Hochautomatisierte Fahrsysteme (HAD) in der Transportbranche: Autonom fahrende Lkw - Stand der Dinge

Hochautomatisiertes Fahren – ein Mehrwert: Die Transport- und Logistikbranche kämpft mit zahlreichen Herausforderungen, etwa dem Mangel an qualifizierten Berufskraftfahrern oder steigenden Energiekosten. Hochautomatisierte Fahrsysteme können helfen, diesen Problemen zu begegnen. Bereits heute stehen Funktionen für erhöhte Sicherheit, weniger Kraftstoffverbrauch und Stressreduktion bereit (von Sun-Mi Choi).

In der Zukunft werden Lkw zunehmend automatisiert fahren. (Bild: Pixabay; Plus)
In der Zukunft werden Lkw zunehmend automatisiert fahren. (Bild: Pixabay; Plus)
Redaktion (allg.)

Lkw-Flottenbetreiber kämpfen mit Lieferengpässen, ambitionierten Klimazielen, steigenden Energiepreisen – und dem Fachkräftemangel. Allein in Deutschland fehlen derzeit etwa 100.000 Berufskraftfahrer, so der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Von den derzeit Beschäftigten ist ein Drittel bereits älter als 55 und wird in den nächsten Jahren in Rente gehen. Im Vergleich dazu rücken viel zu wenig Berufseinsteiger nach.

Darüber hinaus müssen Flottenbetreiber ihren Betrieb auch wirtschaftlich und nachhaltig gestalten. Lkw mit hochautomatisierten Fahrsystemen könnten für diese Quadratur des Kreises der Schlüssel sein. Unternehmensberatungen sehen im Bereich der Nutzfahrzeuge enormes Potenzial für die neue HighlyAutomatedDriving(HAD)-Technologie. Die Berater gehen davon aus, dass im Jahr 2030 fast zehn Prozent aller verkauften Lkw automatisiert fahren.

Hochautomatisierte Fahrsysteme – der Stand der Dinge

HAD-Systeme sind softwarebasiert. Eine Software stellt also die Funktionen bereit, um den Lkw zu steuern. Sie interagiert mit den technischen Komponenten im Fahrzeug und kontrolliert sie. Verschiedene Kameras und Sensoren versorgen sie in einem Winkel von 360 Grad mit Umgebungsinformationen: Wo befindet sich der Straßenrand? Wie hoch ist die Brücke? Was sagt das Verkehrsschild vor dem Lkw?

Die dafür verwendeten Sensortechnologien haben individuelle Vor- und Nachteile. Es gilt sie miteinander zu kombinieren und auf Redundanzen zu achten. Gut abgestimmt, gewinnt das System Rundum-Informationen und bleibt auch dann funktionsfähig, wenn ein einzelner Sensor ausfällt. Die Daten fließen in der zentralen Computereinheit zusammen, die alle Informationen verarbeitet. Über folgende Fahrtechniken verfügt ein hochautomatisierter Lkw heute schon:

Fahrspur wechseln

Die meisten Systeme erkennen, wann der beste Moment ist, die Fahrspur zu wechseln. Der Fahrer erhält ein Signal und leitet den Fahrspurwechsel ein, indem er den Blinker setzt. Anschließend führt der Lkw den Spurwechsel eigenständig durch. So bleibt es dem Fahrer überlassen, wann er die Spur wechselt. Auch wenn zwei Fahrspuren zusammentreffen, etwa bei einer Autobahnauffahrt, kann das HAD-System automatisch die Bahn für die einfädelnden Fahrzeuge freimachen.

Spur halten und ausweichen

Der Lkw bleibt immer in der Mitte seiner Spur. Das hilft bei starkem Wind, da der Fahrer nicht ständig selbst gegensteuern muss. Außerdem kann das Fahrzeug automatisch ein wenig zur Seite rücken, wenn sich ein zweites nähert. So hat der andere genügend Platz zum Überholen.

Stop-and-go

Ist das System aktiviert, kann der Lenker seine Füße vom Pedal nehmen. Der Lkw hält automatisch Abstand zum vorderen Fahrzeug, bremst selbstständig und gibt Gas. Das HAD-System kann auch vollständig stoppen und wieder anfahren.

Höhenkontrolle

Fehlerhafte Höhenangaben führen dazu, dass Lkw unter einer Brücke hängen bleiben, weil Schilder nicht auf dem neuesten Stand oder die Straßen aufgrund Neuasphaltierungen leicht erhöht sind. Mithilfe seiner Sensoren kann ein HAD-System die Höhe exakt abmessen und warnt, falls der Lkw zu hoch sein sollte.

HAD-Fahrzeuge erhöhen Sicherheit

Hochautomatisierte Nutzfahrzeuge haben eine Art Co-Pilot dabei. Die integrierte Software hilft, die Unfallgefahr erheblich zu reduzieren. Dabei passiert nichts ohne das Wissen des Fahrers: Auf einem Display sieht er genau, welche Aktionen das automatisierte System durchführen wird. Flottenbetreiber können ihre Fahrer zudem im Umgang mit dem neuen System schulen. Dafür offerieren Technologieanbieter spezielle Trainingsprogramme, die Theorie und Praxis umfassen. Die Fahrer müssen auf jeden Fall einen Test bestehen und zeigen, dass sie das System beherrschen, bevor sie es einsetzen dürfen.

Zusätzliche Sicherheit bietet ein Driver Attentiveness System. Hierbei behält eine Innenraumkamera während der Fahrt die Hände und Augen des Fahrers im Blick und gibt ihm bei Bedarf verbale Hinweise. Sobald das System erkennt, dass die Hände vom Lenkrad genommen wurden, der Fahrer müde oder abgelenkt ist, ertönt ein Signal. Erhält es auch nach 15 Sekunden keine Reaktion darauf, warnt das System ein zweites Mal. Nach weiteren 15 Sekunden bremst der Lkw langsam ab und kommt zum Stillstand. In Zukunft soll er fähig sein, abzubremsen und dann auf den Seitenstreifen zu wechseln. Auf diese Weise lässt sich ein Truck selbst in Extremsituationen sicher stoppen.

Nachhaltige Einsparungen

Neben der erhöhten Sicherheit bieten Systeme für hochautomatisiertes Fahren Flottenbetreibern weitere Vorteile – etwa hinsichtlich Kraftstoffverbrauch und Nachhaltigkeit. Ein HAD-System kann das Fahrverhalten so optimieren, dass es den Kraftstoffverbrauch um mindestens zehn Prozent minimiert – im Vergleich zu einem unerfahrenen Lkw-Lenker sogar noch mehr. Das Einsparpotenzial summiert sich mit der Anzahl der Fahrzeuge, in die das System integriert wird.

Die Trucks fahren alle im effizientesten Betrieb, unabhängig davon, wer am Steuer sitzt. Außerdem will die Bundesregierung – Stand heute – ab 2024 eine CO2-Maut für Lkw einführen. Für Flottenbetreiber steht das Thema Nachhaltigkeit daher ganz oben auf der Agenda. Da durch optimiertes Fahrverhalten weniger Kraftstoff verbraucht wird, lassen sich CO2-Emissionen vermeiden.

Die Technologie fördert zudem die Mitarbeiterbindung, indem sie die Arbeit angenehmer gestaltet. Die HAD-Systeme entlasten Fahrer in vielen Situationen, sodass lange Fahrten nicht mehr so anstrengend und ermüdend sind. Die Arbeit wird entspannter und es kommt seltener zu Frustration und Burnout. Wenn Mitarbeiter zufrieden sind, wollen sie sich zudem nicht verändern. Das zahlt sich für Flottenbetreiber aus, denn das Onboarding eines neuen Fahrers kommt oftmals teuer. Zudem sparen sie dank der hochautomatisierten Assistenzsysteme an unfallbedingten Kosten.

Darauf sollten Flottenbetreiber achten

Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz eines modernen Assistenzsystems ist, dass die Lkw-Fahrer es auch gerne nutzen. Es muss bedienungsfreundlich sein und den Anwendern entgegenkommen. Denn wenn es unbequem ist oder häufig falsche Signale aussendet, wird es abgeschaltet. Ideal ist es, wenn das System von Fahrern für Fahrer entwickelt wurde und die Software kontinuierlich auf der Basis von Anwender-Feedback optimiert wird. Dann fühlt sich das System natürlich an, wird als Unterstützung angesehen und gerne eingesetzt.

Bisher ist hochautomatisiertes Fahren nur auf der Autobahn möglich. Im Stadtverkehr lässt sich das System nicht aktivieren. Das liegt daran, dass Autobahnfahrten weniger komplex sind, sodass die künstliche Intelligenz (KI), die in den Assistenzsystemen steckt, sie leichter berechnen kann. Wer allerdings auf ein infrastrukturunabhängiges System setzt, das sich per Software-Update OTA erweitern lässt, kann die Entwicklung vom hochautomatisierten zum autonomen Fahren Schritt für Schritt vollziehen. Damit profitieren Flottenbetreiber bereits vom aktuellen Stand, schaffen jedoch gleichzeitig die Basis für die technische Entwicklung in der Zukunft – dem autonomen Truck.

Zur Autorin

Sun-Mi „Sunny“ Choi ist Vice President Global Business Development bei Plus. Ihr Ziel ist es, sinnvolle Partnerschaften aufzubauen, die den globalen Einsatz der autonomen Fahrtechnologie von Plus unterstützen. Zuvor war Choi zehn Jahre bei Bosch tätig. In der Konzernzentrale in Stuttgart arbeitete sie im Bereich Marketing und Vertrieb. Anschließend wechselte sie nach Shanghai, wo sie als Stabschefin des für die Region Asien-Pazifik verantwortlichen Vorstandsmitglieds tätig war. 2019 zog sie nach San Francisco und übernahm internationale Verantwortung für die Geschäftsentwicklung.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Magazin VISION TRANSPORT Ausgabe 2023 veröffentlicht.