Shell setzt auf biogene Kraftstoffe und Elektro-Lkw: Sönke Kleymann über die Dekarbonisierung des Güterverkehrs

Effektive Alternativen brauchen Ambitionen: Für die Dekarbonisierung des Güterverkehrs braucht es den gemeinsamen Kraftakt aller. Von Sönke Kleymann, Geschäftsführer des Mineralölkonzerns Euroshell Deutschland, wollten wir deshalb wissen, mit wie viel Kreativität er dieser Herausforderung begegnet. Er stellt verstärkt biogene Kraftstoffe in den Vordergrund. Vor allem im Fernverkehr können sie helfen. Für die Kurzstrecke empfiehlt er eher den Elektro-Lkw.

Weil die Nachfrage steigt: Shell setzt momentan verstärkt auf Bio-LNG. (Bild: Pixabay; Shell)
Weil die Nachfrage steigt: Shell setzt momentan verstärkt auf Bio-LNG. (Bild: Pixabay; Shell)
Christine Harttmann

VisionTransport: Traditionell ist Shell ein klassischer Mineralölkonzern. Zunehmend spielen aber auch biogene Kraftstoffe eine Rolle. Ändern Sie da gerade Ihre strategische Ausrichtung?

Sönke Kleymann:Shell ist ein modernes Energieunternehmen, das die Energiewende proaktiv im Rahmen der eigenen Powering Progress-Strategie mitgestaltet und sich das globale Ziel gesetzt hat, bis 2050 zu einem Netto-Null-CO2-Emissionsunternehmen zu werden.

Gerade der Schwerlastverkehr kann einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen mit alternativen Kraftstoffen und Antrieben leisten. Darauf ist auch unser Produktportfolio ausgerichtet: Die Shell Card soll Kunden auf ihrem Weg in eine emissionsärmere Zukunft begleiten und sie mit unseren Produkten bei der Dekarbonisierung unterstützen. Dabei spielen für uns auch biogene Kraftstoffe eine wichtige Rolle, vor allem Bio-LNG (Liquefied Natural Gas), also verflüssigtes Biomethan.

Biogene Kraftstoffe sind aber nur ein Baustein des künftigen Kraftstoffmosaiks. Für die Kurzstrecke bieten sich beispielsweise Elektro-Lkw an, während sich für die Langstrecke der Gaskraftstoff (Bio-)LNG oder Wasserstoff eignen. Wir stellen unseren Kunden in diesen Bereichen umfassende Lösungen zur Dekarbonisierung zur Verfügung.

Wie sehr investieren Sie in Forschung und Entwicklung?

Laufende Forschung und Entwicklung ist bei Kraftstoffen unerlässlich – sowohl bei traditionellen als auch alternativen Kraftstoffen.
Hier spielt auch der Standort Deutschland mit dem Shell Technology Centre Hamburg eine wichtige Rolle. Mehr als 250 Kolleginnen und Kollegen aus dem Forschungs- und Ingenieurswesen arbeiten dort unter anderem an der Entwicklung fortschrittlicher Kraftstoffe, alternativer Kraftstoffanwendungen und E-Mobilitätsanwendungen – immer im Austausch mit Shell Zentren in den Niederlanden, den USA, China, Indien, UK und Japan.

Um die Ziele bis 2050 zu erreichen, bedeutet das für alle Beteiligten – OEMs, Spediteure und Energieunternehmen wie uns – einen großen Kraftakt und viel Mut. Denn insbesondere im Geschäftskundenbereich müssen Zukunftskraftstoffe neben ihren CO2-reduzierten Eigenschaften auch wirtschaftlich und mit einer entsprechenden Infrastruktur verfügbar sein. Auf diese und weitere Anforderungen richtet sich die Forschung und Entwicklung alternativer Kraftstoffe.

Es gibt ja verschiedene Arten biogener Kraftstoffe. Inwieweit unterscheiden sie sich hinsichtlich der Einsatzbereiche?

Hinsichtlich der Reichweite stehen biogene den konventionellen Kraftstoffen in nichts nach und können auch auf Langstrecken eingesetzt werden. Der Einsatz von Bio-LNG wiederum setzt spezielle Tanktechnik voraus, da der Kraftstoff auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt wird.

Ein wichtiges Argument für biogene Kraftstoffe ist deren Nachhaltigkeit. Ist die auch tatsächlich gewährleistet?

Die Ausgangsstoffe spielen bei Biokraftstoffen eine zentrale Rolle, denn sie entscheiden über ihr Emissionsminderungspotenzial. Das für Bio-LNG nötige Biomethan kann aus einer Vielzahl unterschiedlicher organischer Reststoffe wie landwirtschaftlichen Rückständen, Siedlungsabfällen und Gülle hergestellt werden, ins Erdgasnetz eingespeist und entsprechend zur Verflüssigung entnommen werden.

Eine der Herausforderungen ist die begrenzte Verfügbarkeit von Rohstoffen. Bremst Sie das bei Ihren Ambitionen aus?

Wir befinden uns in Deutschland in der privilegierten Lage, genügend Reststoffe für die Produktion vorzufinden und unabhängig die Produktion vorantreiben zu können. Shell hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Wertschöpfungskette für Bio-LNG abzubilden. Mit unserem starken LNG-Stationsnetz haben wir den Anfang gemacht. Im nächsten Schritt ist die Inbetriebnahme unserer Gasverflüssigungsanlage geplant. Und letztlich streben wir auch den Bau eigener Anlagen zur Herstellung von Biomethan in Deutschland an.

Perspektivisch betrachtet – können beim Lkw biogene Kraftstoffe die fossilen ablösen? Welche Arten sind dabei besonders geeignet?

Biokraftstoffe bieten durchaus das Potenzial, eine effektive Alternative zu Diesel darzustellen. Im Schwerlastverkehr trifft das vor allem auf Bio-LNG zu, das sich im Markt als praxistauglich bereits als einzige Alternative durchgesetzt hat. Gleichzeitig erwarten wir, dass konventioneller Diesel noch eine gewisse Zeit eine Rolle dabei spielen wird, den Schwerlastverkehr in Deutschland voranzubringen. Wir sehen mittelfristig eine Koexistenz von traditionellem Diesel, biogenen Kraftstoffen sowie Elektromobilität – kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.

Ergreifen Sie auch Initiativen, um die Verwendung dieser Kraftstoffe in der Branche zu fördern? Kooperieren Sie dabei mit anderen Unternehmen?

Shell sieht sich als Dekarbonisierungspartner für seine Kunden und geht mit den Anforderungen des Marktes mit. Gerade LNG hat sich im Schwerlastverkehr durchsetzen können. Deswegen hat Shell in den vergangenen Jahren das eigene Stationsnetz für LNG in Europa maßgeblich ausgebaut. Aktuell können unsere Kunden mit der Shell Card in Deutschland an mehr als 35 Stationen LNG beziehen. Dieses Stationsnetz bildet das Fundament für die geplante Markteinführung von Bio-LNG bei Shell. Hierzu haben wir Testläufe mit Kunden und OEMs durchgeführt. Zudem arbeiten wir an weiteren Angeboten im Bereich Elektro und Wasserstoff und werden auch in diesem Bereich ein alternatives Angebot für unsere Kunden aufbauen.

Viel wird ja auch über den Hochlauf der Produktion in den kommenden Jahren diskutiert. Haben Sie eine Prognose, wie lange es dauert, rund die Hälfte der fossilen Kraftstoffe durch biogene Alternativen zu ersetzen?

Im Schwerlastverkehr erwarten wir aktuell, dass sich mittelfristig Bio-LNG sowie längerfristig Batterieelektrik und Wasserstoff je nach Anwendungszweck ergänzen werden. Deswegen treiben wir all diese Lösungen voran, damit unsere Kunden die Kombination wählen können, die für ihr Geschäft am sinnvollsten ist.

Hat die Politik Einflussmöglichkeiten, um die Produktionsmengen biogener Kraftstoffe zu steigern?

Grundsätzlich sollte die Politik das Ambitionsniveau zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Verkehr hochhalten, sodass mehr emissionsfreie und emissionsarme Produktangebote in den Verkehr geliefert werden. Es wäre zu begrüßen, wenn beispielsweise der Import von Biomethan nach Deutschland zur Verwendung im Verkehr unter Sicherstellung der Vermeidung von Doppelanrechnung durch die Politik ermöglicht wird. Auch die Gestaltung der Mautbeiträge hat einen Einfluss auf die Entscheidung, welches Fahrzeug als Nächstes im Fuhrpark eines Unternehmens eingesetzt wird.

Wie kommunizieren Sie das Thema biogene Kraftstoffe gegenüber Ihren Kunden und wie tragen Sie zur Sensibilisierung für nachhaltige Mobilität bei?

Wir setzen auf eine enge Beziehung zu unseren Shell-Card-Kunden, um ihre Bedürfnisse zu verstehen und passende Lösungen für sie entwickeln zu können. Das schließt auch Beratung und Aufklärung ein, um unsere Kunden mit unseren zahlreichen Lösungen vertraut zu machen. Nur so lassen sich gemeinsam die passenden Produkte für den jeweiligen Fuhrpark finden. Darüber hinaus sensibilisieren wir durch gemeinsame Projekte und Testläufe für nachhaltige Mobilität.

Sönke Kleymann ist als Geschäftsführer für Euroshell Deutschland verantwortlich. Er führt das Unternehmen gemeinsam mit Silke Evers. In seine Zuständigkeit fällt das Geschäft mit Betreibern von Lkw im Schwerlastverkehr in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Einen großen Fokus setzt Kleymann in diesem Zusammenhang auf die Dekarbonisierung des Sektors.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Magazin VISION TRANSPORT Ausgabe 2023 veröffentlicht.