Mirror Cam statt Rückspiegel: Wo liegen die Unterschiede?

Was sie schon immer über Mirror Cams wissen wollten: Daimler gibt Antworten auf Fragen, die sich durch den Austausch der konventionellen Rückspiegel durch das Kamera-System ergeben.

Die Simulation zeigt: der Van wäre hier fast komplett vom Spiegelgehäuse abgedeckt. Der Monitor verbreitert allerdings auch etwas den Blind-Winkel der A-Säule. Bild: Daimler
Die Simulation zeigt: der Van wäre hier fast komplett vom Spiegelgehäuse abgedeckt. Der Monitor verbreitert allerdings auch etwas den Blind-Winkel der A-Säule. Bild: Daimler
Redaktion (allg.)

Kameras am Dachrahmen und Displays an den A-Säulen anstatt der üblichen Außenspiegel: Auch wenn der neue Actros sich äußerlich kaum vom alten Modell unterscheidet – durch die Mirror Cams ist er eindeutig identifizierbar. Die Vorteile des neuen Systems liegen laut Daimler klar auf der Hand – weniger Verbrauch durch verbesserte Aerodynamik sowie mehr Verkehrssicherheit durch bessere Sicht. Aber es stellen sich auch viele Fragen: Wie funktioniert die Bedienung, was gilt es zu beachten, und braucht der Fahrer eine Eingewöhnungszeit? Daimler versucht hier, die häufigsten Fragen zu beantworten.

Was ändert sich für den Fahrer/die Fahrerin? Dank der Mirror Cam hat der Fahrer nun freie Sicht, wo vorher Rück- und Weitwinkelspiegel große Bereiche rechts und links der A-Säule verdeckten. Ein Vorteil vor allem an Kreuzungen, beim Rangieren und in engen Kurven. Und: Der Blick des Fahrers muss nicht mehr so weit nach rechts beziehungsweise nach links wandern, um den rückwärtigen Verkehr einzusehen. Ein weiterer Vorteil: Spiegel sind starr montiert, das Ende des Aufliegers kann bei Kurvenfahrten deshalb aus dem Sichtfeld wandern. Bei der Mirror Cam dagegen schwenkt das Bild der kurveninneren Kamera mit, der Fahrer kann jederzeit das Trailer-Ende im Blick behalten. Grundsätzlich ist das System dabei auf Standard-Auflieger eingestellt, das Schwenken lässt sich aber auch individuell regeln. Das geschieht bei modernen Trailern automatisch, wenn diese ihre Geometriedaten an das Zugfahrzeug übermitteln. Manuell kann der Fahrer den Schwenkradius im Türbedienfeld über Seitenauswahltaste und Kreuzwippe verschieben. Was hat der Unternehmer von der Mirror Cam? Die optimierte Aerodynamik kann den Verbrauch senken: Bis zu 1,5 Prozent weniger Kraftstoff lassen sich auf die optimierte Windschlüpfigkeit dank Mirror Cam zurückführen. Können Schmutz und Regen das Bild beeinträchtigen? Beschlagene oder verschmutzte Spiegelgläser und Seitenscheiben waren schon immer ein Problem. Durch die Position der Kameras hoch oben am Fahrzeug, das kleine Dach über der Kameralinse, eine spezielle Beschichtung und die digitale Übertragung des Bildes auf ein Display im Fahrerhaus können Beschlagen und Schmutz dem System kaum etwas anhaben. Besonders hilfreich bei kalten und feuchten Tagen: Die Kamera ist bei Temperaturen unterhalb von 15 Grad Celsius automatisch beheizt. Was bringen die Distanzlinien auf dem Display? Die Distanzlinien, die auf dem Display des Mirror Cam-Systems angezeigt werden, helfen dem Fahrer oder der Fahrerin bei der Einschätzung der Abstände hinter dem Lkw. Eingeblendet werden drei fest positionierte Linien und eine Linie, die der Fahrer für genau seine Trailer-Länge auf Höhe des Fahrzeuges justieren kann. In Kombination mit den Hinweisen, die die Assistenzsysteme in den Displays zeigen, kann der Fahrer insbesondere drei typische Situationen jetzt besser einschätzen: Ist links alles frei zum Ausscheren? Wann darf der Fahrer nach Überholvorgängen wieder ungefährdet nach rechts ziehen? Wie sieht es beim Rückwärts-Rangieren mit dem Abstand Hinterkante Auflieger aus? Ist ein Kamerasystem in der Dämmerung oder nachts im Nachteil? In Restlichtsituationen, also bei Dämmerlicht, ist die Mirror Cam sogar im Vorteil. Die Kameras sind sehr lichtstark ausgelegt. So können die Displays ein helleres Bild zeigen, als in Natur zu sehen ist. Der Fahrer erhält also bessere Umfeld-Informationen als mit einem Spiegel. Zudem passt sich die Helligkeit stufenlos dem Umgebungslicht an – der Fahrer wird nicht geblendet. All das funktioniert auf offener Straße genauso wie im Tunnel. Ist es draußen vollkommen dunkel, kann auch die Mirror Cam – wie herkömmliche Spiegel – nur die durch das Fahrzeug selbst erhellten Bereiche anzeigen. Hier haben die Entwickler für ein Maximum an Bildinformation eine Abstimmung gewählt, die aktuell noch ein leichtes Bildrauschen mit sich bringen kann. Lässt sich die Helligkeit der Displays anpassen? Unterschiedliche Wahrnehmung, Wetter und Tageszeit – es kann mitunter gute Gründe für eine Helligkeitsanpassung der Displays geben. Das geschieht unkompliziert über das rechte Touch-Display beziehungsweise das Multifunktionslenkrad. Wer will, regelt rechtes und linkes Display unterschiedlich. Über die Menüs „Anzeige und Helligkeit > Displayhelligkeit > Mirror Cam“ ist dafür ein virtueller Schieberegler erreichbar. Warum sind die Monitorbilder nicht genauso scharf wie auf meinem Smartphone? Entscheidender als die Pixeldichte waren die bisherigen Sehgewohnheiten der Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen: Mit einer großen 15,2 Zoll-Bildschirmdiagonale (38,6 Zentimeter) entspricht die Mirror Cam in etwa der bisherigen Spiegelform. Wie gehabt können so Abstand und Tempo eines hinteren Fahrzeugs gut an Größe und Größenveränderung eingeschätzt werden. Allerdings: Viele moderne Smartphone-Displays zeigen ein Pixel-pro-Zoll-Verhältnis, das oftmals über dem Auflösungsvermögen des Benutzer-Auges liegt. Das Gerät liegt außerdem in der Hand, der Abstand zum Auge ist damit recht gering. Die Displays der Mirror Cam sind deutlich weiter entfernt, und je weiter der Abstand, desto weniger Details kann das Auge unterscheiden. Eine Smartphone-ähnliche Pixelzahl ist bei der Mirror Cam also gar nicht notwendig. Ein weiterer Punkt: Die Mirror Cam ist ein zentrales Sicherheitssystem und deshalb auf Zuverlässigkeit ausgelegt. Sie hat erfolgreich alle vorgeschriebenen Zulassungsverfahren absolviert. Ein Smartphone würde hier – Stand heute – scheitern. Falsch eingestellte Spiegel sorgen für Gefahrenpotenzial. Wie ist das bei der Mirror Cam? Für herkömmliche Spiegel gilt die einfache Physik „Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“. Das bedeutet: Immer dann, wenn der Fahrer seine Sitzposition ändert, ändert sich auch der Bereich, den er einsehen kann. Das ist bei der Mirror Cam grundsätzlich anders. Durch die Kamera-Bildschirm-Kombination sieht der Fahrer immer das gleiche Bild – an jeder Sitzposition. Das Sichtfeld lässt sich aber auch individuell über das Türbedienfeld einstellen. Vorteil Mirror Cam: Verschiebt der Fahrer das Sichtfeld so weit, dass die gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr erfüllt sind, erhält er – anders als bei Spiegeln – einen Hinweis im Display. Mit einem langen Druck auf die Funktionstaste ist dann schnell der Standard wiederhergestellt. Wie kommen Brillenträger mit den Displays zurecht, und darf man eine Sonnenbrille tragen? Die Displays der Mirror Cam sind auch für Brillenträger gut ablesbar. Gerade auch, weil der Blick durch die Positionierung an den A-Säulen nicht mehr so weit nach links und rechts schweifen muss, um den rückwärtigen Verkehr in Augenschein zu nehmen. Es kann allerdings sein, dass Brillenträgern die Gewöhnung an die neuen Blickwinkel und Abstände schwerfällt. Dann sollte die erste Frage sein: Passt die Brille noch zu den Augen? Änderungen beim Sehvermögen gehen schleichend vor sich, werden oft zunächst nicht bemerkt und deshalb hingenommen. Dann sind die Probleme von Brillenträgern mit der Mirror Cam in der Regel nicht auf das System, sondern auf eine im Grunde unpassende Brille zurückzuführen. Ob am Schreibtisch oder am Steuer – es gilt: Die Brille muss zum Arbeitsplatz passen. Auch eine Sonnenbrille ist in der Regel kein Problem. Allerdings hängt es stark von der Güte der Sonnenbrille ab, wie sehr sich der optische Eindruck verändert. Eine Sonnenbrille bringt stets Vor- und Nachteile – bei der Nutzung von Spiegeln genauso wie bei der Nutzung der Mirror Cam. Warum tun sich manche Fahrer im ersten Moment schwer, mit der Mirror Cam rückwärts geradeaus zu fahren? Für das Rangieren rückwärts bietet die Mirror Cam zwei Ansichten: Standardmäßig zeigt das große Hauptdisplay dann den Nahbereich des Lkw, der untere Teil das weitere Umfeld. Diese Ansicht bewährt sich vor allem, wenn der Fahrer rückwärts in einer Kurvenbewegung steuert. Setzt er das Fahrzeug allerdings nur gerade zurück, ist es oftmals besser, diese Funktion zu deaktivieren. Das geschieht unkompliziert über eine Taste im Türbedienfeld. Das Rangieren mit Mirror Cam bietet also erweiterte Möglichkeiten im Vergleich zu den Spiegeln. Es erfordert aber auch genau aus diesem Grund etwas Eingewöhnung. Zudem sitzen die Kameras etwas weiter außen als die Spiegel, wodurch gerade beim Zurücksetzen in gerader Linie mehr vom Fahrzeug zu sehen ist als mit Spiegeln. Auch das erfordert etwas Eingewöhnung und zunächst den abwechselnden Blick auf beide Displays. Denn im Vergleich zum herkömmlichen Spiegelsystem haben manche Fahrer beim Rückwärtsfahren nach dem Blick auf nur eines der Mirror Cam-Displays zunächst den subjektiven Eindruck, schräg zu fahren, obwohl sie kerzengerade unterwegs sind. Wie arbeiten Mirror Cam und Abbiege-Assistent zusammen? Der Abbiege-Assistent unterstützt den Fahrer, indem er auf stehende oder sich bewegende Objekte und Personen im Überwachungsbereich rechts vom Lkw aufmerksam macht, wenn eine Kollisionsgefahr droht. Die optische Anzeige dieser Warnungen geschieht über das Display der Mirror Cam. Der Fahrer erhält also alle Informationen gebündelt an einem Ort. Arbeitet die Mirror Cam auch bei ausgeschaltetem Motor? Verbringt der Fahrer seine Ruhepausen im Fahrerhaus, hat er auch bei abgestelltem Motor und zugezogenen Vorhängen die Möglichkeit, das Kamerasystem über Schalter am Bett und auf der Beifahrerseite für zwei Minuten zu aktivieren, so das Fahrzeugumfeld zu sichten und auf verdächtige Aktivitäten am Lkw oder der Ladung aufmerksam zu werden. Ganz automatisch startet das System beim Öffnen der Tür – für ein jederzeit sicheres Verlassen des Fahrzeugs.rod