„Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ (Jules Verne, 1875 in „Die geheimnisvolle Insel“).
Wie so oft, gilt auch hier der Satz: „Es gibt Dinge, die brauchen etwas länger“. Als Jules Verne sich diese Sätze ausdachte, war die Brennstoffzelle bereits seit 30 Jahren erfunden. Genauer gesagt, kam bereits 1838 Christian Friedrich Schönbein, bis Dato Entdecker des Ozons und der Schießbaumwolle, darauf, Wasser durch Anlegen einer Spannung in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen. Die Umkehrung, nämlich aus Wasserstoff und Sauerstoff elektrischen Strom zu erzeugen, gelang zusammen mit Schönbein dem Briten Sir William Grove. Das Duo gilt als Erfinder der Brennstoffzelle.
Warum das Ganze erst Mal eine Zeitlang vor sich hin reifen musste, lag auch an Werner von Siemens. Der erfand in jenen Tagen den elektrischen Generator. Angetrieben von Dampfmaschinen oder Wasserkraft ermöglichte der Dynamo viel einfacher das Gewinnen von elektrischer Energie – die Brennstoffzelle geriet erst mal ins innovative Abseits. Von ein paar Nischenanwendungen in der Raumfahrt einmal abgesehen. Weshalb aber ist die Brennstoffzelle nun plötzlich wieder en vogue? Was kann sie besser als ein Verbrennungsmotor? Das Stichwort heißt: Wasserstoff.
Denn „Brennstoff“ im Sinne des Wortes ist bei der Brennstoffzelle der Wasserstoff (H2). Das Gas ist höchst reaktionsfreudig, kommt in der Natur als reines Molekül aber nicht vor – eben weil es sofort mit irgendetwas anderem eine Bindung eingeht. Trifft das H2-Molekül in der Brennstoffzelle auf eine Elektrolytmembran, die eine Anode und Kathode trennt, passiert, stark vereinfacht dargestellt, folgendes: An der Anode, also dort, wo der Wasserstoff zugeführt wird, verliert der Wasserstoff zwei Elektronen. Als positiv geladenes Proton kann der Wasserstoff die Elektrolytmembran passieren. Auf der anderen Seite der Membran verbindet sich das Proton mit dem Sauerstoff der Luft, und wieder mit den zwei Elektronen, die vorher frei wurden und von der Katode zur Anode flossen (Strom!). Heraus kommt als „Abgas“ reines Wasser und eben ein Stromfluss.
Viele Zellen
Die Spannung, die für einen Stromfluss unabdingbar ist, ist freilich ziemlich klein. Um ein Volt herum. Sollen 800 Volt aus einer Brennstoffzelle generiert werden, kann man sich vorstellen, wie viele solcher Zellen zusammengeschaltet werden müssen, um einen relevanten Stromfluss zu erhalten. Aber das ist bei Lithium-Ionen-Zellen ja nicht anders. Nur spricht man hier von einer Batterie, bei der Brennstoffzelle von „Stacks“ (engl. Stapel), die hier zusammengeschaltet werden.
Den eigentlichen Brennstoff Wasserstoff kann man auf vielerlei Art gewinnen: Die Zerlegung zum Beispiel von Methan oder (Erdgas, CH4) wäre eine Möglichkeit. Als fossiler Brennstoff erzeugen wir damit aber wieder klimaschädliches CO2 – also auch keine Lösung und obendrein ziemlich aufwendig und teuer.
Das Charmante am Energieträger Wasserstoff ist ja, dass man ihn eben durch Elektrolyse aus Wasser gewinnen kann. Dazu braucht man nur eine entsprechende Menge Strom. Wenn dieser Strom „grün“ erzeugt wurde, also aus den regenerativen Quellen Sonne oder Wind, dann haben wir einen klimaneutralen Brennstoff, der – anders als fossile Brennstoffe - zumindest für keine Erhöhung des CO2-Levels sorgt. Umwelttechnisch wäre das also klimaneutral. Weniger praktisch ist im Vorfeld seiner Oxidation (Verbrennung) in der Brennstoffzelle die extrem hohe Reaktivität des Wasserstoffs. Das Molekül ist klein und durchdringt (diffundiert) sogar Stahlflaschen. Die komplette Verflüchtigung ist dabei nur eine Frage der Zeit.
Bereits in Transport 8/2020 haben wir aufgezeigt, wo die Grenzen für batteriebetriebe E-Trucks liegen. Eine Reichweite jenseits von 200 Kilometern ist derzeit nur mit einem ungebührlich schweren Batteriepack zu bewerkstelligen. Und das muss ja auch seinen Platz im Fahrzeug finden. Dieses so genannte „Packaging“ und das hohe Gewicht sind also die Faktoren, die den Einsatz von Batterie als Energiespender im schweren Lkw begrenzen. Nur ein Beispiel: Ein „Kraftstoff“-Vorrat für 1.000 Kilometer Reichweite würde als Lithium-Ionen-Batterie derzeit alleine um die zehn Tonnen wiegen. Da wird’s eng mit der Nutzlast: Sie halbiert sich praktisch, bei, sagen wir, gängigen 35 Tonnen Gesamtgewicht. Für den schweren Fernverkehr ist die Batterie als Energiespeicher also keine Option. Die Brennstoffzelle dagegen schon: Ihr genügen 80 bis 100 Kilo Wasserstoff um unter gleichen Voraussetzungen 1.000 Kilometer weit zu kommen. Wie viel aber sind zum Beispiel 80 Kilo Wasserstoff? Zur Veranschaulichung helfen die derzeit verfügbaren Gas-„Flaschen“, wie sie aktuell in den ersten Lkw-Prototypen von Horizon, Nikola, Hyundai oder Toyota eingebaut werden. Eigentlich sind das keine Gasflaschen sondern mit Kohlefasern verstärkte, zylindrische Gasbehälter, die nicht nur viel „dichter“ als eine herkömmliche Stahlflasche sind, sondern auch noch wesentlich leichter und gleichzeitig crash-fester. In einen solchen Tank passen etwa acht Kilo H2 unter 700 bar Druck. Das klingt nicht gerade nach viel. Aber die Energiedichte macht’s: Während ein Kilo Diesel knapp 12 kWh pro kg liefert, leistet ein kg H2 fast das Dreifache: nämlich 33,3 kWh/kg. Bei einem schweren Lkw um die 35 Tonnen Gesamtgewicht geht man derzeit davon aus, dass mit acht bis zehn Kilo Wasserstoff rund 100 Kilometer Reichweite machbar sind.
Wohin mit den Tanks?
Nun ist so ein wurstförmiger Gastank fast so lang wie ein Lkw breit – nämlich gut zwei Meter. Sechs solcher Tanks quer und übereinander gestapelt passen gerade hinter die 2,5 Meter breite Kabine eines schweren Lkw. Mit so einer „Sechser-Bank“ lassen sich also 48 Kilo H2 speichern, gut für 500 bis 600 Kilometer Reichweite. Zwei dieser Bänke hintereinander montiert ergeben also gut 1.000 Kilometer Reichweite, kosten aber rund 90 Zentimeter Baulänge (eine Bank 45 Zentimeter) - das entspricht dem Platzbedarf der Schlafkabine einer Fernverkehrs-Kabine.
Nun fällt dieser raumgreifende H2-Tank bei Ami-Haubern à la Nikola One oder Two nicht besonders auf. US-Trucks unterliegen anderen Längen-Regulierungen. Da muss man nicht auf die Bettstatt im „Sleeper“ verzichten, da wird die Zugmaschine einfach entsprechend länger gebaut.
In europäischen Maßstäben gedacht, stellt das Packaging für bereits 1.000 Kilometer Reichweite jedoch ein ziemliches Problem dar. Die Längen für Zugmaschinen und Sattel- und Anhänger-Kombinationen sind EU-weit eindeutig definiert. Platz für eine oder zwei Wasserstoff-Bänke ist da nicht vorgesehen. Dann packen wir die Tanks eben ins Chassis? – Da ist doch genug Platz! Von wegen: Unter der Kabine fordern die Brennstoffzelle selbst, die Leistungs-Elektronik, Kühl-Equipment und Pufferbatterien so viel Bauraum, wie heute ein zwölf Liter großer Diesel plus Getriebe und Nebenaggregaten. Und da gehen wir schon von radnah installierten E-Motoren an, oder besser in, der Hinterachse aus.
Bei aller Euphorie, mit der uns Iveco und Nikola die Studie „Nikola Tre“ auf Basis des europäisch konzipierten Iveco S-Way schmackhaft machen wollten. Die Fakten sagen: Wir haben hier ein Platzproblem. Es wunderte mich zum Beispiel bei der Vorstellung des Nikola Tre letztes Jahr in Turin überhaupt nicht, dass da kein fahrbereiter Prototyp vor uns stand, sondern ein ausgeweideter, seines Antriebsstranges beraubter S-Way, das Chassis camoufliert mit eilig angespaxten Spanplatten, damit das hohle Elend unter der digitalisierten High-Tech-Kabine nicht allzu offensichtlich wurde.
Liefertermin?
Aber es gibt doch so tolle Fotos vom fahrenden Nikola-Tre oder dem „Hyzon“ von Horizon? Alles Fake-News? Hyzon, die Lkw-Marke des US-Brennstoffzellen-Spezialisten Horizon, verspricht vollmundig bis zu 370 kW starke Brennstoffzellen-Lkw für bis zu 80 Tonnen Gesamtgewicht. Bestellungen könnten sofort unterschrieben werden. Liefertermin? Man weiß es nicht. Deutlich geerdeter gibt sich Hyundai mit seinem Fuel Cell Truck der schweren Excient-Reihe der Tochter Hyundai Hydrogen Mobility (HHM). Zusammen mit der Schweizer Auto AG Trucks starteten die Koreaner im Februar diesen Jahres einen ersten Testlauf mit einem Truck. Ziel: Bis 2025 sollen 1.600 Fuel-Cell-Excient in der Schweiz laufen.
Auch die Frage, wo der Wasserstoff und die Tankstellen dafür herkommen sollen, beantwortet das Schweizer Projekt: Ein Konsortium aus Alpiq, H2 Energy und Linde will sich um grünen Strom aus Wasserkraft und ein hinreichend dichtes Tankstellen-netz kümmern.
Auch die Strategen von Nikola haben hier ziemlich konkrete Vorstellungen, wenn auch mit einem überaus ambitionierten, wohl kaum einzuhaltenden Zeitplan. Bis 2028 will man die USA mit mindestens 700 Wasserstoff-Tankstellen für Trucks überziehen. Das Konzept der Nikola-Tankstellen klingt schlüssig: Um Wasserstoff-Transporte mit dem Lkw zu vermeiden, sollen dezentrale, kleine Stationen aufgebaut werden, die den Wasserstoff vor Ort mit grünem Strom erzeugen, speichern, verdichten und für die Betankung mit 700 bar bereitstellen. Die erste Muster-Station mit acht Tonnen Tageskapazität soll bereits heuer in Phoenix/Arizona in Betrieb gehen. Die technischen Eckdaten einer solchen Station liefert Nikola gleich mit: Den Landbedarf pro Station schätzen die Amis auf drei bis vier Hektar für Solar-Paneele oder Windmühlen, etwa 75.000 Liter Wasser werden dann für zirka acht Tonnen Wasserstoff hydrolytisch pro Tag aufgespalten (Anmerkung von Nikola: Um eine entsprechende Menge Benzin zu erzeugen, würden 17.000 Liter Wasser „verbraucht“). Die täglichen acht Tonnen H2 würden sich dann auf sieben Tonnen für Trucks aufteilen, eine Tonne könnte man für Pkw bereithalten. Das reiche pro Tag für die Versorgung von rund 160 Trucks und 200 Pkw.
Ambitionierte Pläne also, manches davon gar nicht so weit weg von der Realität. Zu befürchten ist jedoch, dass Corona diese Pläne vor allem in den USA zeitlich und finanziell ganz weit nach hinten wirft. Dennoch: Die Idee mit der Wasserstoff-Erzeugung am Ort der Tankstelle ist bestechend, vermeidet sie doch problematische H2-Transporte per Lkw. Jetzt brauchen wir nur noch genügend Wasser, grünen Strom und deutlich mehr Platz am Lkw für den Wasserstoff-Tank.
Eigentlich wäre der Wasserstoff-Hype im Grunde mehr, die Grundkonstruktion des Lkw endlich komplett neu zu denken. Die Chance wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vertan. Denn bis dazu neue Maße und Gewicht das Nadelöhr EU-Parlament passieren, dauert es vermutlich bis zum St.-Nimmerleins-Tag. rod
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