Es herrscht Aufbruchsstimmung: Interview mit Bernhard Mattes, Präsident des VDA
Handelssanktionen und Protektionismus werfen derzeit ihre Schatten auf die Weltpolitik. Auf Europas Straßen ist davon allerdings noch nichts zu spüren. Es wird so viel Fracht transportiert wie nie zuvor. Herr Mattes, wie ist es um die aktuelle Stimmungslage in der Nutzfahrzeugindustriebranche im IAA-Jahr 2018 bestellt?
Bernhard Mattes: Die Stimmung ist gut, denn die Nutzfahrzeugmärkte sind in allen wichtigen Regionen auf Wachstumskurs. So ist der chinesische Markt für schwere Nutzfahrzeuge im bisherigen Jahresverlauf um 8 Prozent gestiegen, in den USA sind es sogar plus 18 Prozent. Dieser positive Trend gilt auch für Westeuropa, wobei Italien, Frankreich und Spanien sich besonders lebhaft entwickeln. Auch der Inlandsmarkt legte zu.
Erfreulich ist zudem, dass sich der brasilianische Markt wieder erholt, mit einem Plus von über 50 Prozent in den ersten sieben Monaten, auch wenn das Ausgangsniveau noch niedrig ist. Indien kommt ebenfalls gut voran.
Aber natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein. Wir beobachten sehr aufmerksam die zunehmenden Handelsbeschränkungen in wichtigen Regionen. Der erkennbare Trend zu Protektionismus macht uns Sorgen. Der Erfolg der Nutzfahrzeugindustrie und der Mobilitätsbranche insgesamt hängt davon ab, dass wir freien und fairen Handel haben. Je mehr Handelsbarrieren errichtet werden, desto schwieriger wird es, eine globale Wertschöpfungskette erfolgreich zu gestalten.
Die diesjährige IAA Nutzfahrzeuge steht unter dem Motto „Driving tomorrow“. Welche Botschaft steckt hinter dieser Aussage?
Eine klare Ansage: Wir stellen Transport, Logistik und Mobilität von morgen in den Mittelpunkt dieser weltweit wichtigsten Leitmesse! Dabei geht es um die Innovationsthemen Digitalisierung, Vernetzung, Automatisierung, Elektromobilität und um urbane Lieferkonzepte. Die gesamte Branche ist darauf vorbereitet und packt an, da herrscht Aufbruchstimmung, wie gestern der Pressetag auf der IAA mit seinen vielen Weltpremieren ja bereits gezeigt hat. Am heutigen Presse- und Eröffnungstag gibt es weitere Highlights!
In den letzten Jahren hat sich ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel beim Umweltbewusstsein vollzogen. Inwieweit kann und muss sich die Nutzfahrzeugindustrie der klimapolitischen Verantwortung stellen?
Nutzfahrzeughersteller und Zulieferer warten nicht ab, sie gestalten selbst den Transformationsprozess. Schon bisher ging es ja nicht allein darum, Waren von A nach B zu liefern – sondern so effizient und flexibel wie möglich. Neu ist, dass Transport, Logistik und Mobilität mit Nullemission erfolgen können – und zudem komplett digital und vernetzt sein werden. Dadurch steigt die Effizienz, das senkt die Kosten und hilft auch noch dem Klima. Das bezieht sich sowohl auf die urbane Logistik als auch auf den regionalen Verteilerverkehr und die Langstrecke mit dem 40-Tonner. Entscheidend ist, dass die Wünsche des Kunden noch stärker in den Mittelpunkt rücken.
Deshalb hat die Nutzfahrzeugindustrie entsprechende innovative Antriebskonzepte entwickelt: Der E-Transporter ist emissionsfrei, er hat nur noch sehr geringe Betriebskosten – und er ist auf „ganz leisen Sohlen“ unterwegs. Das steigert die Lebensqualität der Menschen in den Städten. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, leichte, mittlere und schwere Lkw durch Vernetzung in die Lieferkette zu integrieren. Es geht dabei um ökonomisch und ökologisch überzeugende Gesamtkonzepte. Dazu gehören innovative Logistiklösungen auf der letzten Meile, also auch der Warentransport bis zur Haustür mit E-Lastenfahrrädern.
Was ist von diesen Entwicklungen konkret auf der IAA Nutzfahrzeuge 2018 zu sehen?
Vor zwei Jahren wurden auf der IAA Nutzfahrzeuge hier in Hannover vor allem Elektro-Konzeptfahrzeuge präsentiert. Es gab Ankündigungen, es wurde viel über Digitalisierung und Vernetzung gesprochen. Heute wird „geliefert“: Wir sehen eine Vielzahl von E-Transportern, die jetzt in Serie gehen und auf die Straße kommen. Die Reichweite mit einer Batterieladung ist hoch, damit kann ein Großteil des Lieferverkehrs in Städten effizient und emissionsfrei bedient werden. Hinzu kommen leichte und mittelschwere Lkw mit Elektroantrieb – und vor allem immer mehr Stadtbusse mit Elektroantrieb.
Auch serienreife Entwicklungen mit Brennstoffzelle sehen wir hier in Hannover. Zudem gibt es eine ganze Reihe von Fahrzeugen mit Erdgasantrieb. Kurz: Aus Vision wird Realität!
Digitalisierung, Vernetzung und Künstliche Intelligenz machen die Mobilität nicht nur effizienter, sondern auch sicherer. Welche technologischen Schwerpunkte setzt die IAA in Sachen Verkehrssicherheit?
Der Lkw von morgen hat keine Außenspiegel mehr, er bietet den Rundumblick mittels Kameras! Digitialisierung macht also den Straßenverkehr noch sicherer. Ein weiteres Thema ist der Abbiegeassistent. Mittlerweile gibt es konkrete Lösungen, die effektiv für mehr Sicherheit im Straßenverkehr sorgen und zur Regel werden sollten. Davon profitieren sowohl die Fahrer als auch die anderen Verkehrsteilnehmer. Auch ein wichtiges Sicherheitsfeature ist der Notbremsassistent. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass eine generelle Nicht-Abschaltmöglichkeit nicht immer Sinn macht. Es gibt Spezialfahrzeuge und bestimmte Fahrsituationen – etwa im engen Baustellenbereich –, bei denen ein Abschalten auch künftig notwendig sein wird. Deshalb sollte ein entsprechender Regelkatalog entwickelt werden.
Sehen Sie in den vollelektrischen Antrieben die Zukunft für den urbanen Lieferverkehr?
Diese IAA zeigt: Im Verteilerverkehr in Städten wird die Elektromobilität zunehmend an Bedeutung gewinnen, das wird ein Wachstumsmarkt. Das betrifft Lieferwagen, Transporter und leichte Lkw – und das gilt im urbanen Raum auch für den schweren Verteilerverkehr bis 26 Tonnen. Im schweren Fernverkehr hingegen ist Batterie-elektrische Mobilität noch Zukunftsmusik. Dort sehe ich eher Potenziale für die Brennstoffzelle und Erdgas.
Welche Bedeutung hat die Elektromobilität für den städtischen Omnibusverkehr?
Für den urbanen Verkehr ist diese emissionsfreie Antriebsart eine immer wichtigere Option. Auf dieser IAA präsentieren mehrere Hersteller serienreife E-Busse. Ich bin davon überzeugt, dass Elektro-Busse einen ganz wesentlichen Teil dazu beitragen werden, die Luftqualität in Städten noch weiter zu verbessern.
Kurz vor Beginn der IAA wurde in Hamburg einer der ersten LNG-Tankstelle in Deutschland eröffnet. Welche Chancen sehen Sie aktuell für mit Flüssiggas angetriebene Lkw?
LNG ist eine gute Alternative, da die Energiedichte von Flüssiggas sehr hoch ist und dadurch große Reichweiten erzielt werden können. Gleichzeitig verringern sich die CO2- und Stickoxidemissionen. Noch ist das Versorgungsnetz in Deutschland gering, doch schon im kommenden Jahr soll es deutlich mehr LNG-Stationen geben. Aufgrund der großen Reichweite mit einer LNG-Tankfüllung ist eine Versorgung, die zumindest einen größeren Teil der Bedarfe in Deutschland abdecken könnte, bereits mit relativ wenigen Stationen möglich. Auch da geht also viel voran.
Automechanika & IAA Transportation: Die Zukunft des Lkw-Verkehrs ist elektrisch.
Brennstoffzellen und Wasserstoff werden in der aktuellen Debatte um Alternativen zum Diesel wieder einmal genannt. Welche realistischen Perspektiven sehen Sie für diese Technologie?
Diese Technologie ist mittlerweile aus dem Erprobungsstadium in die Marktreife gelangt. Jetzt geht es darum, die entsprechenden Fahrzeugkonzepte mit Brennstoffzelle umzusetzen. Gerade im Fernverkehr macht diese Technologie Sinn. Daher muss nun der Aufbau einer Wasserstofftankstelleninfrastruktur in den Fokus rücken. Daran arbeitet die Initiative H2 Mobility, die von Mineralölwirtschaft und Automobilindustrie getragen wird. Als erstes Ziel sollen bis 2019 rund 100 Wasserstoffstationen in sieben deutschen Ballungszentren sowie entlang der Fernstraßen und Autobahnen in Betrieb gehen. Mit dem Hochlauf der Zulassungszahlen entsprechender Fahrzeuge sollen weitere 300 folgen.
Auch diese Entwicklung zeigt: Es wird nicht nur eine Transport- und Logistiklösung für die Zukunft geben, sondern es werden verschiedene Wege verfolgt. Das liegt auch daran, dass die Anforderungen für den jeweiligen Transport sehr unterschiedlich sind – und dementsprechend mehrere Angebote auf der Antriebsseite entwickelt werden. Eines sollte in der Diskussion aber nicht übersehen werden: Auf der langen Strecke wird der moderne, effiziente und saubere Diesel noch lange seine Berechtigung behalten. Dies gilt für Deutschland, für Europa – und noch mehr für viele andere Länder, insbesondere in Asien, Afrika und Südamerika.
Die Top-Trendthemen der IAA 2018 finden sich im Angebot der „New Mobilty World“. Worin unterscheidet sich dieses Format von der „normalen“ Messe?
Auf der „New Mobility World“ geht es zielgenau um die Zukunftsthemen, die hinter dem IAA-Motto „Driving tomorrow“ stehen. Die „New Mobility World“ ist in drei große Bausteine gegliedert. Zum einen haben wir die EXPO, also eine Ausstellung mit Produkten und Mobilitätslösungen. Außerdem gibt es das FORUM mit über 100 Referenten zu aktuellen Themen. Angeboten werden Vorträge, Panels, Podiumsdiskussionen. Ziel ist es, den interessierten Messebesucher direkt in den Diskurs miteinzubeziehen. Der dritte Bereich LIVE bietet zudem die Möglichkeit, modernste Fahrzeugtechnologien anhand von Live-Vorführungen unmittelbar zu erleben.
Viele Zulieferer entwickeln sich zunehmend vom reinen Komponentenlieferanten zum Anbieter komplexer Systemlösungen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Zulieferer sind aufgrund ihres großen technischen Know-how und ihrer langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Herstellern zentrales Element in der Wertschöpfungskette. Ohne Zulieferer geht gar nichts. Die Zusammenarbeit wird immer wichtiger und zwar gerade bei der Entwicklung neuer Antriebstechnologien und Sicherheitssysteme. Neben Komponenten- und Systemlieferanten spielen auch Aufbauten- und Trailerhersteller eine ganz wichtige Rolle. Die Zusammenarbeit mit Lkw-Herstellern ist in den letzten Jahren noch intensiver geworden. Bei der Aerodynamik eines Sattelzugs ist zum Beispiel das Zusammenspiel zwischen Fahrerhaus und Auflieger entscheidend. Insgesamt können wir feststellen, dass die Verzahnung in der Wertschöpfungskette zwischen OEM und Zulieferer immer enger wird. Davon profitieren beide Seiten – und vor allem der Kunde.
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