„Es gibt keinen Königsweg“

Lars Martensson, bei Volvo Trucks Direktor für Umwelt und Innovation, gibt Einblicke in die Welt der alternativen Kraftstoffe in Schweden und Skandinavien. Verestertes Rapsöl, HVO, E-Fuels oder Bio-Methan: Auch Schweden sucht Wege, um ohne fossile Brennstoffe wie Diesel, CNG oder LNG auszukommen.

Lars Martensson (li.), Director Environment and Innovation bei Volvo Trucks sprach mit Transport-Redakteur Robert Domina, Ressortleiter Test & Technik, inmitten geschichtsträchtiger Aggregate im Magazin des Volvo-Museums in Göteborg. Bild: Thomas Tschakert
Lars Martensson (li.), Director Environment and Innovation bei Volvo Trucks sprach mit Transport-Redakteur Robert Domina, Ressortleiter Test & Technik, inmitten geschichtsträchtiger Aggregate im Magazin des Volvo-Museums in Göteborg. Bild: Thomas Tschakert
Redaktion (allg.)

Wie ist der Markt von CNG- und LNG-Treibstoffen in Schweden und Skandinavien derzeit aufgestellt? Lars Martensson: Etwas generalisiert können wir das auf die skandinavischen Länder runterbrechen: Obwohl der Fokus im CNG-Bereich stark auf Biogas gerichtet ist, glauben wir, dass LNG viele Pluspunkte bietet. Die Kunden wünschen sich gleichwohl Biogas, das ist erste Wahl, wenn es um alternative Treibstoffe geht. Beides ist ja Methan. Heißt das, dass Volvo Trucks sich für LNG entschieden hat? Nein, das kann man so nicht sagen. Lassen Sie mich erst mal die Begriffe klären. LNG ist stets und per Definition das fossile Erdgas. Dann haben wir Bio-LNG, das auch „verflüssigtes Bio-Methan“ oder einfach „verflüssigtes Biogas“ genannt wird. Unsere Motoren können beides verbrennen, ob Bio oder Fossil macht keinen Unterschied. Chemisch gesehen ist beides dasselbe? Nein, nicht hundertprozentig. Beide Gase bestehen nicht ausschließlich aus Methan. Wir haben in geringen Anteilen auch Propan und Butan– das ist stark abhängig von der Quelle. Der Reinheitsgrad, was Methan betrifft, ist bei Bio-Gas höher. Beeinflusst der Reinheitsgrad des Gases die Funktion des Motors? Bei den Euro-V-Motoren war das tatsächlich ein Thema. Da mussten wir zum Teil Anpassungen entsprechend des Methan-Gehaltes vornehmen. Aber seit Euro V ist das kein Thema mehr. Ob das Gas nun aus Russland, Norwegen oder sonst wo her kommt spielt keine Rolle mehr, ebenso ob es sich um Bio-Gas handelt. Das ist die Stärke unseres LNG-Antriebs: Wir können alle Qualitäten tanken – kein Problem.Lassen Sie uns über die CO2-Thematik sprechen: Wie groß sind die Anteile Bio-Gas zu fossilem Gas in Schweden? Bei CNG tanken wir hier in Schweden zu 90 bis 95 Prozent Bio-CNG. Das basiert, wie schon vorhin erwähnt, auf den Wünschen der Kunden, die akzeptieren nur CNG aus nicht-fossilen Quellen. Der Grund dafür liegt in einer grundsätzlichen Ablehnung von Erdgas als fossiler Energieträger. Fossiles Erdgas wirkt als Treibhausgas und hat nun mal so gut wie keinen Einfluss auf eine CO2-Minderung, was das Abgas angeht. Das ist der Grund warum Skandinavien so viel in die Herstellung von Biogas als Treibstoff investiert hat – jedenfalls im Vergleich zu anderen Ländern.Hand aufs Herz: Wenn wir jetzt tanken müssten, wie viele LNG-Tankstellen fänden wir in der Umgebung und in Göteborg? LNG-Tankstellen haben wir hier derzeit nur eine, eine zweite sollte bald dazukommen, ganz hier in der Nähe in diesem Industriegebiet. Die bestehende Tankstelle kann auch Bio-LNG, sofern verfügbar. Das verflüssigte Biogas kommt per Lkw aus einer Anlage etwa 80 Kilometer von hier. Dort werden Abfälle aus der Nahrungs-Produktion zu Bio-Gas umgewandelt. Mittlerweile gibt es zwei weitere Anlagen, die Bio-Gas produzieren. In einer ihrer Präsentationen erwähnten sie, dass der Anteil von Bio-Gas in Schweden mehr als 90 Prozent betrage. Dürfen wir das jetzt so verstehen, dass sich diese ‚mehr als 90 Prozent‘ auf CNG beziehen und nicht auf das Angebot von LNG? Mehr als 90 Prozent bezog sich hier tatsächlich auf CNG. Das könnte hierzulande genauso gut für LNG gelten. Aber: Die Verfügbarkeit von Biogas ist eben begrenzt, trotz der eben erwähnten Anlagen. Wir haben auch ein Schiff in der Region, das einen Großteil dieser verflüssigten Kapazität für sich beansprucht. Wie gesagt: Die Verfügbarkeit von Bio-LNG ist zurzeit noch sehr begrenzt.Das heißt also, dass der ebenfalls auf LNG umstellende Schiffsverkehr in Sachen Treibstoff ein echter Konkurrent zum Lkw ist? Ja, da gibt es zwei Aspekte: Der eine betrifft die Schwefelreduktion durch den Betrieb mit Schwerölen. Die Schifffahrt macht hier gerade einen Riesen-Sprung indem sie versucht, von Schweröl auf LNG oder Bio-LNG umzustellen und dabei den Schritt über das Leichtöl oder den normalen Diesel komplett überspringt. Noch sind das nicht allzu viele, die das aus Imagegründen vorantreiben, aber bei der geringen Verfügbarkeit ist das doch spürbar. Das eigentliche Problem bei Bio-LNG sind nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch die Produktionskosten.Warum ist die Produktion von Bio-Methan – egal ob als CNG oder LNG – so kostenintensiv? Da gibt es zwei wichtige Punkte: Das eine ist der Maßstab. Traditionell begann zum Beispiel auch die Stadt Göteborg mit der Gewinnung von Methan aus Abwässern in den Kläranlagen. Das wurde dann in den kommunalen Bussen und Fahrzeugen verbrannt – eine sehr lokale Geschichte also. Jetzt passiert aber Folgendes: Diese Fahrzeuge werden zunehmend durch Elektrofahrzeuge ersetzt. Dadurch schrumpft derzeit sogar der Markt für CNG-Erdgas und es werden Kapazitäten frei. Viele Kommunen stehen deshalb vor dem Dilemma, wie sie ihr weiterhin anfallendes Biogas vermarkten können. Das hat sich also gewandelt. Das Verflüssigen von Methan, aus welcher Quelle auch immer, ist sehr teuer. Was glauben Sie: Spiegelt der Preis von einem Euro für ein Kilo LNG den wahren Marktpreis wider oder ist dieser Preis mehr oder weniger ein künstlicher? Glauben Sie, dass wir für diesen Preis auch hierzulande und vor Ort Bio-LNG produzieren könnten? Schwierige Frage. Mit den heutigen Technologien könnten wir die Kosten natürlich reduzieren, wenn wir den Maßstab der Gewinnung deutlich vergrößern. Aber die Frage ist nicht: Was ist heute? Sondern: Was passiert bis, sagen wir 2035, wenn wir sehr drastische CO2-Reduzierungen vorweisen müssen? Wenn bis dahin der Konkurrent nach wie vor Diesel ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass Biogas konkurrenzfähig sein wird, auch gegenüber fossilem Erdgas. Wenn wir auch, wie in der EU beschlossen, in absehbarer Zeit CO2-neutral agieren müssen, werden wir um mehr und günstig erzeugtes Bio-Methan nicht herumkommen – als erste Wahl. Klar: auch fossiles Erdgas ist auf Grund seiner chemischen Struktur in Sachen CO2 etwas günstiger als Diesel. Dennoch: Bio-Gas ist praktisch CO2-neutral. Sehr kleinteilige Anlagen etwa wie in der Landwirtschaft sind hier schon ein sehr interessanter Lösungsansatz. Schließlich hat die Landwirtschaft einen großen Anteil an Treibhausgas-Emissionen. Biogas wird uns also auch in Zukunft vielversprechende Ansätze bieten, zumal durch den schrittweisen Ersatz von Gas-Antrieben durch E-Antriebe im leichten Sektor mehr Bio-LNG für schwerere Anwendungen zur Verfügung stehen wird.Wie weit ist man mit synthetischem Diesel? Hier reden wir über E-Fuels, die mit Hilfe von CO2-neutralem Strom aufgebaut werden. Also durch Aufspaltung von Wasser. Der gewonnene Wasserstoff kann dann wieder zu langen Molekülen mit CO2 aus der Luft zusammengebaut werden. Die Crux: Das ist nicht sehr effizient und außerdem ziemlich teuer. Gleichwohl könnte es mit sinkenden Preisen für nachhaltig erzeugten Strom durchaus eine Chance für E-Fuels geben. Denken wir an den Flugverkehr, werden wir für schwere Flugzeuge um diese nicht-fossilen Verbrennungs-Treibstoffe nicht herumkommen. Aber: Für die Kurzstrecke, etwa Göteborg – Stockholm, werden bereits E-Flugzeuge angedacht.Was glauben Sie: Welche Antriebsarten werden für den schweren Fernverkehr in Europa, sagen wir für die nächsten 25 Jahre, in Frage kommen? Für die City-Distribution und regionale Verkehre haben wir ja bereits vollelektrische Lösungen. Aber wir werden einen starken Anstieg Richtung E-Antriebe sehen. Diese Linie schneidet irgendwann die Diesel-Linie. Ab diesem Punkt herrscht ein Gleichgewicht zwischen E-Antrieben und Verbrennern. Dennoch wird ein Markt für Verbrennungsmaschinen bestehen bleiben. Allerdings werden diese Motoren nicht mehr mit fossilen, sondern mit Bio-Treibstoffen arbeiten. Bereits für 2030 rechnen wir zum Beispiel mit 20 Prozent Bio-LNG und drei Prozent HVO im Markt, Das ist das derzeitige, theoretische Potenzial, das in Europa produktionstechnisch möglich ist. Wir rechnen mit beiden Möglichkeiten, weil sie das höchste Potenzial haben. Bio-Gas hat dabei sicher ein höheres Potenzial als HVO. Für die Zukunft wird also entscheidend sein, wie viel Biogas wir erzeugen können.Zum Thema Wasserstoff: Wenn wir an die grüne Erzeugung von Wasserstoff durch Hydrolyse denken. Wäre es nicht einfacher, statt über die Brennstoffzelle den Wasserstoff direkt in einem Verbrennungsmotor zu nutzen? Auch wir haben jahrzehntelange Erfahrung auf diesem Gebiet. Wenn es um die Verbrennung von reinem Wasserstoff geht, ist jedoch die Brennstoffzelle vielversprechender. Aber dazu brauchen Sie eine teure Brennstoffzelle und immer noch etwas Batteriekapazität als Puffer… Klar, das sind natürlich die Herausforderungen. Aber wenn wir die Energie-Effizienz, also den Wirkungsgrad mit einbeziehen, gewinnt eindeutig die Brennstoffzelle. Kostenseitig ist heute der Verbrenner natürlich billiger als die Brennstoffzelle und auch in Sachen Haltbarkeit. Das wird sich in naher Zukunft aber drehen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, in einem vorgeschalteten Konverter zum Beispiel Bio-Gas in Wasserstoff für die Brennstoffzelle umzuwandeln. Für kleinere Trucks-Anwendungen wie etwa Standheizung oder Klimaanlage im Stillstand haben wir das sogar schon mit Diesel gemacht. Das ist natürlich nur ein kleiner Maßstab aber es funktioniert.Ist die Brennstoffzelle vom Wirkungsgrad her wirklich so viel besser als ein moderner Wasserstoff- oder Diesel-Verbrennungsmotor mit, sagen wir 40 Prozent thermischem Wirkungsrad? Aber ja. Da reden wir mindestens vom doppelten Wirkungsgrad! Jedenfalls wenn wir „engine to wheel“ betrachten. „Well to wheel“, also von der Quelle bis zum Rad ist das natürlich weniger. Bis wir das alles im Truck haben, schaut die Sache sicher etwas anders aus. Von der Quelle bis zum Rad sprechen wir zum Beispiel bei Diesel von nur noch 35 Prozent effektivem Wirkungsgrad. Hundertprozentig sicher ist heute nur, dass ab einem bestimmten Punkt in der Zukunft nur mehr regenerative Treibstoffe in Frage kommen, der Anteil an Verbrennungsmotoren wird abnehmen, der von E-Motoren zunehmen. Außerdem sind wir sicher, dass wir in naher Zukunft für den Schwerverkehr Bio-Kraftstoffe darstellen können. Wir haben die Motoren dafür, insbesondere für LNG und Bio-LNG. Für Bio-Gas sehen wir derzeit auch vom Produktionsvolumen her europaweit das größte Potenzial.Aus ihrer Sicht ist also die LNG-Technik für den europaweiten Fernverkehr zukunftsfähig? Ja, absolut. Aber es gibt da viel Wenn und Aber. Die Chancen sind stark abhängig von der Verfügbarkeit von nachhaltig erzeugtem Bio-Gas, ob nun als CNG oder LNG. Das betrifft ja nicht nur die Anwendung im Truck, auch andere Verwendungen, etwa für die Stromerzeugung, sind ebenfalls interessant. Wenn man genug Bio-Gas hat… Klar. Denn der größte Unsicherheitsfaktor ist die Zeit. Wie schnell kann das funktionieren? Und es braucht Unterstützung durch neue Infrastrukturen. Nehmen Sie nur die elektrischen Versorgungsnetze. Ist das alles stark genug ausgelegt? Das braucht Zeit. Und bis dahin ist der Verbrenner, der nachhaltige Kraftstoffe verarbeiten kann, eine gute Zwischenlösung. Wenn wir bis 2025 eine CO2-Reduzierung von 15 Prozent und bis 2030 von 30 Prozent hinbekommen wollen, kommen wir ohne E-Trucks nicht aus. E-Trucks decken aber momentan nur einen relativ überschaubaren Einsatzzweck ab. Immerhin: Im schweren und gleichzeitig größten Segment Fernverkehr erreichen wir sogar mit fossilem LNG eine 20prozentige CO2-Minderung. Die 20 Prozent CO2-Minderung mögen für die Volvo-LNG-Trucks mit HPO-Verfahren zutreffen, das haben wir in unseren Tests sogar bestätigen können. Für andere Hersteller, die das Otto-Brenn-Verfahren anwenden, stimmt das nicht. Hier ist der CO2-Einspar-Effekt wegen des systembedingt höheren Verbrauchs praktisch null. Ich kenne nur zwei Studien, die für das Otto-Verfahren in der Tat andere, weit niedrigere Zahlen nennen. Eine der Studien stammt von Transport & Environment, einer europäischen Nicht-Regierungs-Organisation. Der Lkw kommt hier ganz allgemein nicht besonders positiv weg, die Motoren mit Otto-Verfahren schneiden hier sogar besonders schlecht ab. Aber lassen sie mich eines dazu feststellen: Neulich behauptete wieder ein selbst ernannter Diät-Guru im Fernsehen, dass sein Weg zur Gewichtsabnahme der einzige Weg sei, der zum Erfolg führt. Genauso wie ich dieser Aussage nicht traue, verhält es sich bei den Antriebskonzepten der Zukunft. Es gibt keinen Königsweg. Ob E-Motor, Wasserstoff plus Brennstoffzelle, E-Fuels oder Bio-Gas: Im Transport-Sektor gibt es für alle Arten den richtigen Einsatz. Und das ist doch schließlich unsere Aufgabe: Die beste Lösung zu finden für diese oder jene Art von Transport.Das Interview führte -Redakteur Robert Domina