Lkw-Verkehr: Verbrennerausstieg bis 2040?

Es waren gewagte Thesen, mit denen die Ladeprofis von EVBox zum Roundtable riefen: Die ganz große Frage war, ob und wie man es schaffen kann, den Lkw-Verkehr bis 2040 verbrennerfrei zu bekommen.

Scania experimentiert  bereits mit den elektrischen Extremfällen  – in dem Fall: schwerer  Fernverkehr im eisigen  schwedischen Winter
Scania experimentiert bereits mit den elektrischen Extremfällen – in dem Fall: schwerer Fernverkehr im eisigen schwedischen Winter
Redaktion (allg.)

Magnus Höglund leitet bei Scania die Abteilung Ladelösungen und Infrastruktur, Emmanuel Ourry verantwortet bei EVBox das Produktmanagement, Ovarith Troeung fungiert bei Engie als Direktor für grüne Mobilität und Lucien Mathieu ist bei Transport & Environment für Fracht zuständig – vier Profis, drei Thesen, und jede davon provokant.

These eins: Die Umstellung der Fuhrparks wird von Herstellern, nicht von Infrastruktur oder Politik getrieben.

Dieses Argument war natürlich eine Steilvorlage für Scania-Mann Magnus Höglund, der sich gut vorstellen kann, den Fernverkehr bis 2025 in Abstimmung mit den Fahrzeiten der Lkw-Chauffeure zu elektrifizieren. Heißt: auf 4,5 Stunden Fahrzeit folgt eine Ladepause von 45 Minuten für weitere 4,5 Stunden Fahrt – in der Regel mit 40 Tonnen, auch in anspruchsvoller Topographie. Im Verteilerverkehr bis 29 Tonnen funktioniere es bereits. Bis 2025 erwartet Höglund zehn, bis 2030 dann 50 Prozent Anteil an elektrischen Lkw. E-Lkw kommen – für die Kunden sei aber essenziell, dass die Total Cost of Ownership stimmen und die könne man als Lkw-Hersteller nicht vollumfänglich beeinflussen.

Dem stimmt Ourry von EVBox, zu. Allerdings brauche es gerade zu Beginn noch viele Incentives, CO2-Regularien und Steuervorteile, um die Technik zu pushen. Der Verteilerverkehr, aktuell im Elektrifizierungsfokus der Lkw-Industrie, trifft ohnehin immer häufiger auf Innenstädte, die für Verbrenner gesperrt sind, respektive die Maut erheben, die für Elektro-Lkw günstiger ist als für Diesel. Engie-Manager Troeung verweist auf den Hochlauf der E-Mobilität beim Pkw, wo man jetzt schon über dem Forecast liege – entsprechend werde sich das Thema auch beim Lkw beschleunigen, sofern die Politik den richtigen Rahmen setze. Und den Kunden genüge nicht mehr der Lkw allein, sondern das komplette Operating System, das Engie ermöglicht.

Lucien Mathieu von Transport & Environment merkt allerdings an, dass der Hochlauf der E-Lkw in erster Linie an Regularien und nicht beim Lkw-Hersteller liege. Dann erfolgten die umsetzenden Kooperationen zwischen den Ermöglichern. Und nach den ersten großen Schritten solle man seiner Meinung nach die Ziele höher setzen: Auch er zieht Parallelen zur Pkw- und Van-Welt, wo der EV-Anteil zwischen 2019 und 2021 von drei auf zwanzig Prozent hochschnellte. Allerdings müsse die Infrastruktur vorhanden sein, beim Lkw auch an den Lade- und Abladestellen. Eine Erhebung von Transport & Environment geht davon aus, dass im Verteilerverkehr bis zu 58 Prozent der Lkw sofort durch E-Lkw ersetzt werden könnten, ohne dass man die öffentliche Ladeinfrastruktur ausbauen müsse und ohne Verzicht auf preisliche Parität zum Diesel!

Troeung weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Skalierung schnell zu fallenden Kosten führen könne, außerdem müsse der CO2-Fußabdruck nebenbei so schnell wie möglich gesenkt werden. Dieser Hochlauf müsse laut Mathieu mit einem schnellen Ausbau des öffentlichen Ladens unterstützt werden. Erfahrungen von Scania zufolge sind die Ladezyklen innerstädtisch schon gut kontrollierbar und umsetzbar. Bis 2023 will der Hersteller zu bezahlbaren Tarifen über den Regional- in den Fernverkehr vordringen. Bis 2025 sollen die modularen Systeme soweit ausgerollt sein, dass alle Segmente bedient werden können.

Eine Entwicklung, die Troeung von Engie bestätigt: Man sei jetzt schon aktiv als „Leader of the Pack“, zumal alle OEMs angekündigt hätten, ihre elektrifizierten Lkw-Programme ausbauen zu wollen. Wichtig sei laut Höglund allerdings, dass man die richtige Energiemenge zum richtigen Zeitpunkt bereitstellen könne – und hier unterscheiden sich Pkw und Lkw grundlegend: Denn Letztere benötigen nicht nur rund fünf Mal so viel Energie, sondern hätten auch viel kürzere Stand- und damit Ladezeiten.

Wichtig ist laut Troeung in dem Zusammenhang auch, dass man gerade im Fernverkehr auch abseits des vorhandenen Grids Strom bereitstellen könne, der aus grüner Energie kommen muss. Hier hat Mathieu auch Zahlen zum CO2-Ausstoß bereit, der gegenüber den Diesel-Lkw sofort um ein bis zwei Drittel (je nach Transportaufgabe und Region) sinken könne. Dabei kommt auch das Thema Akkutausch auf den Tisch, was man laut Höglund von Scania aber nicht proprietär behandele. Interessant ist auch die Aussage Höglunds, dass man in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden fallweise bereits Preisparitäten mit Diesel-Lkw erreichen könne. Im Fernverkehr erwartet der Schwede diese für Mitte der 2020er-Jahre.

Ganz wichtig sei aber, das Risiko von Ausfallzeiten zu reduzieren: Lkw müssen im Idealfall 24/7 einsatzbereit sein und laufen! Heißt: Jeder Stopp muss zum Laden genutzt werden können, weshalb auch die Kunden Ladeinfrastruktur aufbauen müssten. Hier habe sich der Anteil der Beratungen bei Scania zuletzt massiv ausgeweitet. Außerdem plane man als Teil der Traton Group (in Europa mit MAN) zusammen mit Daimler Truck und der Volvo Group (mit Renault Trucks) ein High-Power-Lade-Joint-Venture analog zu Ionity im Pkw-Bereich.

Womit am Ende der ersten Runde feststeht: Der Lkw allein kann nicht der Treiber der Elektrifizierung sein – dazu braucht es die geballte Kraft aller Beteiligten samt den nötigen Regularien von Seiten der Regierungen.

These zwei: Reichweitenangst ist das größte Hindernis bei der Elektrifizierung der Lkw-Flotten

Ein Bild, dem Ourry von EVBox nur zu gern widerspricht: Denn in der Praxis gebe es gerade im Verteilerverkehr (und damit auch im Baustellenverkehr) viele Möglichkeiten, wo man auf der Tour oder über die ganze Nacht im Depot laden könne. Allein der Fernverkehr ticke hier anders. Die Technologie sei aber „keine große Herausforderung“. Zumal mittlerweile diverse Energieunternehmen wie Total, Shell, Fastned oder Allego in ein Schnellladenetzwerk investierten – vorerst allerdings für Pkw, noch nicht für den Lkw-Fernverkehr. Prinzipiell sei die Technik grundsätzlich identisch, aber die Lkw-Infrastruktur müsse anders ausgelegt werden.

Dem stimmt Troeung von Engie zu: Man habe im Pkw-Bereich bereits viel installiert, lerne schnell und wisse, wie der Service funktioniert – ein wichtiger Punkt im B2B-Business, denn die Ladeinfrastruktur muss 24/7 funktionieren! Ein größeres Problem sieht er beim Grid, das seiner Meinung nach das Bottleneck ist. Entsprechend will er zuerst die Hubs und Kreuzungspunkte zwischen Fern- und Verteilerverkehr ausbauen, da es innerorts leichter ist, aufs Stromnetz zugreifen. Magistralen und Korridore sollen daher später folgen.

Dabei spiele auch dezentrale Energieerzeugung eine wichtige Rolle, wobei Solar- und Windenergie im Fokus stehen. In Belgien hat Engie bereits eine Windfarm an der Autobahn installiert, wo die Ladetechnik ohne Netzzugang mit Energie versorgt werden kann. Ein weiterer Vorteil der dezentralen Energieversorgung seien Preise, die man im Idealfall 15 bis 20 Jahre stabil halten könne, was wieder ein Vorteil bei den TCO brächte. Zumal die Preise für Energie gerade massiv steigen. Wichtig in dem Zusammenhang sei dann natürlich auch die Preissichtbarkeit für die Kunden. Entsprechend gehöre dezentralen Energiehubs die Zukunft – und da Sonne und Wind nicht 24/7 gleich verfügbar seien, sei Energiespeicherung vor Ort ein weiteres wichtiges Thema. 

Mathieu merkt außerdem an, dass viele Fernverkehrsfahrten in der EU im Schnitt ohnehin kürzer als 400 Kilometer ausfallen, weshalb mit gut 300 Kilometern Reichweite viel abgedeckt wäre. Dieses etwas einfacher zu erreichende Ziel würde die Skalierung vereinfachen, die es wiederum braucht, um die Kosten zu senken. Weshalb er einen koordinierten Rollout unter Beteiligung der EU fordert.

Konkret fordert er für die EU-Korridore alle 60 Kilometer eine Station mit mindestens 1,4 Megawatt Leistung. Stünde 2030 das Highway-Netzwerk, würden sich die letzten Lücken schließen lassen. Allerdings hält er diese 1,4 Megawatt für wenig ambitioniert: Transport & Environment setzt eher auf einen Ausbau auf 2,0 respektive fünf Megawatt pro Station bis 2030, sodass binnen 45 Minuten ordentlich Reichweite zur Weiterfahrt geladen werden kann. Troeung verweist darauf, dass bis 2025 bis zu neun Milliarden Euro in den Ausbau investiert werden sollen. Womit die letzte und gewichtigste These auf den Tisch kam.

These drei: Ab 2040 rollen nur noch Zero-Emission-Lkw auf Europas Straße

Hier bremsen allerdings alle Beteiligten: Mathieu weist darauf hin, dass Lkw im Schnitt 15 Jahre im Einsatz bleiben, aber erst 2035 ein Großteil der Neuzulassungen Zero Emission erfüllen dürfte. Aktuell verantworten Lkw zwar nur zwei Prozent des Verkehrsaufkommens, aber 23 Prozent der Emissionen. Um also bis 2050 Zero Emission zu erreichen, müssten bis 2035 alle Lkw als lokal emissionsfreie Modelle verkauft werden. Er hält das im Grunde für machbar, zumal bei den derzeit schnellen Fortschritten. Grundsätzlich sehen viele OEMs sogar die Möglichkeit, an den Antrieben schneller zu drehen als bei den Pkw, sofern die TCO geringer seien.

Denn, da ist sich das Plenum einig: Die Logistiker und Transportunternehmen kämpfen immer mit geringen Margen und nutzen deshalb jeden kleinsten Vorteil zur Senkung der TCO aus. Sie können sich laut Troeung aber auch keine Risiken im Invest leisten. Also müssten Zero-Emission-Lkw die Verbrenner Mitte der 2020er Jahre in Sachen TCO unterbieten – das würde den Umstieg massiv beschleunigen. Allerdings bräuchte es dazu Regularien, die bis 2022 fertig sein müssten – aktuell sind da die Ambitionen der EU aber noch schwach.

Am Ende schließt Ourry die Diskussion mit dem Argument, dass bei all der Umstellung der Service auf jeder Ebene stimmen muss, um das Thema nicht nur bei der Installation, sondern auch im Betrieb konzertiert voranzubringen – selbst wenn 2040 noch der eine oder andere Lkw im Wortsinn „hinterherdieselt“.