Interview mit Daimler-Truck-Chefin Karin Rådström: „Wir alleine können nicht die Welt ändern“

Daimler-Truck-Chefin Karin Rådström hat uns erklärt, warum sie beim schweren Lkw auf eine Doppelstrategie in Sachen Antriebswende setzt und wie diese gemeinsam gelingen kann.

"Es wird darauf ankommen, dass wir die Kunden schon frühzeitig einbeziehen." Karin Radström, CEO von Mercedes-Benz Trucks, Bild: Daimler Truck
"Es wird darauf ankommen, dass wir die Kunden schon frühzeitig einbeziehen." Karin Radström, CEO von Mercedes-Benz Trucks, Bild: Daimler Truck
Christine Harttmann

Transport: Daimler Truck verfolgt beim schweren Lkw eine Doppelstrategie in Sachen Antriebswende: Brennstoffzelle und Batterietechnologie gleichzeitig entwickeln. Ist das nicht ein sehr teurer Weg?

Karin Rådström: Die Brennstoffzelle wird in der Zukunft eine wichtige Rolle im Antriebsmix spielen. Sie nicht im Angebot zu haben, würde dann teurer sein, als uns die Entwicklung jetzt kostet. Wir sind daher überzeugt, dass wir uns auf beides fokussieren müssen: Antriebe auf der Basis von Wasserstoff und Batterien. Wir tun allerdings unser Möglichstes, um die Investitionskosten zu minimieren. Das ist einer der Gründe, weshalb wir bei der Entwicklung und Kommerzialisierung der Brennstoffzelle das Joint Venture mit der Volvo Group eingegangen sind. Daneben schauen wir natürlich auch auf die verschiedenen Förderprogramme auf europäischer und nationaler Ebene.

Gibt es weitere Argumente, warum Sie die beiden Antriebspfade parallel gehen möchten?

Als ich vor gut einem Jahr zu Daimler Truck kam, war für mich das entscheidende Argument, dass verschiedene Praxisanwendungen unserer Kunden unterschiedliche Lösungen brauchen. Wenn Sie zum Beispiel eine sehr lange Distanz fahren und besonders schwere Güter transportieren, dann kann die Brennstoffzellentechnologie auch im Hinblick auf Flexibilität mehr Sinn ergeben. Sie ermöglicht eine größere Reichweite mit einer Tankfüllung und bei kürzerer Betankungszeit, zudem ist sie leichter als die Batterie. Ich habe dazu zahlreiche Diskussionen mit unterschiedlichen Interessenvertretern geführt.

Das hat mir immer stärker aufgezeigt, welche zentrale Rolle der Träger grüner Energie, der für den Transportsektor zur Verfügung steht, spielt. Es lassen sich nun mal keine Stromkabel von sonnenreichen Regionen in die ganze Welt verlegen. Wir werden daher beide Energieformen – grünen Wasserstoff und grünen Strom – für die Transformation des Transportsektors benötigen. Vom jeweiligen Markt und Anwendungsfall wird abhängen, was den meisten Sinn ergibt. Schon heute ist der Strompreis in den Märkten unterschiedlich. Mit Wasserstoff wird es dasselbe sein.

Neben dem Preis für grüne Energie dürfen wir auch die Infrastruktur nicht vergessen. Aktuell hat es den Anschein, dass in manchen Bereichen oder Regionen perspektivisch gesehen grüner Wasserstoff leichter verfügbar sein kann als grüner Strom. Denn das Stromnetz muss die nötige Leistung für eine ausreichende Ladeinfrastruktur auch bereitstellen können. Wasserstoff wiederum ist mit anderen Herausforderungen für die Infrastruktur verbunden, zu denen der globale Transport gehört. Aber aus Sicht der Kunden unterscheidet er sich kaum von den Kraftstoffen, die wir aktuell auf dem Markt haben. Das erleichtert den Aufbau der Infrastruktur.

Am Ende werden sich die Kunden für das entscheiden, was für sie und ihre Anwendung am besten ist. Gerade aus dieser Perspektive halte ich es für wichtig, beide sich ergänzenden Alternativen im Portfolio zu haben. Letztendlich hängt jedoch vieles davon ab, wie sich die Preise von grünem Strom und grünem Wasserstoff entwickeln werden.

Natürlich setzen Sie bei all dem auf Synergien. Wo beginnen die und wo enden sie?

Wir setzen in der Tat in vielen Bereichen auf Synergien. Bei beiden Technologien wollen wir, sofern möglich, auf einer einheitlichen Fahrzeugplattform wie beispielsweise dem Actros aufbauen. Wir müssen das Basisfahrzeug also nicht jeweils komplett neu erfinden. Außerdem versuchen wir, Synergien innerhalb des gesamten Konzerns zu nutzen und damit so viele globale Gemeinsamkeiten wie möglich zu finden. Dazu gehört auch Freightliner, unsere US-amerikanische Lkw-Marke. Daneben spielen Partnerschaften wie mit der Volvo Group bei der Brennstoffzelle eine wichtige Rolle.

Gerade weil es so schwer vorherzusagen ist, wie sich die unterschiedlichen Technologien entwickeln, versuchen wir einen guten Weg zu finden, um die lokal CO2-neutralen Modelle in die bestehende Produktion zu integrieren. Das bedeutet beispielsweise, dass der eActros von derselben Fertigungslinie wie der konventionelle Actros rollt. Wir wollen die Produktion so flexibel halten, dass alle Fahrzeuge – unabhängig von der Antriebstechnologie – gefertigt werden können. Solche generalisierten Produktionsstraßen zu schaffen, stellt auch eine Form der Synergie dar. So können wir die Investitionen für alle Technologien an einem Ort konzentrieren.

Profitiert Daimler Truck dabei von den Erfahrungen mit dem eActros?

Als wir mit der Entwicklung des eActros starteten, übergaben wir die erste Testflotte schon sehr früh an unsere Kunden. Für Daimler Truck war das damals noch sehr ungewöhnlich. Die Fahrzeuge waren noch nicht zu 110 Prozent fertigentwickelt, es waren Prototypen. Am Ende erwies sich die Entscheidung, die noch vor meiner Zeit gefallen ist, als eine sehr gute. Wir konnten viele wertvolle Erfahrungen sammeln, die unmittelbar in die Entwicklung der Serienfahrzeuge flossen. Zudem konnten wir die Anforderungen an den nötigen Service und die Infrastruktur besser verstehen und frühzeitig in Austausch mit den Kunden treten, wie wir die Herausforderungen am besten lösen können. Ich sehe das so: Man kann zusammen an einem Tisch sitzen und reden.

Aber erst, wenn man mit dem Lkw im echten Praxiseinsatz arbeitet, bekommt man richtig tiefe Einblicke. Auf diese Weise lernt man viel schneller und umfassender. Deswegen denke ich, ist es unerlässlich, die Kunden bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Entwicklung einzubeziehen. Gerade der eActros zeigt das. Damit er die Anforderungen in den Anwendungsbereichen erfüllt, für die er jetzt auf dem Markt ist, braucht er eine bestimmte Reichweite. Das ist aber nicht alles. Eine deutlich größere Reichweite wäre ja möglich. Das wäre allerdings mit Nachteilen an anderer Stelle verbunden. Es ist also immer die Balance zwischen den unterschiedlichen Anforderungen, die wir finden müssen. Es wird daher bei unserer nächsten Entwicklung wieder darauf ankommen, dass wir die Kunden schon frühzeitig einbeziehen und ihnen Testfahrzeuge übergeben.

Ob Brennstoffzellen-Truck oder Elektro-Lkw – ein wichtiger Knackpunkt ist die Tank- oder Ladeinfrastruktur. Mit welcher Strategie wollen Sie die Versorgung sicherstellen?

Für die Transformation der Branche ist die Infrastruktur auf jeden Fall eine größere Herausforderung, als die Fahrzeuge zu entwickeln und zu fertigen. Wir haben eine Reihe von Initiativen dazu ins Leben gerufen oder beteiligen uns direkt daran. Aber wir können den Aufbau natürlich nicht alleine bewältigen. Es ist offensichtlich, dass hier weitere Investitionen notwendig sind. Immer wenn ich die Möglichkeit habe, versuche ich daher darauf hinzuweisen – ob gegenüber Regierungsvertretern oder Repräsentanten der Energiewirtschaft.

Deswegen haben wir uns für das geplante Joint Venture mit der Volvo Group und der Traton Group beim Hochleistungsladen in Europa entschieden. Wir planen außerdem, mit Shell, BP und Totalenergies beim Wasserstoff zusammenzuarbeiten. Wir stehen im Dialog mit allen großen Energiekonzernen. Dabei geht es zum einen darum, wie wir die Wasserstoffinfrastruktur aufbauen können, aber natürlich auch um die Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Lkw.

Daimler Truck hat sich frühzeitig und sehr energisch auf den Pfad der Dekarbonisierung begeben. Was sind die nächsten Schritte?

Wir arbeiten weiter daran, dass der Brennstoffzellen-Lkw in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts in Serie und signifikanten Stückzahlen da ist. Mit Wasserstoff- und Batterie-Lkw können wir unser Ziel eines komplett CO2-neutralen Transports in Europa bis zum Jahr 2050 erreichen. Entscheidend ist natürlich auch, dass die Gesamtbetriebskosten für die Kunden im Vergleich zu konventionellen Lkw besser sind. Sie werden die Fahrzeuge nur kaufen, wenn das für sie auch wirtschaftlich Sinn ergibt. Es kann funktionieren, wenn die nötigen Voraussetzungen gegeben sind.

Dazu zählt vor allem, dass die Regierungen uns beim Ausbau der Lade- und Wasserstoffinfrastruktur unterstützen, dass der CO2-Preis steigt, die Kosten für grünen Wasserstoff bei etwa vier Euro pro Kilogramm und die Stromkosten bei etwa 15 Cent pro Kilowattstunde und weniger liegen. Aber wir wissen, dass da noch eine Menge Arbeit vor uns liegt. Wenn die Fahrzeuge auf der Straße lokal CO2-neutral unterwegs sind, dann muss der Strom auch aus regenerativen Quellen stammen. Hierfür müssen alle Beteiligten aus Industrie und Politik an einem Strang ziehen.

Als ambitioniertes Ziel in Sachen Klimaneutralität hatte vor zwei Jahren Martin Daum formuliert, bis 2039 nur noch Fahrzeuge im Portfolio zu haben, die emissionsfrei unterwegs sind. Geht das?

Wir sind noch immer sehr ambitioniert und streben das weiterhin an. Ich sehe unsere Rolle darin, dafür zu sorgen, dass verstanden wird, wie wichtig die Infrastruktur für grüne Energie ist. Aber wir alleine können nicht die Welt ändern, dafür ist selbst Daimler Truck dann doch nicht groß genug. Aber wir sind auf einem guten Weg. Das Glas ist halbvoll, die Aufmerksamkeit für das Thema hoch und die Ambitionen enorm. Die Programme der EU unterstützen uns – ich meine damit speziell den Green Deal. Deswegen bin ich unterm Strich auf jeden Fall sehr hoffnungsvoll und optimistisch für die Zukunft.

Das Interview führte Christine Harttmann