Die neue Generation

Der Sprinter City 75 ist das neue Topmodell in der ÖPNV-Produktlinie der Mercedes-Benz Minibus GmbH aus Dortmund. Wir sind den Nachfolger des Sprinter City 77 auf unserer Hausteststrecke in Bonn gefahren.

Nahverkehrsmittel zu Lande meets ÖPNV-Träger zu Wasser: der Sprinter City 75 an der Rheinfähre in Rolandseck. Bild: Bünnagel
Nahverkehrsmittel zu Lande meets ÖPNV-Träger zu Wasser: der Sprinter City 75 an der Rheinfähre in Rolandseck. Bild: Bünnagel
Claus Bünnagel

von Claus Bünnagel

Vieles im Leben hat zwei Seiten. Der Mercedes-Benz Sprinter City 75 trägt sie offen mit sich herum. Während die linke Fahrzeugseite mit der ungewöhnlich gestalteten Fensterfront und dynamisch geschwungenen Formen ein echter Hingucker ist, präsentiert sich die rechte Seite eher bieder, nahverkehrsmäßig.

Zwei Seiten mit Vor- und Nachteilen ergeben sich auch aus dem veränderten Fahrzeugkonzept des aktuellen Modells im Vergleich zum Vorgänger City 77. Dieser fuhr mit 8,66 m nicht nur etwas länger vor als der heutige City 75, der 8,48 m misst, sondern war auch vollniederflurig ausgebaut. Das hatte verschiedene Vorteile: Erstens gab es vom Einstieg 1 bis zum Heck einen ebenerdigen Boden mit Podesten nur unter den Sitzen. Die größere Länge ermöglichte zweitens die Mitnahme von bis zu 40 Passagieren – im „Neuen“ sind es maximal 38, im Testbus 35. Und drittens konnte eine zweite Doppeltür vor dem Heckabschluss inklusive zweiter Rollstuhlrampe eingebaut werden.

Teurer Vorgänger

Dem standen natürlich auch einige gravierende Nachteile des Vorgängers gegenüber. Die herausstehenden Radkästen aufgrund der Niederflurigkeit waren da noch das geringste Übel. Vor allem war die Bauart aufwendig und teuer. Hinter- und Nachlaufachse stammten aus der Transporterreihe Vito und waren in Einzelradaufhängung ausgeführt. Die Kardanwelle musste u.a. mit senkrecht nach unten führendem Umlenkgetriebe kompliziert geführt werden. Und der gewaltige, 2,5 m lange hintere Überhang brachte immer die Gefahr des Aufsetzens mit sich.

All dies machte den Sprinter 77 teuer in Anschaffung und Betrieb – gerade was die zusätzliche dritte Achse angeht. Mit rund 155.000 Euro im Basispreis und 174.600 Euro für den von uns im Winter 2012/2013 gefahrenen Testbus erreichte das Modell eine Preisrange, die viele Kunden nicht zu zahlen bereit sind. Denn es gibt schließlich Sprinter-ÖPNV-Ausführungen vornehmlich osteuropäischer oder türkischer Ausrüster bzw. Aufbautenhersteller, die schon zu Preisen ab einem höheren fünfstelligen Betrag angeboten werden.

Der City 75 setzt somit eine Preisstufe niedriger an – rund 10.000 Euro unterhalb des Vorgängers, ohne in der Ausstattung einbüßen zu müssen. Auf einige der genannten Vorzüge des 77ers muss er dabei allerdings verzichten. So führen nach dem kurzen Niederflurbereich gegenüber von Tür 1 – sodass man bei dem Modell von einer LE-Ausführung sprechen kann – nun zwei allerdings recht flache Treppenstufen zum Gang hinauf, der sich in gerader Linie bis zur Heckbank durchzieht. Dies bedingt natürlich drei Stufen hinter der jetzt einflügeligen Hecktür, die für manch älteren Fahrgast eine hohe Hürde darstellen könnten. Diese dürften dann wohl eher vorne einsteigen – wenn nicht einige andere Passagiere zuvor denselben Gedanken hatten, das Niederflurabteil bereits gut gefüllt und der Durchgang nach hinten – über die beiden Treppenstufen – womöglich durch Mitfahrende blockiert ist.

Im Gegensatz zum Innenraumlayout ist in Sachen Antrieb alles beim Alten geblieben. Unter der Motorhaube werkelt der altbekannte OM651 DE22 LA, jetzt in der Euro-6-Ausführung. Wir fuhren ihn in der Spitzenmotorisierung mit 
120 kW/163 PS. Zu überhören ist er so nah am Fahrer von diesem natürlich nicht – im Großbus arbeitet er schließlich mindestens 10 m weiter hinten. Zudem übertragen sich gewisse Vibrationen in den Cockpitbereich. Wegen des Dauerregens während der Testfahrt mussten wir auf eine Schallpegelmessung allerdings verzichten, so dass wir hier nur unseren subjektiven Eindruck weitergeben können.

Gut gedämpft & gefedert

Auch wenn man mit stehenden Fahrgästen an Bord natürlich dosiert anfahren sollte, haben uns die Beschleunigungswerte des Antriebsstrangs nicht vollkommen überzeugt. Der City 75 kommt aus dem Stand nur mühsam in Fahrt, obwohl er nun statt Fünfgang- eine Siebengangwandlerautomatik an Bord hat. Für Busbetreiber, die auf eine spritzige Performance ihrer Kleinbusse Wert legen, sei daher statt der 4,182er-Hinterradübersetzung eher die kürzere Achse mit 4,727 empfohlen. Die Haltestellenzeiten nicht unbedingt verkürzen können auch die elektrischen Außenschwingtüren des Fahrzeugs. Sie öffnen eher gemächlich bis quälend langsam. Die Bezeichnung „Sprinter“ kommt also in diesem Zusammenhang eher schwer über die Lippen.

Was uns äußerst gut gefallen hat, ist das Dämpfungs- und Federungsverhalten des City 75. Die Dämpferbeinvorderachse mit Einzelradaufhängung und die elektronisch geregelte Luftfederung an der Hinterachse sorgen im Team für ein Fahrverhalten, das nichts zu wünschen übriglässt. Stabis an beiden Achsen gewährleisten zudem ein gutes Handling auch in flott durchfahrenen Kurven.

Wendigkeit ist allerdings nicht unbedingt eine Stärke des Dortmunders. Mit gut 17,7 m ist der Wendekreis recht üppig. Hier spricht der lange Radstand von 5,1 m gegen bessere Werte. Bemühen wir noch einmal den Vergleich mit dem Vorgänger: Der besaß mit seiner einzelradaufgehängten Tandem-Achse einen Wendekreis von 17,3 m.

Sparsamer Sprinter

Wie immer maßen wir den Verbrauch auf den einzelnen, überwiegend SORT 1- und -2-Testzyklen vergleichbaren Linienabschnitten in Bonn. Mit einem Gesamtwert von 20,57 l/100 km bei 99 Haltestellenanfahrten erwies sich der City 75 als sehr sparsam – gerade angesichts der bescheidenen Wetterverhältnisse. Ein AdBlue-Konsum von rund 
3 %, also etwa 0,6 l/100 km, muss noch addiert werden. Angesichts des 22-l-AdBlue-Tanks kann also recht lange gefahren werden, bevor nachgefüllt werden muss. Jedenfalls wenn man beim Einfüllen das gute Zeug nicht verschlabbert, denn der Einfüllstutzen ist recht schmal ausgefallen. Wir empfehlen einen Trichter als Hilfe beim Befüllen.

Die Teilmessungen können sich auch im Vergleich zum Vorgänger City 77 sehen lassen. Gerade im SORT-1-Bereich war dieser bei identischem Testgewicht mit 24 l deutlich konsumfreudiger als sein Nachfolger mit 21,3 l – dies allerdings mit kürzer übersetzter Achse. Auch auf der Berg- und Talstrecke hinauf zur Rheinhöhe mit dem Bonner Stadtteil Heiderhof und wieder hinunter erwies sich der 75er mit 21,5 l/100 km als nicht allzu gierig.

In der TCO-Betrachtung kann der Sprinter City 75 trotz hohen Kaufpreises auf diese Weise Boden gutmachen. Überhaupt darf man nicht vergessen, dass der Basispreis von 155.000 Euro bereits ein umfassendes Ausstattungspaket beinhaltet (siehe Kasten „Datenblatt“), wohingegen bei anderen Anbietern nach niedrigem Einstiegspreis dann noch viele Extras hinzugeordert werden müssen. Und man erhält nicht zuletzt ein eigens konzipiertes Minibus-Niederflurfahrgestell samt Omnibusintegralgerippe mit GFK-Beplankung und Klasse-I-Zulassung, inklusive KTL-Beschichtung sowie versiegelten Rahmenhohlräumen und versiegeltem Unterboden.

Allerdings, einen kleinen Wermutstropfen gibt es auch hier, denn man merkt dem City 75 seine Kleinserienfertigung an. Deutliche Spaltmaße an der Karosserie, sich lösende Schutzkappen, hervorstehende Schrauben an den Sitzfüßen bzw. Airlineschienen und etliche andere Details weisen darauf hin, dass in Dortmund vieles noch in reiner Handarbeit gefertigt wird. Denn es sind eben nur 1.200 bis 1.600 Minibusse, die dort im Jahr die Produktionshalle verlassen. Darunter sollen künftig mindestens 250 City 75 sein, so das Ziel. Nach der Vorstellung des Modells 2018 auf der IAA konnten bislang rund 100 Einheiten abgesetzt werden.

Einiges vom Zulieferer

In manchen Dingen geht man in Dortmund auch ungewöhnliche Wege. So kommen die Fahrgastsitze konzernunüblich nicht aus dem eigenen Haus, sondern werden von einem externen Hersteller zugeliefert. Sie besitzen besonders schmale, raumsparende Maße und sind in Kunstleder ausgeführt. Auch für andere Komponenten hat man ausgewählte, spezialisierte Zulieferer. So stammt das Z-Getriebe für die Umlenkung der Kardanwelle vom österreichischen Produzenten Oberaigner.

Apropos Getriebe: Die Siebengangautomatik „7G-Tronic Plus“ mit Wandlerüberbrückungskupplung ist selbstlernend, d.h. sie passt innerhalb einer zurückgelegten Distanz von 30 bis 50 km die Schaltpunkte an den Fahrstil des aktuellen Nutzers an. Danach speichert sie die Werte für mehr als einen Monat, bevor das „Gelernte“ wieder überschrieben wird. Das funktioniert natürlich nur dann gut, wenn lediglich ein Fahrer den Kleinbus führt.

Gut gefallen hat uns die üppige Ausstattung des City 75 mit Assistenzsystemen, die Mehrheit davon in der Serie. Das reicht von adaptivem ESP über den aktiven Brems-, Seitenwind-, Aufmerksamkeits- und Fahrlichtassistent bis hin zur Berganfahrhilfe und einem Rückfahrwarner. ■

Messdaten: Mercedes-Benz Sprinter City 75

Streckenbedingungen

Überwiegend nasse oder feuchte Fahrbahn. Überwiegend leichter bis mittlerer Regen, 14,5 bis 19,5°C, überwiegend leichter bis mittlerer Wind

Verbrauchsmessung

Ø-Verbrauch Ø-Geschwindigkeit Haltestellen

Stadt (55,8 km)

Ø-Verbrauch: 20,57 l/100 km

Ø-Geschwindigkeit:20,64 km/h

Haltestellen: 99

– davon leicht (5,5 km):

Ø-Verbrauch: 19,95 l/100 km

Ø-Geschwindigkeit: 33,44 km/h

Haltestellen: 2

– davon mittelschwer (31,3 km):

Ø-Verbrauch: 20,27 l/100 km

Ø-Geschwindigkeit: 22,22 km/h

Haltestellen: 56

– davon schwer (19,0 km):

Ø-Verbrauch: 21,32 l/100 km

Ø-Geschwindigkeit: 16,89 km/h

Haltestellen: 41

Fazit: Halb und halb

An der Fleischtheke darf Gehacktes gerne mal halb und halb sein. Beim Sprinter City 75 aus der Dortmunder Kleinbusschmiede hat man mitunter ebenfalls die Anmutung von halb und halb, allerdings in anderer Bedeutung: Glanzpunkte wechseln sich ab mit weniger überzeugenden Lösungen. Mancher wird vielleicht die durchgehende Niederflurigkeit des City 77 vermissen. Besonders augenscheinlich manifestiert sich der Halb-und-halb-Eindruck in der asymmetrischen Gestaltung der seitlichen Fensterfronten: links spannend, rechts dröge. Der hohe Kaufpreis sollte allerdings nicht direkt abschrecken: Dafür erhält man auch viel Bus. Zudem verspricht der City 75 gute TCO-Werte dank geringem Verbrauch, langen Standzeiten der bewährten Antriebskomponenten und einer zweijährigen Gewährleistung mit Verlängerungsmöglichkeiten. Für manchen Kunden kann halb so durchaus ganz sein, sprich die Vorzüge deutlich manche Nachteile überwiegen. Nicht vergessen werden wir jedenfalls den hervorragend eingestellten Dämpfungs- und Federkomfort, von dem sich mancher Pkw eine Scheibe abschneiden kann.

Datenblatt: Mercedes-Benz Sprinter City 75

Motor

Wassergekühlter Reihenvierzylinder Mercedes-Benz OM651 DE22 LA, Typ MG3, Common-Rail-Direkteinspritzung (2.000 bar), Bohrung/Hub 83/99 mm, Abgaskühler für Volllast-Abgasrückführung mit AGR-Regelung, zwei unterschiedlich dimensionierte Abgasturbolader in Reihe angeordnet, DPF, Euro 6, Geschwindigkeitsbegrenzung 90 km/h

Hubraum: 2.143 cm3

Nennleistung: 120 kW/163 PS bei 3.800 min–1

Max. Drehmoment: 360 Nm bei 1.400 bis 2.400 min–1

Kraftübertragung

Getriebe: Siebengangautomatik „7G-Tronic Plus“ mit Wandlerüberbrückungskupplung

Antrieb: auf die Hinterachse, i = 4,182

Fahrwerk

VA: Nichtangetriebene Dämpferbeinachse mit Einzelradaufhängung, GFK-Querblattfederung, Stabilisator

HA: Starre Rohrsteckachse, hypoidverzahntes Kegel- und Tellerrad, Drehstabstabilisator, elektronisch geregeltes Luftfedersystem, Zwillingsbereifung

Lenkung: Wartungsfreie elektromechanische Zahnstangenlenkung

Felgen/Reifen: 5,5J x 16 H (an VA), 5,5J x 17,5 (an HA) / 205/75 R 16 C (an VA), 215/75 R 17,5 (an HA)

Bremsanlage/Assistenzsysteme

Unterdruckverstärkte Zweikreishydraulikbremse mit adaptivem ESP und integriertem ABS und ASR, elektronische Bremskraftverteilung (EBV), BAS, innenbelüftete Faustsattelbremsscheiben, dreistufiger Telma-Retarder AE 30-35, aktiver Bremsassistent (ABA), Seitenwindassistent, Aufmerksamkeitsassistent, Fahrlichtassistent, Berganfahrhilfe, Hold-Funktion, Rückfahrwarner

Ausstattung (Auswahl)

Sprinter-Triebkopf mit einachsigem MB-Minibus-Niederflurfahrgestell, Omnibusgerippe mit GFK-Beplankung, Stadtbusinnenausbau, Klasse-I-Zulassung, KTL-Beschichtung, Rahmenhohlräume und Unterboden versiegelt, PVC-Bodenbelag in Holzoptik im Fahrgastraum, elektrische zwei-/einflügelige Außenschwingtür (Tür 1/2), mechanische Klapprampe an Tür 1, LED-Scheinwerfer, Nebelscheinwerfer mit Abbiegelicht und Heckleuchten Halogen, Außenspiegel heizbar und elektrisch verstellbar, Fahrtzielanzeige mit Bug- und Seiten- sowie Nummernanzeige am Heck, Multifunktionslenkrad in Leder, elektrisches Sonnenrollo, Fahrerairbag, MB-Notrufsystem, Bussprechanlage mit Schwanenhalsmikrofon, MBUX-Multimediasystem mit Radio, Navigation und 7“-Touchscreenmonitor, Zahltischschrank, durchgehende Trennwand hinter Fahrerplatz, Bestuhlung City Star Sprinter, Haltestellensignalanlage, 12/4 USB-Ladesteckdosen (an Sitzen/Seitenwand)

Heizung/Klima/Lüftung

Fondklimaanlage (11 kW) mit Frischluft- und Umluftbetrieb, Fahrerplatzklimaanlage Tempmatik (7 kW), Warmwasserheizung (5 kW) mit Konvektoren und Standheizungsfunktion, Wärmetauscher mit Gebläse im Eingangsbereich und Heck

Maße und Gewichte

Länge/Breite/Höhe (inkl. Dachklimaanlage): 8.486/2.345/2.920 mm

Radstand: 5.100 mm

Überhänge (v/h): 1.020/2.365 mm

Böschungswinkel (v/h): 25°/11°

Wendekreis: 17.742 mm

Einstiegshöhe (Tür 1/2): 250-270 mm/
300 mm

Lichte Türbreite (v/h): 1.170/750 mm

Stehhöhe (Einstieg/auf Podesten): 2.325/1.910 mm

Mittelgangbreite: 410 mm

Sitzteiler: 685-795 mm

Leergewicht: 4.430 kg (VA/HA: 1.760/2.670 kg)

Zul. Achslasten (VA/HA): 2.100/5.000 kg

Zul. Gesamtgewicht: 6.800 kg

Testgewicht: 5.700 kg (VA/HA: 1.780/
3.920 kg)

Fahrgastkapazität: 32/35 (mit/ohne Rollstuhl), 16 Sitzplätze, 4 Klappsitze, 1 Rollstuhlplatz, 19/15 Stehplätze

Tankinhalt (Diesel/AdBlue): 71/22 l

Preis

Serie: 145.200 Euro

Testbus: 165.300 Euro

Wertung

Gute Verbrauchswerte, umfassende Serienausstattung, hervorragendes Dämpfungs- und Federungsverhalten, selbstlernendes Getriebe, viele Fahrerassistenzsysteme

Hoher Kaufpreis, kleinere Verarbeitungsmängel, zögerliche Beschleunigung, langsame Türöffnung, mittelmäßige Wendigkeit