitenverkleidung eingebaut. Eine hoch angebaute Kamera erfasst den Toten Winkel rechts auch optisch. Interessant: Renault stellt Abbiege-Assistent so ein, dass automatisch bei jedem Anfahrvorgang – etwa an einer Ampel – ein kurzer Alarm aus dem Geber über dem Monitor zu hören ist. Wenn sich im Toten Winkel niemand aufhält, ist das nicht als Fehlalarm zu interpretieren. Der Ton soll den Fahrer nur zu einem kurzen Spiegel-, beziehungsweise Monitor-Blick ermuntern. Kann man so machen und ist akustisch auch erträglich.

Stichwort Akustik: Hier stießen wir bei Geschwindigkeiten zwischen 60 und 85 km/h bereits zum wiederholten Male auf ein ungewöhnliches Phänomen: Bei schönstem Sonnenschein hört man hier von irgendwo vorne/seitlich ein Geräusch, das definitiv wie auf die Windschutzscheibe prasselnder Regen klingt. Da es nicht geregnet hat, kann es sich nur um ein Akustik-Problem im vorderen Bereich handeln. In der Mittagspause schauen wir uns die Frontpartie mal genauer an: Oben und unten ist die Windschutzscheibe bündig zur Karosserie eingeklebt – unverdächtig. Links und rechts begrenzen jedoch zwei schwarze Kunststoffleisten die Scheibe. Der Schlitz zur Scheibe hin soll vermutlich bei Regen Wasser nach oben ableiten. Wir besorgen uns eine Rolle Panzer-Tape und kleben den Schlitz mal versuchsweise ab – und siehe da: Problem gelöst, Ruhe im Karton.

Upspeed zu langsam

Voilà: So weit so ruhig. Wir ziehen unsere Bahn mit dem T 480. Im Sparprogramm „Ein Lorbeerkranz“ cruisen wir mit sehr hohen Roll-Anteilen über die hügelige Autobahn zwischen den Anschlussstellen der A9 Langenbruck und Allersberg. Wir kennen den Antriebsstrang im Grunde von den vielen Volvos, die wir bislang getestet haben. Olala…? Volvo? Das hören die Franzosen gar nicht gerne. Schließlich zeichnen sie sich für die Abstimmung und Software von Motor und Getriebe selbst verantwortlich. Und er fährt sich auch anders, der Renault. Was dabei am stärksten auffällt, ist der Drang des T 480, vor den Bergen einen kräftigen Angaser, neudeutsch „Upspeed“, hinzulegen, um etwas Geschwindigkeit aufzuholen und sich dadurch die eine oder andere Rückschaltung zu sparen. So lautet jedenfalls das Grundkonzept. Das wäre nicht befremdlich, wenn er das in Maßen und an der richtigen Stellen täte. Stattdessen kommen die Angaser meist zu spät, schon weit in der Steigung statt am Fuße des Berges. Und dann reicht der Atem doch nicht, um eine Rückschaltung zu vermeiden. Spritsparend kann das nicht sein. Und am Ende kostet diese sportlich anmutende aber wenig effiziente Bergsteige-Technik doch ein wenig Sprit.

Davon einmal abgesehen arbeitet der GPS-Tempomat Optivision bei diesem T480 erstaunlich exakt und stark segel-orientiert – jedenfalls im Fahrprogramm Eins. Am wichtigsten aber ist, dass der T in dieser Abstimmung endlich gute bis sehr gute Verbrauchswerte einfahren kann. Und das ohne signifikantem Verlust an Tempo. Die Tabelle zeigt’s: Der 480er DAF ist zwar unglaublich sparsam aber auch entsprechend langsam. Der Actros 1848 verbrauchte auf unserer Runde nur unwesentlich weniger, war aber ein km/h schneller als der Franzose. Der glänzt freilich mit auffallend guter Fahrbarkeit. Was aber ist eine gute Fahrbarkeit? Darunter verstehe ich ein in allen Lebenslagen unproblematisches Handling. Beim T 480 fängt dies bei der ruhigen, spurtreuen Lenkung an und hört beim exakt arbeitenden GPS-Tempomat auf. Une bonne machine. Chapeau! rod

Der Lkw-Test erschien in der Zeitung TRANSPORT Ausgabe Nr. 16/2020