NUFAM: Im Nutzfahrzeugbereich ist noch viel zu tun
Herr Minister Hermann, welche Impulse erwartet der baden-württembergische Verkehrsminister als Schirmherr der Nutzfahrzeugmesse von der NUFAM 2021?
Der Güterverkehr auf der Straße verursacht in der Gesamtbetrachtung deutlich mehr Emissionen als Verkehre auf der Schiene beziehungsweise auf der Wasserstraße. Dies stellt uns vor große Herausforderungen. Denn es geht auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche. Wir wollen Baden-Württemberg zum technologieoffenen, weltweiten Vorreiter für klimaneutrale Antriebe, autonomes Fahren und digitale Vernetzung machen. Die Verkehrswende kann das Land aber nicht alleine stemmen. Wir setzen auf Ihre Unterstützung, die Unterstützung von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Die NUFAM bietet hier die ideale Voraussetzung als Treffpunkt für fachlichen Austausch und das Vorstellen nachhaltiger Mobilitätskonzepte und neuer, nachhaltiger Produkte.
Welche Maßnahmen und Projekte verfolgt Ihr Ministerium dabei gegenwärtig im Rahmen des Verkehrsmanagements, um die Verkehrsflusssteuerung zu optimieren und Staus mit unnötigen Umweltbelastungen durch Schadstoffe zu vermeiden beziehungsweise zu verringern?
Staus entstehen entweder durch Überlastung der Straße, Unfälle oder Baustellen. Deshalb besteht in allen drei Feldern Handlungsbedarf. Mit technischen Einrichtungen an der Straße, so genannten Verkehrsbeeinflussungsanlagen, kann ein gewisser Beitrag zur Stauvermeidung geleistet werden. Hier denke ich an Fahrtroutenumleitungen durch Netzbeeinflussung und die zeitlich befristete Freigabe des Seitenstreifens oder temporäre Geschwindigkeitsabsenkungen im Zuge von Streckenbeeinflussungsanlagen. Die Technologie ist allerdings vorrangig auf Autobahnen, das heißt seit Jahresbeginn in der alleinigen Verantwortung des Bundes und lediglich an einzelnen autobahnähnlichen Bundesstraßen, im Einsatz.
Welche Optionen bestehen jenseits von Bundesstraßen und Autobahnen?
An ausgewählten Strecken mit mehreren aufeinanderfolgenden Lichtsignalanlagen (Ampeln) sollen digitale Optimierungen dazu beitragen, dass ein flüssiger Verkehr ermöglicht wird. Ebenso wird in einem Modellprojekt die zentrale Aufschaltung der Ampeln in einer regionalen Dimension unter anderem mit dem Ziel verfolgt, Umleitungsverkehre bestmöglich nach strategischen Gesichtspunkten zu bewältigen. Wir bauen gerade die Mobilitätszentrale Baden-Württemberg auf. Damit wollen wir Verkehrsdaten zusammenführen und zur Verkehrssteuerung nutzen.
Der für alle ärgerlichen Überlastung der Straßen muss durch Verlagerung auf Schiene und Wasser entgegengewirkt werden. Das ist auch klimapolitisch geboten. Hier bestehen große Potenziale, die mein Haus im Rahmen unseres Güterverkehrskonzeptes in der vergangenen Legislaturperiode identifiziert hat und nunmehr angeht. Gleichzeitig ist die betriebliche Logistik der Unternehmen in Baden-Württemberg auf diese Ziele auszurichten.
Sind diesbezüglich bereits konkrete Projekte in der Umsetzung?
Wir arbeiten in allen Themenfeldern mit unterschiedlichen Ständen. Lassen Sie mich beispielhaft das Projekt Ringzentrale als Teil unserer Mobilitätszentrale in Teilbereichen der Region Stuttgart nennen. Hier sollen in Zusammenarbeit von Land, Region, Landkreisen und Kommunen, unter Einschluss der Autobahngesellschaft des Bundes, in einer kooperativen Verkehrsmanagementzentrale im 24/7 Betrieb alle relevanten Lichtsignalanlagen, nach zuvor vereinbarten Strategien aller Partner, gesteuert werden.
Entspricht der Stand der Elektro-Mobilität in Baden-Württemberg Ihren Planungen – können Sie benennen, wie viele E-Fahrzeuge im Ländle gegenwärtig gemeldet sind?
Vor allem innerhalb des vergangenen Jahres sind die Zulassungszahlen von E-Fahrzeugen aller Art stark angestiegen. Dies hat sich auch in den Antragszahlen für unsere E-Förderprogramme wiedergespiegelt. Innerhalb eines Jahres sind bereits mehr Anträge gestellt worden als in den drei Jahren zuvor. Das ist ein großer Erfolg. Diesen Weg setzen wir fort: Gerade im Nutzfahrzeugbereich ist noch viel zu tun. Gerade einmal ein Prozent der Busse und 0,7 Prozent der Lkw fahren in Baden-Württemberg elektrisch. Es gibt also noch viel zu tun.
Für die E-Mobilität braucht es viel Strom, für den gegenwärtig noch die umweltfreundlichsten Erzeugungs- und Realisierungsoptionen diskutiert werden. Der Ausbau der Ladenetzinfrastruktur bedarf hoher Investitionskosten. Sehen Sie in E-Technologien die Lösung für ökologisches Verkehrs- und Transportwesen oder darin eher eine der Antriebsoptionen für die Mobilität der Zukunft?
Es ist ganz klar, dass den batterieelektrischen und Brennstoffzellen-Antrieben die Zukunft gehört. Im Nutzfahrzeugbereich sogar noch eher die Brennstoffzelle als die Batterie. Die EU-Kommission hat in ihrem „Fit-for-55“-Paket Mitte Juli neue Ziele für 2030 bekannt gegeben. Unter anderem muss der CO2-Ausstoß für leichte Nutzfahrzeuge bis 2030 gegenüber 1990 um die Hälfte gesenkt werden. Von 2035 an sollen sogar nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden. Hier sind die Weichen politisch gestellt und diese Ziele können wir nur mit emissionsfreien Antriebsformen erreichen. Dieser Wechsel alleine wird aber nicht reichen. Wir müssen den Gütertransport zudem von der Straße auf die Schiene und, wo es passt, auch auf die Wasserstraßen verlagern, um auch größere CO2-Reduktions-Effekte zu erzielen.
Welche Zeithorizonte sehen Sie dafür?
Das ist weniger eine Frage, welche Zeithorizonte ich sehe, sondern welche Meilensteine wir bis 2030 umgesetzt haben müssen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Bis 2030 müssen wir den CO2-Ausstoß in Deutschland nach dem Klimaschutzgesetz um 65 Prozent reduzieren. Die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg hat sich bis 2040 das Ziel Klimaneutralität gesetzt. Bezogen auf die Nutzfahrzeuge schaffen wir das nur, wenn bis 2030 mindestens jede dritte Tonne klimaneutral transportiert wird und sich der öffentliche Verkehr mindestens verdoppelt.
Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch.
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