Der Stand der Dinge

Die Entwicklung elektrisch angetriebener Trucks geht nur schleppend voran. Es wird probiert und studiert, getestet und beobachtet. Projektstudien gibt es viele. Unter anderem wird der Frage nachgegangen: Welches System kann was und ist für welchen Einsatz geeignet?

Schöne neue Elektro-Welt: Ansätze zur Nutzfahrzeug-Elektrifizierung gibt es viele, kaufbare Lösungen praktisch keine. Je schwerer das Fahrzeug, umso schwieriger wird’s mit dem batterieelektrischen Antrieben. Bild: Mercedes-Benz
Schöne neue Elektro-Welt: Ansätze zur Nutzfahrzeug-Elektrifizierung gibt es viele, kaufbare Lösungen praktisch keine. Je schwerer das Fahrzeug, umso schwieriger wird’s mit dem batterieelektrischen Antrieben. Bild: Mercedes-Benz
Redaktion (allg.)

Es ist jetzt drei Jahre her, da durfte ich zum ersten Mal einen elektrisch angetriebenen 18-Tonner Verteiler-Truck selbst fahren. Die Spedition Max Müller, südlich von Wangen im hügeligen Allgäu gelegen, hatte sich dort einen zweiachsigen E-Truck der Schweizer Firma E-Force zugelegt. E-Force baut auf Basisfahrzeugen von Iveco auf, die Ähnlichkeit zu einem 18-Tonner-Solo-Stralis ist unverkennbar, der E-Force-Schriftzug auf der Frontklappe erlaubt die äußerliche Unterscheidung. Und zwei dicke Batteriepacks, die an den Rahmen-Außenseiten zwischen den Achsen hängen. Mit 240 kWh Batterie-Kapazität ist der E-Force One relativ üppig mit Energie ausgestattet. Der Stromvorrat reicht hier – und unsere Testfahrt hatte dies auch bestätigt – für rund 230 Kilometer. Das ist angesichts der hügeligen Topographie im Vorhof zum Bodensee und um die Stadt Lindau ein beachtlicher Wert. Möglicherweise könnte man dieses Batterie-Pack sogar als überdimensioniert bezeichnen, hatten wir am Ende unserer Sammelverkehr-Schicht immerhin noch 156 Restkilometer in der Digitalanzeige stehen, also nur knapp 80 Kilometer der Gesamt-Reichweite von 234 Kilometer tatsächlich verbraucht. Und das mit zahlreichen Bergauf-Fahrten, jeder Menge Stop & Go-Verkehr und intensivem Einsatz der Ladebordwand.

Diese erste Erfahrung zeigte mir als Tester: Der E-Truck funktioniert. Jedenfalls im regionalen Verteiler-Verkehr. Die Nutzlast-Einbußen durch die schweren Batterien halten sich in Grenzen und spielen mit zunehmender Leistungsdichte schon jetzt fast keine Rolle mehr. Zumal es ja zulassungstechnisch den Bonus von einer Tonne gibt, der den Gewichtsnachteil abmildert.

Was aber eine gewichtige Rolle spielt, ist der Preis der Batterien. Dass niemand so gerne über die Batteriekosten spricht, liegt genau darin begründet. Wenn das Batterie-Pack so viel kostet wie ein ganzer Lkw – wie soll das jemals wirtschaftlich einsetzbar sein? Laut Mercedes-Benz werden sich die Kosten bis 2025 von 500 Euro/kWh (1997) auf 200 Euro/kWh um den Faktor 2,5 für die Batterien reduzieren. Eine Batteriekapazität von 200 kWh schlägt dann aber immer noch mit 40.000 Euro zu Buche. Allerdings steigt auch die Leistungsdichte von 80 Wh/kg auf 200 Wh/kg. Ein 200 kWh-Batteriepaket wiegt dann nicht mehr 2,5 Tonnen sondern nur noch eine Tonne. In Sachen Leistungsdichte und Preis passiert also einiges.

Schwedische Variante

Szenenwechsel: Volvo stellt in Göteborg seine E-Lkw-Riege vor. Die Schweden nutzen einen Standard-E-Antriebsstrang für gleich mehrere Konzepte. Den 18-Tonner-Solo-Verteiler, den 26-Tonnen-Dreiachser für Bau- und Entsorgungsfahrzeuge und – das ist neu – als Sattelzugmaschine für den regionalen Verteiler-Verkehr. Dass es für E-angetriebene Dreiachs-Chassis geeignete Einsätze gibt, ist nicht neu. Schließlich waren nahezu alle der ersten projektierten Dreiachser Müllsammler. Der Einsatz passt, zumindest vordergründig: Viele Stop & Go-Fahrten mit entsprechend hohen Rekuperationsraten sind im Müllsammel-Betrieb die Regel. Fragt sich nur, wie lange die Zu- und Ablaufstrecken von der Deponie ins „Revier“ sind. In ländlichen Gebieten kommt der reine E-Müllsammler da schnell an seine Grenzen, knapsen doch neben langen Zu- und Ablaufwegen auch energiefressende Hydraulik-Funktionen am Stromvorrat. Die Schweden berichten jedoch auch von einer Nachfrage nach tragfähigen E-Chassis für den Betonmischer und Kipper in all seinen Spielarten. Gerade Abroller und Absetzer seien bei gemeindlichen Bauprojekten in den schwedischen Städten gefragte Fahrzeuge, weil sie die immer strikteren Emissions-Vorschriften erfüllten.

Den Sattel zu elektrifizieren ist ebenfalls sinnvoll, denkt man nur an die zahlreichen Fuhrparks der Lebensmittel-Branche. Leichte Ein- und Zweiachs-City-Sattel haben in der Regel sehr überschaubare Aktions-Radien, die mit einem E-Truck bedient werden können.

Als „Starting Point“ definiert Volvo deshalb auch seinen „One for all“-E-Antriebsstrang, mit dem die oben skizzierten Einsätze allesamt abgedeckt werden sollen. Noch treibt hier eine normale Hypoid-Antriebsachse die Hinterräder an, verbunden über eine kurze Kardanwelle mit einem zweistufigen Getriebe und zwei nebeneinander angeordneten E-Motoren. Dieser Antriebsstrang ist quasi eine Zwischenlösung oder die Vorstufe zu einem noch kompakter bauenden E-Antrieb mit achsnahen oder sogar achsintegrierten Radnaben-Motoren. Clever auch das Zweistufen-Getriebe: Es ermöglicht kleinere Motoren, weil Drehmoment-fordernde Anfahrvorgänge in Steigungen so viel schonender zu managen sind.

Für die Batterien haben sich die Schweden 50 kWh-Einzelmodule maßgeschneidert, die je nach Platzangebot und Einsatz skalierbar sind. Speziell bei der Sattelzugmaschine ist der Einbauraum ja sehr begrenzt. Mit je zwei 50 kWh-Paketen zwischen den Achsen, montiert links und rechts an den Rahmen-Außenseiten, kann Volvo immerhin 200 kWh Kapazität realisieren. Das ermöglicht – nimmt man den Standard-Verbrauch mittelschwerer E-Lkw von 100 kWh/100 km als Grundlage – für immerhin 120-200 Kilometer Reichweite.

Wie Volvo profitiert auch DAF in den Niederlanden von einer gewissen Praxis-Erfahrung bei schon länger im Betrieb befindlichen Elektro-Bussen über den Elektro-Partner VDL. VDL hat viel Erfahrung mit E-Antrieben und realisiert für DAF ebenfalls einen E-Antriebsstrang für die Sattelzugmaschinen der CF-Baureihe. Der wendige City-Sattel ist in Holland nun mal der bevorzugte Lebensmittel-Lieferant. Die Holländer haben erkannt, dass es wenig sinnvoll ist, viele kleine Transporteinheiten im Bereich zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen zu den urbanen Geschäften zu schicken. Das kostet viele Fahrzeuge, viele Leerkilometer und vor allem viele Fahrer. Die größtmögliche und gleichzeitig rationellste Einheit ist hier der City-Sattel, und sei es auch nur mit Einachs-Auflieger.

Mercedes-Benz beschreitet mit seinem Urban-eTruck-Programm seit 2016 einen etwas anderen Weg. Im Land der Wechselbrücken entschieden sich die Wörther, erst mal auf Actros-Basis ein 6x2-Fahrgestell für Wechselbrücken in die E-Welt zu transformieren. Der Vorteil, den die Wechselbrücke bietet: Gemischte Behältertypen wie Koffer, Koffer mit Ladebordwand oder Kühlkoffer sind kein Problem, der Einsatz entscheidet, welcher Behälter zum Einsatz kommt: Und: Das Vorladen and der Rampe verkürzt die Umschlagzeiten – also durchaus eine praxisnahe Alternative zum City-Sattel. Die Reichweite mit den 240 kWh Lithium-Ionen-Batteriepacks liegt auch hier bei 200 Kilometer oder mehr – je nach Topographie.

Ganzheitlicher Ansatz

Und auch das unterscheidet Mercedes von anderen Anbietern in Sachen E-Mobilität bei Trucks: Die eigens gegründete Mercedes „e-Mobility Group“ geht das Thema E-Lkw in der Praxis sozusagen ganzheitlich an. Die zehn bei Kunden laufenden eActros werden nicht nur technisch beobachtet und begleitet. Die eMobility Group berät darüber hinaus die Kundschaft hinsichtlich Lade-Infrastruktur, Einsatzart und Streckenprofil. Diese Faktoren entscheiden letztlich, ob ein E-Lkw überhaupt sinnvoll im Betrieb eingesetzt werden kann. Ist die Strecke zu bergig oder die Ladung zu schwer, reduziert sich die Reichweite empfindlich. Gibt es genug Stromkapazität für die hinsichtlich Stromfluss anspruchsvolle Schnell-Ladung? Diese und weitere wichtige Fragen klären die Berater der eMobility Group im Vorfeld mit dem Kunden und wählen die richtige Fahrzeuggröße, die genau angepasste Batterie-Kapazität und die Auslegung der Ladesäulen aus.

Kurz zusammengefasst lässt sich der Stand der Dinge beim E-Lkw also so skizzieren: Die Technik bis 26 Tonnen Gesamtgewicht funktioniert. Wir erzielen mit Batterie-Packs um 200 kW Kapazität Reichweiten zwischen 120 und 200 Kilometer. Das reicht für viele Distributions-Einsätze inklusive Anwendungen im Bau, keinesfalls aber für den Fernverkehr.

In der Tabelle haben wir aufgeführt, was grob überschlagen nötig ist, um ein durchschnittliches Gesamtgewicht von 32 Tonnen über 1.000 Kilometer zu bewegen. Und da sieht man schon: Mit steigendem Gewicht stößt der batterie-elektrische Antrieb schnell an seine Grenzen. Zehn Tonnen Batteriegewicht wären dann bei 32 Tonnen Gesamtgewicht ein bisschen viel Nutzlastverlust – das wird nicht funktionieren.

Obwohl: Im Rahmen seiner „Customer Experience“ Testflotte stellt Daimler America ganz aktuell seinen überarbeiteten eCascadia vor. Der schwere „Class 8“ Hauber soll mit 730 PS Nennleistung und 550 kWh Batteriekapazität für eine Reichweite von 400 Kilometer sein. Mit entsprechend leistungsfähiger Lade-Infrastruktur ließen sich seine Batterien innerhalb 90 Minuten auf 80 Prozent wieder aufladen. Der kleinere Bruder des eCascadia ist der bis zu zwölf Tonnen schwere eM2 (Class 6). Der Verteiler-Truck ist in seiner neuesten Version mit 325 kWh Kapazität ausgestattet, die eine entsprechende Reichweite von bis zu 370 Kilometer bieten. Man sieht schon: In einem großen Land müssen auch die E-Trucks etwas größer ausgelegt werden. Was das ganze kostet, steht jedoch nicht in den Pressemeldungen.

Keine E-Lösung

Dennoch: Der batterieelektrische Antrieb kann für den schweren Fernverkehr keine Lösung sein. Zu wenig Reichweite, zu schwer und zu teuer. Bleibt die Brennstoffzelle, befeuert mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff. Immerhin: Allein in Deutschland ist das Netz an Wasserstoff-Tankstellen um den Faktor 15 höher als das Angebot an LNG-Tankstellen. Aber: Der Wasserstoff wird in den seltensten Fällen mit „grünem“ Strom aus Wind-, Wasser- oder Solarenergie erzeugt. Stattdessen wird H2 aus fossilem Methan mit hohem Energieaufwand gewonnen. Die Energiedichte von Wasserstoff ist dafür enorm: Nur 80 bis 100 Kilo reichen, um einen 32-Tonnen-Brennstoffzellen-Truck mit über 1.000 Kilometer Reichweite auszustatten. Dabei gehen die Entwickler von auf 700 bar komprimiertem Wasserstoff aus. Die meisten H2-Pkw-Tankstellen können aber nur auf 350 bar verdichten. Der Lkw ist also wieder mal ein Spezialfall, schon Tankstellen-technisch.

Glaubt man etwa den Utopisten der US-Brennstoffzellen-Experten von Nikola, sei es ein Leichtes, ein Netz an dezentralen Wasserstoff-Tankstellen „all around Europe“ aufzubauen. Nicht größer als ein 20-Fuß-Container könnten solche Stationen sein, die grünen Wasserstoff an Ort und Stelle per Hydrolyse erzeugen. Voraussetzung seien lediglich das Vorhandensein von genügend Wasser und regenerativer Strom zur Aufspaltung des Wassers in H2 und Sauerstoff. Das ganze komprimiert auf 700 bar – fertig ist die Wasserstoff-Tankstelle für den Brennstoffzellen-Trucks. Als Ziel sehen die Nikola – Entwickler allen Ernstes das Jahr 2028 für die ersten Stationen.

Wesentlich realistischer erscheint da das Projekt „H2 Xcient Fuel Cell“, das Hyundai in der Schweiz angestoßen hat. Die Eckdaten der Xcient-Brennstoffzellen-Trucks: Zwei parallel geschaltete 95 kW-Brennstoffzellen-Stacks liefern bis zu 190 kW Antriebsleistung, gespeist aus sieben Wasserstofftanks mit einer Kapazität von 35 Kilo H2. Noch in diesem Jahr will Hyundai 50 H2-Lkw in die Schweiz liefern, bis 2025 sollen bereits 1.600 Lkw laufen. Das klingt kaum weniger utopisch als die Pläne, die Nikola zusammen mit dem europäischen Partner Iveco vorhat. Aber: Das Schweizer Modell fußt immerhin auf einer strategischen Partnerschaft Namens Hyundai Hydrogen Mobility (HHM). Darin arbeiten die Hyundai Motor Company und der Schweizer Wasserstoff-Spezialist H2 Energy zusammen. Hinter H2 Energy verbirgt sich wiederum ein Joint Venture mit dem Schweizer Energieversorger Alpiq und der Linde Group, dem weltweiten Marktführer für Industriegase. Den Wasserstoff will das Konsortium aus einer zwei Megawatt starken Hydrolyse-Anlage gewinnen. Den Strom dafür soll das Wasserkraftwerk Gösgen von Alpiq liefern.

Das Schweizer Hyundai-Projekt klingt also schon mal wesentlich realistischer als die Nikola-Pläne, zumindest was die H2-Versorgung betrifft. Die Nikola-Idee besticht allerdings durch ihren dezentralen Ansatz, der einen entscheidenden Vorteil bietet: der Wasserstoff wird hier direkt an der Tankstelle erzeugt, muss also nicht aufwändig als Gefahrgut mit dem Lkw durch die Lande gefahren werden. Das hat was. Für Hyundai stellt sich die Frage, ob man tatsächlich in der Lage sein wird, die insgesamt 1.600 Xcient-Lkw zu liefern. Und wenn ja, zu welchem Preis. rod

Es zwickt und zwackt

Ob ich daran glaube, dass wir schon sehr bald kaufbare E-Trucks in den Listen der Hersteller haben? Klares Nein. Der abstürzende Ölpreis mitten in der Corona-Krise lässt nichts Gutes erwarten. Diesel ist viel zu billig und wird es auch bleiben. Es ist einfach zu viel Öl am Markt. Und ich gehe jede Wette ein, dass die CO2-Ziele wegen der Corona –Krise nochmal relativiert werden.

Dazu sehen wir eine nur zögerlich anlaufende Batterie-Produktion und immer noch viel zu große Abhängigkeiten von asiatischen Batterie-Produzenten. Der Ausbau der E-Infrastruktur läuft ebenfalls schleppend. Wenn ich mir vorstelle, dass an jedem Lkw-Parkplatz eine Hochleistungs-Ladesäule stehen müsste: Wie soll das gehen? Wir haben dafür gar nicht die Leitungsstärken. Der Strom wäre ja da – jedenfalls wenn die Verteilung von Nord nach Süd endlich angegangen würde. Es zwickt und zwackt hinten und vorne. Mir geht das alles viel zu langsam.

Die Brennstoffzelle? Seit dreißig Jahren, also schon mein ganzes Berufsleben, höre ich: „ Jahaa, eigentlich ist die Brennstoffzelle fertig – in zehn Jahren ist das Standard …“. Von wegen. Zuvorderst aber gilt: Wo kein Wasserstoff, da keine Brennstoffzelle. Henne und Ei – sie wissen schon. Dass wir hierzulande bereits ein relativ dichtes Wasserstoff-Tankstellen-Netz haben – geschenkt. Was wir brauchen ist kein Wasserstoff, der teuer aus fossilem Methan generiert wird, sondern mit regenerativem Strom und Wasser. Hydrolyse nennt sich das. Uralt und bekannt. Und dann müssen wir das Gas noch auf 700 bar verdichten. Sonst bringen wir die Tanks für entsprechende Reichweiten im „Fuel-Cell-Truck“ nicht unter. Nein, gar nicht so einfach, das mit der Brennstoffzellen-Technik. Aber ich schätze, so in zehn Jahren …