Fast wie von Geisterhand

Der 3D-Drucker könnte das Ersatzteilgeschäft für Nutzfahrzeuge grundlegend verändern. Einer der Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Daimler AG.

Ralf Anderhofstadt leitet den Bereich 3D-Druck bei Daimler. Bild: Claus Bünnagel
Ralf Anderhofstadt leitet den Bereich 3D-Druck bei Daimler. Bild: Claus Bünnagel
Claus Bünnagel

Der Vorgang ist faszinierend: Schicht für Schicht entsteht beim selektiven Lasersintern (SLS) aus einem Pulver, in diesem Fall Polyamid, eine räumliche Struktur. Wir konnten diesem additiven Fertigungsverfahren bei einer Vorführung im ErsatzteilLogistik-Center (ELC) von Daimler Buses in Neu-Ulm beiwohnen. Hier wird die neue Technik bereits angewendet.

Mit zwei Experten des Schweizer 3D-Drucker-Herstellers Sintratec, CTO Christian von Burg und Marketing- und Vertriebschef Gabor Koppanyi, hatten wir zudem die passenden Ansprechpartner. An ihrem Modell S2 erklärten sie die Funktionsweise eines Lasersinters. Dabei werden im Powder-Bed-Verfahren zirca 0,1 Millimeter dicke Schichten aufgetragen, bis knapp unter den Schmelzpunkt aufgeheizt, bevor mit dem Laser ein Querschnittsprofil eingetragen werden kann. Dann wird die nächste Schicht aufgetragen, bis das gewünschte Produkt entstanden ist. Durch die Wirkung der Laserstrahlen können beliebige dreidimensionale Geometrien auch mit Hinterschneidungen erzeugt werden, z.B. Ersatzteile, die sich in konventioneller mechanischer oder gießtechnischer Fertigung nicht herstellen lassen. Diese Artikel sind zudem noch stabiler als herkömmliche Bauteile, da es sich beim 3D-Druck um einen Schweißprozess auf mikroskopischer Ebene handelt.

Mit der neuen Technik ergeben sich für einen Fahrzeughersteller wie Daimler ganz neue Möglichkeiten, wie Ralf Anderhofstadt, der den Bereich 3D-Druck bei Daimler leitet, berichtet. So ließen sich an die Natur angelehnte bionische Designs und Leichtbauprodukte entwickeln. Benötige man heute bei bestimmten Baugruppen noch verschiedene Einzelteile, könnten sie dank 3D-Druck künftig zu einem einzigen Produkt zusammengefügt werden.

Den größten Vorteil sieht Anderhofstadt in der Eigenfertigung. Denn Ziel von Daimler ist es kurz- bis mittelfristig, Ersatzteile vor Ort im Servicestützpunkt zu drucken. Aderhofstadt: „Das ist ein großer Wandel für einen physischen Hersteller wie Daimler hin zum digitalen Geschäft.“ Die Zentrale liefert dabei nämlich nur die jeweils notwendigen Daten, also Software statt Hardware. Der Fahrzeugbauer wird so zum Verkäufer von Drucklizenzen. „Ich bin sicher, in wenigen Jahren drucken Servicestützpunkte vom Busworld Home bis zum Servicepoint Originalersatzteile. Das ist die Vision“, ist der Daimler-Manager überzeugt.

Es wird deutlich schneller

Denn die Vorteile liegen auf der Hand. Für die Herstellung von Spritzgussformen vergeht oft ein ganzer Monat. Um beim 3D-Druck eine CAD/CAx-Konstruktion als Ausgangsbasis für eine digitale Prozesskette anzufertigen, sind lediglich vier bis fünf Arbeitstage nötig. Der Druckprozess konnte ebenfalls deutlich verkürzt werden – auf einen Zeitraum von wenigen Stunden. Drucken könnten allerdings viele, Sicherheit sei aber ebenso wichtig: „Wir kennzeichnen jedes Teil mit einem Branding in Form eines Mercedes-Sterns und einer Produktnummer. Das ist oft nur für das geschulte Auge sichtbar oder bei einer speziellen Untersuchung im CT-Röntgengerät“, so Anderhofstadt.

Mit dem 3D-Druck kann die Bussparte im Daimler-Konzern schnell, flexibel, wirtschaftlich und umweltfreundlich auf dringende Kundenbedarfe reagieren, so beispielsweise bei selten benötigten Teilen oder Kundensonderwünschen. Darunter fallen Abdeckungen, Abstandshalter, Blenden und Griffe über Kabelkanäle oder Sitzlehnen bis hin zu diversen individuellen Haltern – und das jederzeit in Originalqualität und zu günstigen Produktionskosten.

Vorbild für das Daimler-Team ist der Aerospace-Bereich etwa von Boeing oder Airbus. „Allerdings sind die dort gedruckten Teile zu kostspielig für den Automotive-Einsatz, da wir hier keine 99 Prozent lunkerfreie Qualität in der Fertigung benötigen“, erklärt Anderhofstadt. Bei Straßenfahrzeugen seien 95 Prozent völlig ausreichend, ergänzt er. Lunker sind unerwünschte Hohlräume bei gegossenen oder in diesem Fall gedruckten Teilen. Die Qualität sei bereits heute beachtlich:Anderhofstadt: „Wir erfüllen die gleichen Anforderungen wie Spritzguss- oder Tiefziehteile.“ Statt mehrere Monate dauert die Produktion und Auslieferung eines 3D-Druckteils mittlerweile nur ein paar Tage. Zudem entsteht durch diese Fertigungstechnologie deutlich weniger Abfall, und das nicht verwendete Material kann für den nächsten Vorgang sofort weiterverwendet werden.

Im Einsatz sind heute bereits komplexe, nicht sicherheitsrelevante 3D-Druck-Bauteile im Omnibusinnenraum, die sich bislang als Tiefziehteile aus mehreren Einzelkomponenten zusammensetzten und das Vorhalten vieler aufwendiger Werkzeuge erforderten. Darüber hinaus werden derzeit vom „Center of Competence 3D-Printing“ mehr als 317.000 aktuelle Omnibusersatzteile eingehend auf ihre Eignung als Druckteile untersucht. Cirka 600 sind bis dato im „digitalen Lager“ archiviert – rund 200 davon bereits umgesetzt worden, so Anderhofstadt. Bisher wurden die entsprechenden 3D-Teile von externen Dienstleistern nach spezifizierten Qualitätsvorgaben produziert. Nun sollen im nächsten Schritt circa 1.000 Standardteile für den 3D-Druck vorbereitet werden. 15.000 weitere könnten im Rahmen von Kundensonderwünschen (KSW) in Frage kommen.

Denn Daimler Buses möchte das Geschäftsmodell konsequent weiter ausbauen. Ziel ist es, die Wertschöpfungskette der einzelnen Produktionsbereiche umzugestalten und hieraus ein neues Geschäftsmodell abzuleiten. Hierzu zählen neben verschiedenen notwendigen Digitalisierungsschritten die Einführung von großserientauglichen Freigabeprozessen und zahlreichen Produkttests bis hin zum Aufbau eines deutlich umfangreicheren „digitalen Lagers“ mit 3D-Druckdaten, die dann über das Omniplus On-Portal im Bereich „commerce“ erworben und abgerufen werden können. Statt einfach wie bisher Ersatzteile zu kaufen, erwirbt der Kunde hier eine Drucklizenz, die er dann von den hochwertigen Druckern in den Omniplus-Druckzentren umsetzen lassen kann.

Zudem arbeitet das für das Projekt zuständige „Center of Competence“ daran, die zumeist pulverförmigen Ausgangsmaterialien für den Druck weiter zu optimieren, so dass diese die Anforderungen zukünftiger gesetzlicher Vorgaben erreichen. Schon heute erfüllen die 3D-Druckteile die verschärfte Richtlinie ECE R 118.03 für feuerfeste Innenraummaterialien innerhalb der Personenbeförderung und bieten alle notwendigen Zertifikate.

Es können im 3D-Druckverfahren nicht nur Kunststoff-, sondern mittlerweile auch mehr als zehn Metallteile mit den notwendigen Freigaben zur Verwendung in Kraftfahrzeugen gefertigt werden. Es handelt sich dabei bislang ausschließlich um nicht sicherheitsrelevante Anbauelemente wie Aufhängungen oder die Halterung einer Abgasanlage für einen Sprinter.

Diese Druckteile sind teilweise sogar noch stabiler als konventionelle Metallbauteile, da es sich beim 3D-Druck wie beschrieben um einen Schweißprozess auf mikroskopischer Ebene handelt. Heute lassen sich so theoretisch bereits Schrauben optimiert produzieren, da die Druckteile konzeptbedingt praktisch keine unerwünschten Lunker enthalten und so strukturell noch fester als konventionelle Teile sind. Erste Anwendungen befinden sich bereits in Erprobung und sind vielversprechend.

Nach Kundenwunsch

Ab Mitte 2020 liefert Omniplus als 3D-Druck auch individualisierte Innenraumdekorteile nach Kundenwunsch als Nachrüstset. Seien es Griffeinleger oder seitliche Abdeckungen für den Reisebussitz, hochwertige Dekorteile für die Klapptische oder auffällige Kundenlogos für den Einstiegsbereich. Diese Teile können mit eigenen Dekors und Grafiken gestaltet und in unterschiedlichen Oberflächen – zum Beispiel genarbt, glatt oder in weiteren Alternativen – bestellt werden.

Die Abwicklung erfolgt zukünftig über den Omniplus eShop im On-Portal, wo die Customizing-Daten direkt hochgeladen werden können. Die Teile können dann von der Werkstatt ganz einfach selbst getauscht werden. So werden die Vorteile der neuen 3D-Druck-Technologie ganz konkret greifbar.

Gleichzeitig gilt es, geeignete 3D-Drucker für die Ersatzteilproduktion zu finden. „Der Markt ist diesbezüglich momentan in starker Bewegung“, bemerkt der Daimler-Projektleiter. Kunststoffdrucker gäbe es innerhalb einer Preisspanne von 200.000 bis 600.000 Euro. Für Metalldrucker müssten 500.000 bis zu zwei Millionen Euro kalkuliert werden. Ein Gerät auf Pulverbettbasis ist zu Ausbildungszwecken angeschafft worden. Es wird bereits aktuell im Rahmen von Studien- und Ausbildungslehrgängen genutzt. Denn die beste Technik nützt natürlich nichts, wenn es kein qualifiziertes Personal für die Bedienung gibt.

Trotz der hohen Kosten für die Geräte: Der 3D-Druck wird künftig Werkzeugkosten sparen, Lagerbestände reduzieren und Mindestabnahmemengen für die Servicepartner überflüssig machen. Vor allem Ersatzteile für nicht mehr aktuelle Baureihen können günstiger hergestellt werden. Deren Produktion ist bislang meist unwirtschaftlich, weil Anlagen und Werkzeuge lange Zeit vorgehalten und gewartet werden müssen.Claus Bünnagel