Die Löwen sind los
„Simplifying Business“: Das Geschäft optimieren, vereinfachen. Ein starker Claim, der seit der offiziellen Vorstellung im baskischen Bilbao, kurz vor Ausbruch der Pandemie, die Überschrift für den MAN der dritten Generation gab. Ob das so zutrifft, muss sich erst noch weisen. An der Grundkonstruktion des TGX konnten die Designer nur äußerlich feilen. Denn solange keine neuen EU-Vorgaben für die Maße vorliegen, sind tiefgreifende Veränderungen in den Kabinen- und Gesamtmaßen nicht zu erwarten – verständlich. Aber das Facelift ist dennoch gelungen. Schneidig schaut er aus, der Löw‘. Jünger und dynamischer, die Krallen geschärft. Letztere sollen sich auch in den drei „Krallenspuren“ seitlich oben am Fahrerhaus wiederfinden, dort wo beim Alten das typische Waschbrett-Wellenmuster Identität spendete. Das Schöne an dieser Neuauflage: Identität wird hier verstärkt, die DNA des MAN TGX wird an jeder Ecke – zumindest rund ums Fahrerhaus - sichtbar.
Die 500-PS-Frage
Unser Testkandidat ist der TGX 18.510: 500 PS sind ja angeblich die neuen 450 PS. Und damit quasi die neue Standard-Motorisierung. Ich persönlich neige ja eher zu einer einsatzspezifisch zu definierenden Leistungsklasse. Und da stehen die 500-PS-Zugmaschinen eher für hohe Gewichts-Auslastung bei gleichzeitig anspruchsvoller Topographie. Genau das richtige also für unsere relativ schwere, in weiten Streckenanteilen eher bergige Transport-Testrunde. Relativierend zu berücksichtigen: Mit nicht einmal 7.000 Kilometer auf dem Tacho ist der Test-TGX noch nicht wirklich eingefahren. Erstaunlich gleichwohl, wie gut und lange der 510er rollte.
Unter der gekippten Kabine nehmen wir den nur 12,4 Liter großen D2676 unter die Lupe. Auffallend: Die rechte, heiße Seite ist ziemlich eng gepackt. Ein kompakt bauender Wastegate-Lader hat nun den zweistufigen Doppel-Turbo abgelöst. Und darüber feiert die Abgas-Rückführung fröhliche Urständ: Das gekühlte AGR-Rohr fällt allerdings deutlich kürzer aus, als die früheren Abgas-Rückkühler. „Soft-AGR“ nennen die MAN-Techniker diese milde Art der Abgas-Rückführung, die Euro VI Stufe d nötig machte. Vorteil: Der Kasten der SCR- und Filter-Einheit kann dadurch kleiner ausfallen, das spart Gewicht und gewinnt Tank-Kapazität. Wer glaubt, dass dadurch auch der AdBlue-Verbrauch AGR-typisch bei rund fünf Prozent des Dieselverbrauchs liegt, irrt. Mit 7,3 Prozent AdBlue-Konsum lag der AdBlue-Verbrauch bei Test-Ende in etwa so hoch wie bei den SCR-Only-Motoren. Also tatsächlich nur eine „softe“ Abgasrückführung, wie sie auch andere Hersteller wegen Euro VI d praktizieren.
Der weitere Rundgang offenbart Gewohntes: Die Hinterachse an Vierbalg-Luftfedern und dem MAN-typischen Vierpunkt-Lenker, der die Achse sehr Eigenlenk-neutral im Rahmen hält. Ganz vorne rechts dann doch noch News: Hier schafft hinter der ersten Trittstufe verborgen der elektrisch angetrieben Klima-Kompressor, der folgerichtig nun auch eine integrierte Standklima-Anlage ermöglicht. Gleich daneben ein ominöses schwarzes Kästchen, das wir später als „Central Vehicle Manager“ identifizieren. Was das kann? Offenbar hält dieses neue, zwischen Motor-Isolierung und Radlaufverkleidung eingezwängte Steuergerät die Verbindung zwischen allen weiteren Steuergeräten und dient auch als Schnittstelle für die Rio-Telematik-Hardware. Mithin sehen wir hier also das elektronische Nervenzentrum des TGX.
Wechseln wir in die Kabine: Der Aufstieg in die mit 155 cm Bodenhöhe nicht besonders hoch aufgesetzte Kabine fällt über die vier treppenartig eingezogenen Stufen leicht. Ein erster Scan über die gesamte Breite des Armaturenbretts offenbart: Yep! Das ist alles neu. Und gefällig geformt, fahrerorientiert obendrein. Das Instrumenten-Cluster bildet nun ein 12,3 Zoll Bildschirm. Die beiden quasi-analogen Rundinstrumente für Speed und Drehzahl sind fein gezeichnet, die Skalen in Porsche-Manier sehr klar und bestens ablesbar. In der Mitte gibt es wie üblich eine zentrale Darstellung, zum Beispiel des ACC-Abstandes, rechts und links davon reichen weitere, über die Lenkradtasten wählbare Displays bis in das Halbrund der großen Uhren hinein. Das ist ziemlich übersichtlich und sehr gut gemacht. Genauso wie die neuen Lenkradtasten: Links liegen die Tasten für alle Tempomat- und ACC-Funktionen, rechts die für die eben erwähnten Neben-Menüs in den Instrumenten. Alles, was sich im Instrumenten-Cluster abspielt und einspielen lässt, wird über die rechten Lenkradtasten gesteuert.
„Dreh-Drück-Steller“
Alle Infotainment-Funktionen regelt der MAN-Pilot dagegen über seinen „Smart-Select“-Knubbel. Der ist wirklich (noch) ein Alleinstellungsmerkmal. Der „Dreh-Drück-Steller“, wie der Knubbel im Amtsdeutsch heißt, kommt ja aus dem Pkw und wird im Lkw sicher Nachahmer finden. Mit den zwei Stellrädern navigiert der Fahrer sicher und zielgenau in den Menüs des Infotainment-Bildschirms zu seiner Rechten. Der Trick dabei ist die Handauflage: Sie erlaubt sogar das zielsichere, halbwegs leserliche Eingeben von Buchstaben über die als Touchpad fungierende Oberfläche des Stellrades. Gerade für die Eingabe von Navi-Zielen ist diese Technik gar nicht so abwegig.
Gut gelöst haben die Designer auch die Platzierung vieler Steckdosen im Ruhebereich. An der Kabinenrückwand gibt es außerdem einen Bediensatelliten mit Bildschirm-Menüführung, die direkt aus dem Instrumenten-Cluster übernommen wurde. Was hier nicht zu sehen ist aber durchaus über die Sonderausstattung bestellbar ist, sind heckseitige Dachschränke mit Rollo-Verschluss bei Einbett-Ausstattung und der neue Beifahrersitz mit geteilter Lehne, der sich mit einem Handgriff zu einem veritablen Brotzeittisch verwandeln lässt.
Auf der Strecke fällt zunächst das kernige Motorgeräusch auf. Wie auch die Konkurrenz haben die Nürnberger Motoren-Techniker die Verdichtung des D26 auf 1:20 erhöht. Das hört man. Aber: Auch das Drehmoment konnte so angehoben werden. Die heißere und effektivere Verbrennung erzeugt jedoch auch mehr Stickoxide. Deshalb wohl auch die sanfte AGR und der relativ hohe AdBlue-Verbrauch. Was an Motorgeräusch beim Fahrerohr ankommt, mag in Dezibel gemessen etwas höher sein als bei manchen Flüster-Trucks. Unangenehm ist der Sound jedoch nicht, der D26 klingt souverän, sonor und kraftvoll. Zu keiner Zeit aber aufdringlich.
Mit der längsten der verfügbaren Hinterachsen (i=2,31) kurbelt der Sechszylinder mit gelassenen 1.040 Umdrehungen bei 84 km/h Autobahn-Marschgeschwindigkeit. An Steigungen kommt die Rückschaltung in den 13. Gang für so ein drehmomentstarkes Triebwerk (2.600 Nm ab 930/min) ziemlich früh. Eigentlich ist das ja der Elfte. Aber MAN zählt für das Scania-Konzern-Getriebe 14 Gänge, obwohl es zwölf plus zwei Kriechgänge sind. Der höchste, direkt durchtreibende ist also der 14. Gang mit 1,0 und nicht wie bei der üblichen Zählweise der Zwölfte.
Wie auch immer: Dafür, dass wir im wirtschaftlichsten Programm „Efficiency+“ unterwegs sind, lässt der Computer den 510-PS-Motor erstaunlich wenig ziehen und hält ihn stattdessen mit gesunden Drehzahlen durch frühe Rückschaltungen bei Laune. Das bringt natürlich Speed an den Steigungen, ist aber nicht unbedingt super-sparsam.
Anders ist die Philosophie auf der flachen Strecke: Hier pflegt MAN beim neuen TGX das „Dynamische Segeln“. Bei Scania heißt dieser Fahrstil „Pulse & Glide“ und beschreibt ein sägezahnartiges Geschwindigkeits-Muster, das Sprit sparen soll und es auch tut, wie der erzielte Verbrauch auf dem Streckenabschnitt „Ebene Rollautobahn“ belegt. Die MAN-Strategen praktizieren diesen Tempomat-Stil besonders ausgeprägt und konsequent: Bei 84 km/h Setzgeschwindigkeit beschleunigt der Computer die Fuhre sanft auf 87 km/h, um dann im Segelmodus auf 81 km/h abfallen zu lassen (-3/+3 km/h). Auf unserer nur zehn Kilometer langen Rollstrecke sägt der TGX bestimmt über zehn Mal dieses Geschwindigkeits-Muster in den Asphalt der A9 zwischen Ingolstadt Süd und Langenbruck. Dass das Sprit spart, so um die zwei Prozent, ist belegt. Aber warum? MAN Fahrversuchs-Leiter Rainer Miksch begründet das so: „Beim dynamischen Segeln vermeiden wir den ungünstigen Teillast-Betrieb. Entweder wir rollen frei oder wir fahren hohe Last. Beides ist im spezifischen Verbrauchsdiagramm sparsamer als Teillast.“ Das stimmt. Dem Hintermann könnte die Speed-Sägerei freilich den Blutdruck in ungute Höhen treiben. Falls er mit ACC fährt, merkt er aber möglicherweise den Wellenverlauf der Geschwindigkeit gar nicht, weil sein Radarkissen diesen Effekt mehr oder weniger sanft abfedert. Wie sich das genau verhält, werden wir in einem eigenen Bericht klären, MAN wird uns dabei mit zwei Zügen unterstützen.
Früherkennung
Ein weiteres neues Feature des MAN Efficient Cruise ist die „Infrastruktur-Erkennung“. Und die funktioniert so: Erkennt das System auf der Landstraße einen nahenden Kreisverkehr, eine Einmündung oder eine Ortschaft, fliegt automatisch der Tempomat raus. Den Zeitpunkt dieser Deaktivierung trifft die Infrastruktur-Erkennung meist ziemlich genau, so dass man zum Beispiel beim rollenden Passieren des Ortsschildes genau 50 km/h auf dem Tacho hat. Basis für die Erkennung solcher Tempomat-Unterbrechungen ist das Kartenmaterial von Efficient Cruise. Das ist mehr oder weniger genau. Vor Ortschaften ziemlich genau, vor manchen Kreiseln in der Landschaft eher weniger: Dann wird das Event nicht erkannt und der Fahrer muss selbständig reagieren. Das Ganze arbeitet also quasi wie eine Vorstufe des Interurban-Tempomats, wie ihn Mercedes bereits im Actros realisiert hat. Gefühlt ist man damit auch etwas langsamer unterwegs, wenn die Fuhre gemütlich vor einer Ortschaft ausrollt, der man sich sonst wie gewohnt vielleicht mit mehr Speed genähert hätte. Im Schnitt hat das frühe Ausrollen aber kaum Einfluss auf den Gesamtschnitt, auf den Verbrauch aber sehr wohl, weil man konsequent die Schwungmasse des Trucks nutzt.
Insgesamt steckt der neue MAN also voller guter, neuer Ideen. Das eine oder andere Detail bei den Fahrer-Assistenz-Systemen mag noch verbesserungswürdig sein. Fakt ist: Die Münchner sind definitiv wieder in der Spur und zeigen mit dem neuen TGX der dritten Generation die Krallen. Watch out! Der Löwe ist losgelassen! rod
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